Brüssel (eu-int) - Die Europäische Kommission wird gegen Österreich
und Deutschland wegen Verstoßes gegen EU-Recht in vier Fällen Klage beim Europäischen Gerichtshof
erheben. Beide haben das EU-Recht in Bezug auf das Recycling von Altfahrzeugen nicht vollständig eingehalten.
Deutschland hat einen wichtigen Teil des EU-Rechts zum Gewässerschutz nicht vollständig in einzelstaatliches
Recht umgesetzt, während Österreich die „Seveso“-Richtlinie zur Vermeidung der Gefahren von schweren
Industrieunfällen nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat.
Umweltkommissar Stavros Dimas erklärte: “Indem sie diese Rechtsvorschriften nicht vollständig einhalten,
gewährleisten Österreich und Deutschland nicht das Maß an Schutz vor Umweltverschmutzung und anderen
Gefahren für die Umwelt, zu dem sie sich auf europäischer Ebene verpflichtet haben. Die Bürger Europas
haben Anspruch auf eine sichere und gesunde Umwelt und ich werde mich vorrangig dafür einsetzen, dass die
Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen erfüllen. “
Altfahrzeuge: Klagen gegen Österreich und Deutschland wegen Nichteinhaltung
Gemäß der Richtlinie über Altfahrzeuge müssen die Verbraucher ihre Altfahrzeuge kostenlos
zur Demontage zurückgeben können. Diese Bestimmung wurde nicht ordnungsgemäß in österreichisches
Recht umgesetzt, wo die Verpflichtung der Hersteller auf Autos ihrer eigenen Marke, die in Österreich registriert
sind, begrenzt ist. Dies steht im Widerspruch zu den Anforderungen der Richtlinie und schmälert damit die
angestrebten Umweltvorteile. Zudem wird den Bürgern ein Recht vorenthalten, was sie im Vergleich zu anderen
EU-Bürgern benachteiligt. Die Kommission hat im Juli eine letzte schriftliche Mahnung an Österreich gerichtet,
das jedoch auf seinem Standpunkt beharrte, weshalb die Kommission den Fall nun an den EuGH verweist.
in Deutschland wurde die Richtlinie durch das Altfahrzeuggesetz von 2002 in einzelstaatliches Recht umgesetzt.
Nach einer ausführlichen Prüfung dieses Gesetzes gelangte die Kommission jedoch zu dem Schluss, dass
dadurch die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt wird, da aufgrund mehrerer Lücken die mit
der Richtlinie angestrebten Vorteile für die Umwelt nicht in vollem Umfang erreicht werden können. Zu
diesen Mängeln gehören die Einschränkung des Geltungsbereichs der Richtlinie, die Ausnahmen hinsichtlich
der Verpflichtung zur kostenlosen Rücknahme und der Umfang des Verbots von Stoffen. Aus diesen Gründen
ruft die Kommission Deutschland nun vor den Europäischen Gerichtshof.
Mit der Richtlinie über Altfahrzeuge[1] wird ein doppelter Zweck verfolgt: zum einen soll verhindert werden,
dass Fahrzeuge und Fahrzeugteile, die das Ende ihrer Lebenszyklus erreicht haben, zu Abfall werden und zum anderen
werden Wiederverwendung, Recycling und andere Formen der Weiterverwertung von Fahrzeugen gefördert. In der
Richtlinie wird unter anderem gefordert, dass Systeme für die Sammlung von Altfahrzeugen eingerichtet werden,
und es wird versucht, darauf hinzuwirken, dass weniger Chemikalien verwendet werden, die eine sichere Entsorgung
und Verwertung von Fahrzeugen erschweren.
Seveso-II-Richtlinie: Klage gegen Österreich wegen Nichteinhaltung der Richtlinie
Diese Richtlinie von 1996[2] hat die Vermeidung von schweren Industrieunfällen mit gefährlichen Stoffem
sowie die Begrenzung ihrer Auswirkungen durch Notfallvorsorge zum Ziel. Dadurch wird eine frühere Richtlinie
verschärft, die verabschiedet wurde als Reaktion auf die Explosion einer Chemieanlage in der italienischen
Stadt Seveso im Jahr 1976, durch die ein großes Gebiet mit Dioxin, einem der giftigsten bekannten Stoffe,
verseucht wurde. Die geänderte Richtlinie enthält strenge Verpflichtungen für Unternehmen, die gefährliche
Stoffe lagern, und schreibt vor, dass Maßnahmen zur Vermeidung schwerer Unfälle zu treffen und Notfallpläne
im Voraus auszuarbeiten sind. Sie enthält ferner Vorschriften für die Flächennutzungsplanung und
die Unterrichtung der Öffentlichkeit.
