Ökonom der Uni Witten/Herdecke: Jury des Unworts des Jahres fehlte wirtschaftswissenschaftlicher
Sachverstand / „Humankapital ist begrüßenswert“
Witten/Herdecke (universität) - Humankapital ist Unwort des Jahres. Die Entscheidung stößt
beim Wirtschaftswissenschafter Michael Gebauer von der Universität Witten/Herdecke auf wenig Gegenliebe: „Das
Unwort des Jahres ist Unsinn“, schimpft er. „Der Jury, die das zu verantworten hat, fehlte offensichtlich ökonomischer
Sachverstand.“ Zum Beweis dringt Gebauer in die tieferen Bedeutungsschichten des Begriffs ein und betreibt Differenzierungsarbeit.
So müsse man „Humankapital“ zunächst einmal deutlich abgrenzen von Begriffen wie „Humanvermögen“
und „Humanressourcen“. Die Jury hätte sich eingehender damit beschäftigen sollen, was die zugrunde liegenden
Begriffe wie Ressource, Vermögen und Kapital eigentlich bedeuten.
Unter einer Ressource werden im allgemeinen Mittel verstanden, die zur Erfüllung von Aufgaben eingesetzt werden.
Dementsprechend begleitet diesen Begriff die Assoziation, dass sich diese Mittel durch die Erfüllung der Aufgaben
abnutzen oder verbrauchen. Unter dem Vermögen wird der Besitz verstanden, der sowohl durch Eigentum als auch
durch unmittelbare Verfügbarkeit gekennzeichnet ist. Demgegenüber ist das Kapital nicht unmittelbar verfügbar,
sondern wird zum Zwecke seiner Mehrung investiert.
Angewendet auf die Begriffe Humanressourcen, Humanvermögen und Humankapital sieht Gebauer sogar eine deutliche
Verbesserung: „Humanressource signalisiert, dass etwas verbraucht wird, Humanvermögen steht für das Eigentum
einer natürlichen oder juristischen Person und suggeriert somit unmittelbare Verfügbarkeit.“ Anders der
Begriff „Humankapital“, den Gebauer für ausdrücklich „begrüßenswert“ hält. Im Gegensatz
zu Begriffen wie Humanressourcen, Humanvermögen greift der Begriff des Humankapitals deutlich weiter. Berücksichtigen
doch die dahinter stehenden Konzepte auf Grundlage soziologischer und psychologischer Erkenntnisse auch die Interessen
des Mitarbeiters – also des Trägers des Humankapitals – der seine Kenntnisse und Fähigkeiten einer Organisation
zur Verfügung stellt. „Dank der Konzepte des Humankapitals erfährt der Mitarbeiter als Individuum mit
all seinen Interessen, Kenntnissen und Fähigkeiten heute sogar eine wesentlich stärkere Würdigung
als in früheren Jahren. Von dieser Bedeutung aus betrachtet, erscheint mir die Wahl der Jury der "Sprachkritischen
Aktion Unwort des Jahres" als unglücklich, da dem Begriff und den Konzepten des Humankapitals fälschlicherweise
eine rein ökonomische Betrachtung unterstellt wird“, kritisiert Gebauer.
Mit der Wahl habe die Jury der Aktion den Mitarbeitern in den Unternehmen sogar einen Bärendienst erwiesen:
„Es erscheint schon fast peinlich, dass ausgerechnet Sprachwissenschaftlern ein derartiger Fauxpas im Umgang mit
Begrifflichkeiten unterläuft. In diesem Sinne qualifiziert sich die Wahl zum Unwort des Jahres 2004 schon
für eine Nominierung bei der Unwahl des Jahres 2005.“ |