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Die Stimmen der Wissenschaft (1) |
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erstellt am
20. 01. 04
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Referate von Karner, Neugebauer, Liebmann
Wien (pk) - Den Reigen der Wissenschaftler bei der Tagung "Widerstand in Österreich 1938
bis 1945" im Parlament eröffnete Stefan Karner, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung
in Graz.
Karner: Widerstand ist wichtiges Fundament der Republik Österreich
Karner wies zunächst auf die Notwendigkeit hin, im Rahmen des Jubiläumsjahres 2005 auch einen Fokus auf
jene Menschen zu werfen, die zum Nationalsozialismus nein gesagt hätten und somit ein wichtiges Fundament
der Republik Österreich bildeten. Es sei Aufgabe der Widerstandsforschung, diesen Menschen ein Gesicht zu
geben, ihnen eine Biographie zurückzugeben, betonte er.
Karner zufolge saßen rund 100.000 Österreicherinnen und Österreicher während der NS-Zeit für
einen Zeitraum von mehr als drei Monaten in Gefängnissen und Konzentrationslagern, mindestens 2.700 Personen
seien als aktive Widerstandskämpfer zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Diese und andere Zahlen könnten
jedoch das Unrechtsregime in seiner Alltagswirklichkeit nicht wiedergeben, unterstrich er. Die Wirklichkeit sei,
so der Historiker, nicht schwarz-weiß, sondern oft grau gewesen. "Niemand wird als Widerstandskämpfer
geboren."
Karner unterstrich, die Widerstandskämpfer hätten - oft bis zu ihrem Tod - nicht gewusst, ob und wann
sich ihr Einsatz lohnen würde. Von den "Vorausinvestitionen", die sie getätigt haben, zehre
die heutige Republik jedoch immer noch. Der Historiker mahnte allerdings, die Beschäftigung mit dem Widerstand
dürfe nicht dazu verleiten, über jene Millionen den Stab zu brechen, die diesen Weg nicht gegangen seien. |
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Neugebauer: Widerstand in einer Umwelt fanatischer Regimeanhänger
Wolfgang Neugebauer, langjähriger Leiter des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes,
gab in seinem Referat zu bedenken, dass die Organisation des Widerstandes unmittelbar nach dem "Anschluss"
1938 "auf nicht geringe Schwierigkeiten" stieß. Die österreichischen Widerstandskämpferinnen
und Widerstandskämpfer hätten in einer von Denunziation und fanatischen Regimeanhängern durchsetzten
Umwelt wirken müssen.
Auch habe es, wie Neugebauer ausführte, keinen gemeinsamen Widerstand in Österreich gegeben, vielmehr
hätten verschiedene Widerstandsgruppen, etwa die organisierte Arbeiterbewegung und das katholisch-konservative,
bürgerliche Lager, parallel gewirkt. Dennoch könne man von einem spezifischen österreichischen Widerstand
sprechen, erklärte er, da eine organisatorische Trennung zwischen österreichischem und deutschem Widerstand
bestanden habe.
Der Widerstand der Sozialisten habe zwar, ausgehend vom sozialistischen Exil, zunächst eine gesamtdeutsche
Linie vertreten, schilderte Neugebauer, aber im Laufe des Krieges und insbesondere nach der Moskauer Deklaration
sei ein Umdenken erfolgt. Vertreter des deutschen Widerstandes hätten mehrfach den Versuch unternommen, österreichische
Sozialdemokraten und Christlich-Soziale zur Mitarbeit zu gewinnen, aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass auf
österreichischer Seite der Wunsch nach Unabhängigkeit stärker gewesen sei als die Verbundenheit
mit Deutschland.
Die KPÖ habe, so Neugebauer, von Anfang an die Parole des aktiven Widerstandes ausgegeben und eine betont
österreichisch-patriotische Position eingenommen. Ihr Versuch, eine überparteiliche österreichische
Freiheitsfront zu bilden, sei aber erfolglos geblieben. Die vorrangige Methode der KPÖ sei, erklärte
Neugebauer, die Verbreitung illegaler Druckwerke gewesen, um das Meinungsmonopol des NS-Regimes zu durchbrechen.
Letztlich sei es der Gestapo jedoch gelungen, die meisten kommunistischen Widerstandgruppen aufzudecken.
Detaillierter setzte sich Neugebauer auch mit dem katholischen Widerstand auseinander. Die katholische Kirche selbst
sei als Institution nicht im aktiven Widerstand gegen das Naziregime gestanden, skizzierte er, da sie ihre legale
Existenz nicht gefährden habe wollen, allein ihre weltanschaulich-geistige Tätigkeit habe jedoch dem
Nationalsozialismus entgegengewirkt und viele Katholiken bewegt, Widerstandsgruppen zu bilden.