Die Umsetzung dieser Richtlinie in österreichisches Recht ist durch ein komplexes Paket von Rechtsvorschriften
auf nationaler und regionaler Ebene geregelt. Nach einer Prüfung der Kommission im Jahr 2002 wurden zusätzliche
Rechtsvorschriften verabschiedet, die jedoch nicht alle Lücken schließen konnten, wie Österreich
selbst anerkannte. Diese betreffen unterschiedliche Sektoren und Themenbereiche wie Bergbauanlagen, Schießpulver-
und Sprengstoffproduzenten sowie Erdgasleitungen. Auch die Bestimmungen für Notfallpläne und die Flächennutzungsplanung
wurden in einigen Gesetzen der österreichischen Länder nicht korrekt umgesetzt. Da diese Fragen eine
wichtige Rolle spielen, um der Öffentlichkeit den in der Richtlinie vorgesehenen Schutz zu bieten, verweist
die Kommission den Fall an den Gerichtshof.
Wasser-Rahmenrichtlinie: Klage gegen Deutschland wegen unvollständiger Umsetzung
Die Wasserrahmenrichtlinie[3] bietet einen Ordnungsrahmen für den Schutz sämtlicher Gewässer in
der Europäischen Union - für Flüsse, Seen, Küstengewässer, Grundwasser und sonstige oberirdischen
Binnengewässer. Ziel ist es, bis 2015 eine gute Qualität der Wasserressourcen zu erreichen. Es soll durch
eine integrierte Bewirtschaftung der Wassereinzugsgebiete erreicht werden, da Wassersysteme nicht an Verwaltungsgrenzen
Halt machen. Die Wasserrahmenrichtlinie legt klare Fristen für die einzelnen Schritte fest, die für eine
nachhaltige, integrierte Wasserwirtschaft in Europa erforderlich sind.
Die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie mussten bis 22. Dezember 2003 erlassen werden.
In Deutschland wurde die Richtlinie auf Bundesebene vollständig in nationales Recht sowie in zehn Bundesländern
in Landesrecht umgesetzt.
Deutschland hat jedoch keine genauen Angaben dazu gemacht, wann die Umsetzung in den übrigen sechs Bundesländern
(Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) erfolgen wird.
Die Kommission hat daher beschlossen, Klage beim EuGH zu erheben.
Rechtliches Verfahren
Gemäß Artikel 226 EG-Vertrag ist die Kommission befugt, rechtliche Schritte gegen einen Mitgliedstaat
einzuleiten, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Wenn nach Auffassung der Kommission möglicherweise ein Verstoß gegen das EU-Recht vorliegt, der die
Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens rechtfertigt, richtet sie an den betreffenden Mitgliedstaat
ein „Aufforderungsschreiben" (erste schriftliche Mahnung), in dem dieser aufgefordert wird, sich bis zu einem
festgelegten Termin, in der Regel innerhalb von zwei Monaten, zu äußern.
Je nachdem, wie sich der betreffende Mitgliedstaat in seiner Antwort äußert und ob er überhaupt
antwortet, kann die Kommission beschließen, ihm eine „mit Gründen versehene Stellungnahme" (letzte
schriftliche Mahnung) zu übermitteln, in der sie klar und eindeutig darlegt, weshalb ihrer Ansicht nach ein
Verstoß gegen das EU-Recht vorliegt, und den Mitgliedstaat auffordert, seine Verpflichtungen innerhalb eines
bestimmten Zeitraums, in der Regel zwei Monaten, zu erfüllen.
Kommt der Mitgliedstaat dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nach, kann die Kommission beschließen,
den Europäischen Gerichtshof anzurufen. Der Gerichtshof kann in seinem Urteil bestätigen, dass der Mitgliedstaat
gegen seine Verpflichtungen verstößt. Der Mitgliedstaat muss dann baldmöglichst Maßnahmen
ergreifen, um dem Urteil des Gerichtshofs nachzukommen.
Nach Artikel 228 EG-Vertrag ist die Kommission befugt, gegen einen Mitgliedstaat vorzugehen, der einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs nicht nachgekommen ist. Im Zuge dieser Maßnahmen sind auch die Schritte „Aufforderungsschreiben“
sowie „mit Gründen versehene Stellungnahme“ vorgesehen. Nach diesem Artikel kann die Kommission den Gerichtshof
auch auffordern, gegen den betreffenden Mitgliedstaat ein Zwangsgeld zu verhängen. |