Eher selten in Österreich waren nach Neugebauers Darstellung Sabotage und gewaltsame Aktionen. Erst ab 1942
bildeten sich ihm zufolge, meist auf Initiative von Kommunisten, bewaffnete Widerstandsgruppen, zum Beispiel slowenische
Partisanengruppen in Südkärnten und die Partisanengruppe Leoben-Donawitz.
Sehr spät in den Blick der Widerstandsforschung gerückt ist Neugebauer zufolge der individuelle Widerstand,
obwohl dieser nicht weniger bedeutend als der politische Widerstand gewesen sei. Er erinnerte in diesem Zusammenhang
etwa an Unterkunftsgewährung für vom NS-Regime verfolgte Personen.
Das Ausmaß und die Bedeutung des Widerstandes könne allerdings nur in einem Gesamtzusammenhang mit dem
Verhalten aller Österreicherinnen und Österreicher gesehen werden, betonte Neugebauer. Die 700.000 NSDAP-Mitglieder
den rund 100.000 Widerstandskämpfern gegenüberzustellen, wäre, wie er sagte, jedoch zu einfach,
nicht zuletzt da letztere ihre ganze Existenz zu riskieren hatten.
Die praktischen Ergebnisse des Widerstands waren, gemessen an der Größenzahl der Opfer, nach Meinung
Neugebauers "eher bescheiden". Die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft sei letztlich nicht
das Werk einer Revolution von unten oder eines nationalen Befreiungskampfes gewesen, sondern das ausschließliche
Werk der alliierten Streitkräfte, unterstrich er. Der Widerstand in Österreich habe sich allerdings bei
den Bemühungen um den Staatsvertrag letztendlich als eminent wichtig herausgestellt. |
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Liebmann: Katholischer Widerstand – der Umgang mit Priestern, die aus den KZ zurückkamen
Maximilian Liebmann sprach in seinem Referat davon, dass bald nach der für das NS-Regime höchst erfolgreichen
Volksabstimmung am 10. April 1938 gezielt die Unterdrückung der katholischen Kirche einsetzte, und zwar mit
der Entkonfessionalisierung der Schulen, der Aufhebung katholischer Privatschulen, der Okkupation von zahlreichen
Pfarrheimen, mit Beschränkungen und Schließungen im katholischen Pressewesen, der Beschlagnahme des
Vermögens und der Vereinsheime katholischer Vereine, der Überführung der Caritas in staatliche Wohlfahrtspflege
und der Verhinderung pastoraler Betreuung von Kranken und Sterbenden in den Spitälern. Dem folgte der Widerstand
im katholisch-kirchlichen Bereich. Der zündende Funke sprang, so Liebmann, beim Rosenkranzfest am 7. Oktober
1938 im Wiener Stephansdom und am Domplatz über. Die Rosenkranzandacht mit der Predigt Kardinal Innitzers,
die in der Feststellung „Christus ist unser Führer“ gipfelte, wurde zu einer eindrucksvollen Widerstandskundgebung
der katholischen Jugend. Tags darauf wurde das erzbischöfliche Palais verwüstet, und der erzbischöfliche
Sekretär Jakob Weinbacher konnte sich nur mit äußerster Kraftanstrengung dagegen wehren, aus dem
Fenster geworfen zu werden, während Domvikar Johann Krawarik tatsächlich durch das Fenster in den Hof
des Kurhauses gestürzt wurde.
Die Kirchenfeindlichkeit der nationalsozialistischen Ideologie kam am 13. Oktober auf dem Heldenplatz lautstark
zum Ausdruck, fuhr der Referent fort. Nicht nur gegen Kirche und Klerus wurde geschrieen und gejohlt, sondern auch
gegen Juden und Judentum. Mit diesen Ereignissen habe die Kirche Österreichs einen Vorgeschmack dessen bekommen,
was viele ihrer Gläubigen noch alles erwartete. Die Appeasementpolitik der Bischöfe mit dem Nationalsozialismus,
die in den Märzerklärungen und in Kardinal Innitzers „und Heil Hitler“-Gruß ihre markante Ausformung
erlebt hatte, hatte ihr Ende gefunden.
Bei der so genannten Reichskristallnacht im November 1938 schauten alle zu, betroffen, verschämt, manche sogar
schadenfroh, und man schwieg. Unerwähnt ließ der Referent nicht, dass ein österreichischer Priester,
der Grazer Theologieprofessor Johannes Ude, dem NS-Regime seine Schandtaten in einem Brief an den Gauleiter, Landeshauptmann
und Reichsstatthalter der Steiermark, Siegfried Ueberreither, vorgehalten hat. Der Aufschrei in diesem Brief, der
sowohl abgeschickt wurde als auch angekommen ist, gipfelt in den Worten: „Ich verurteile die banditenartigen, im
gesamten Deutschen Reich, wie es scheint, wohlorganisierten, in einer einzigen Nacht verübten Überfälle
auf die jüdischen Synagogen, auf die jüdischen Zeremonienhallen und auf die jüdischen Geschäfte,
die man in Brand gesteckt, zertrümmert und verunehrt hat. Das ist in meinen Augen kommunistisch-bolschewistisches
Vorgehen, das in einem Rechtsstaat niemals in so ungeheurem Ausmaß vorkommen dürfte.“
Dass der Nationalsozialismus in Kirche und Theologie seinen eigentlichen Widerpart sah, den es zu liquidieren galt,
hat er hinsichtlich der Theologischen Fakultäten expressis verbis zum Ausdruck gebracht, indem die Theologischen
Fakultäten als „die Schulungsstätten des weltanschaulichen Gegners“ definiert wurden. Mit einem Schlag
wurden zwei der vier Theologischen Fakultäten in Österreich im Sommer 1938 zugesperrt, die Grazer erlebte
im April 1939 das gleiche Schicksal; die Wiener Theologische Fakultät wurde ausgetrocknet, indem bei Professorenabgängen
die Lehrstühle nicht nachbesetzt wurden.
Die Loyalität zum NS-Staat habe die Kirchenführung nie in Frage gestellt, unterstrich Liebmann, „insofern
war die Kirche als Bündnispartner in das NS-Herrschaftssystem eingegliedert“. Aber weder aus dem nationalsozialistischen
Kirchenkampf noch aus ihrer Ablehnung von Ideologie und Zielsetzung des Nationalsozialismus hätten die Bischöfe
die Folgerung gezogen, „dass der Katholik zum aktiven Widerstand gegen das NS-Regime berechtigt oder gar verpflichtet
sei“. Die Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und Religion allgemein und katholischem Glauben im besonderen
habe einzelne Gläubige und diverse Gruppen aus dem Katholizismus direkte Aktionen gegen das herrschende Regime
suchen lassen. Diejenigen, die sich hierzu verpflichtet wussten, taten dies weitestgehend ohne Ermutigung durch
die kirchliche Obrigkeit, sondern aus Einsicht in ihre persönliche politische Verantwortung als Christen.
Im Zusammenhang mit dem Umgang mit den Opfern, den hingerichteten Priestern und den aus den KZ heimgekehrten Pfarrern
stellte der Referent die Frage in den Raum, wo und wie sich die kirchliche Obrigkeit, wo und wie die Bischöfe
das Widerstandsverhalten ihrer Priester und christ-katholischen Laien, die aus der Gestapo-Haft oder aus den KZs
heimkamen, gewürdigt, sich bei ihnen bedankt hätte. Einmal, sagte der emeritierte Universitätsprofessor,
wurde ein Priester, der vom KZ heimkehrte, von der Pfarrbevölkerung festlich begrüßt und jubelnd
empfangen, ansonst wollte man den Priester (sei er Pfarrer oder Kaplan) in derselben Pfarre lieber nicht wieder
angestellt wissen. Man wertete sie als „Sonderlinge“ und stempelte sie mehr oder minder ungewollt zu Außenseitern.
Warum hat er denn so unklug sich verhalten, warum war er so unvorsichtig? Solche Fragen wurden gestellt, die letztlich
nichts waren als der unausgesprochene Vorwurf: selber schuld. Der oberösterreichische Zisterzienserpater Konrad
Just, der sieben Jahre in KZ durchlitten hat, schrieb u.a. in die Pfarrchronik von Gramastetten: „Die Heimat hat
zum Teil nicht oder sehr wenig gelernt. Wir verlangten keinen Triumph oder sonst dergleichen. Aber nicht einmal
die Aufmerksamkeit, die man Bettlern schuldig ist aus christlicher Nächstenliebe, fanden wir mancherorts.
Manche schlafen noch! Es war eine bittere Enttäuschung für uns. Man hat nicht den Eindruck, dass man
die volle Gefahr des Hitlerismus erkannt hat.“ |
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