Paris (esa) - Die Vorbereitungen für die Ankunft des ersten europäischen
Automatischen Transferfahrzeugs - des ATV „Jules Verne“ - sowie die Mission des ESA-Astronauten Roberto Vittori
schreiten weiter voran: Am Mittwoch (02. 03.) um 21.10 Uhr MEZ dockte das unbemannte russische Progress-Versorgungsfahrzeug
M-52 an der Internationalen Raumstation (ISS) an. Das zwei Tage zuvor, am 28. Februar, um 20.09 MEZ vom Kosmodrom
Baikonur in Kasachstan mit einer Sojus zur ISS-Mission 17P gestartete Versorgungsfahrzeug hatte unter anderem ein
in Europa hergestelltes Kommunikationssystem an Bord, das 2006 beim Andocken des ATV an die Raumstation eingesetzt
werden soll.
Das Kommunikationssystem für Nahbereichsmanöver mit dem Kürzel PCE (für „Proximity Communication
Equipment“) wird auf den letzten 30 km vor dem Andocken die Datenübertragung zwischen ATV und ISS im S-Band
gewährleisten. Es besteht aus zwei vollkommen redundant arbeitenden Übertragungsgeräten. Entwickelt
und integriert wurde das System vom Industrieunternehmen EADS Astrium (Toulouse, Frankreich) im Auftrag der ESA.
Vor der Integration in das Progress-Versorgungsfahrzeug wurde das gesamte PCE vom 7. bis zum 11. Februar gemeinsam
von russischen sowie aus der ESA und der Industrie stammenden Fachleuten im Startkomplex geprüft.
Den Einbau der Einrichtungen übernehmen die beiden Astronauten, die zur Zeit im russischen Labor- und Wohnmodul
„Swesda“, an dem das ATV auch andocken soll, leben und arbeiten. Eine Borderprobung des gesamten Systems ist für
Anfang April vorgesehen.
Das PCE wird dem ATV die von dem GPS-Gerät an Bord der ISS erhaltenen Daten übermitteln, so daß
das ATV während der Anflugphase bis zu einer Entfernung von 500 m seine Position in bezug zur ISS bestimmen
kann. Anschließend schaltet das ATV vom GPS- auf einen Lasernavigationsmodus um, wobei während der Endphase
ein sogenannter Telegoniometer und ein Videometer eingesetzt werden, bis das ATV an den russischen Vorrichtungen
andockt.
„Das ATV ist das bisher komplexeste und innovativste in Europa entwickelte und gebaute Raumfahrzeug“, versichert
der ATV-Projektleiter der ESA, John Ellwood. „Das nach dem Vater der Science Fiction, dem französischen Schriftsteller
Jules Verne, benannte erste ATV-Flugmodell durchläuft zur Zeit in den Einrichtungen der ESA im Europäischen
Weltraumforschungs- und Technologiezentrum, ESTEC, im niederländischen Noordwijk eine umfangreiche Testphase.
Unter der Leitung des industriellen Hauptauftragnehmers, des Unternehmens EADS Space Transportation (Les Mureaux,
France), wird es dort hinsichtlich seiner Kompatibilität mit dem elektromagnetischen, akustischen und thermischen
Umfeld und den im Weltraum herrschenden Vakuumbedingungen, denen es bei seinem späteren Einsatz ausgesetzt
sein wird, auf Herz und Nieren geprüft. Diese Phase wird auch zur Überprüfung und Durchführung
bestimmter Betriebsabläufe genutzt, wie etwa der Zugang zur Fracht. Nach Abschluß der Testreihe wird
das ATV nach Kourou in Französisch-Guayana verschifft, von wo aus es Anfang 2006 an Bord einer Ariane-5 gestartet
werden soll.“
An Bord des russischen Progress-Fahrzeugs befand sich außerdem das wissenschaftliche Gerät für
sieben Experimente (Agrospace, ASIA, ETD, Handhaltungsanalysen, LAZIO, Microspace und SPQR), die ESA-Astronaut
Roberto Vittori auf seiner Mission an Bord der ISS vom 15. bis 24. April durchführen soll.
Bei Agrospace handelt es sich streng genommen um zwei Experimente: Zum einen wird das Keimen von Bohnen in der
Schwerelosigkeit mit einer gleichartigen, zur selben Zeit von Schülern auf der Erde durchgeführten Versuchsreihe
verglichen, zum anderen soll in einem zweiten Keimexperiment die Möglichkeit eines Anbaus von Pflanzenschößlingen
im Hinblick auf die Nahrungsmittelversorgung von Bordmannschaften ausgewertet werden.
Das Experiment ASIA dient der Prüfung der Widerstandsfähigkeit einer Hochleistungscomputer- schaltung
gegen die Weltraumstrahlung, um so deren mögliche Verwendung an Bord künftiger Satelliten zu bewerten.
Beim ETD wird mit Hilfe eines Gerätes zur Messung der Augenbewegungen die sogenannte Listingsche Ebene erfaßt,
womit das Koordinatensystem zur Beschreibung der Augenbewegungen im Kopf gemeint ist. Auf der Erde scheinen diese
Bewegungen von den Meldungen des Vestibularapparats im Innenohr abzuhängen, der Gleichgewicht, Ausrichtung
und Haltung des Körpers steuert. Das Verständnis der Funktionsweise des Vestibularapparats unter den
Bedingungen der Schwerelosigkeit sowie des damit in Zusammenhang stehenden Auftretens von Übelkeit („Weltraumkrankheit“)
ist für Wissenschaftler von großer Bedeutung.
Die Ergebnisse aus den Handhaltungsanalysen dürften zu neuen Wegen bei der Bekämpfung von Erschöpfungszuständen
beitragen, die sich in der Schwerelosigkeit erheblich auf die Hände und Unterarme der Astronauten auswirken
können. Auf der Erde fließen solche Erkenntnisse dann auch in die Behandlung von Patienten mit lokalen
Traumata, Muskelschwund und Erkrankungen des Zentralnervensystems ein.
Das Kürzel des Experiments LAZIO steht - neben der italienischen Bezeichnung für die um Rom gelegene
Region Latium - für „Ionisierendes Observatorium in niedrigen Höhenbereichen“. Mit ihm sollen die Weltraumstrahlung
und das Magnetfeld in der Raumstation analysiert werden, insbesondere im Hinblick auf sogenannte „Lichtblitze“.
Geprüft wird ferner die strahlungsabschirmende Wirkung verschiedener Werkstoffe. Darüber hinaus ist der
erste Weltraumeinsatz eines Sensors zur präzisen Überwachung der kurzfristigen Stabilität der Van-Allen-Strahlungsgürtel
geplant, um eventuell auf kurz bevorstehende Erdbeben hinweisende Phänomene zu erfassen - ein bereits vor
zwei Jahrzehnten von russischen Wissenschaftlern formulierter Vorschlag.
Im Rahmen von Microspace werden verschiedene Mikrobenarten zur ISS gebracht, um die Auswirkungen der Umweltbedingungen
in einem Raumfahrzeug wie Weltraumstrahlung und Schwerelosigkeit auf die Mikrobenkulturen zu analysieren. Das Experiment
könnte zu einem besseren Verständnis grundlegender biologischer Vorgänge in Mikroorganismen beitragen.
SPQR, das seit mehr als 2000 Jahren den Senat und das Römische Volk bezeichnet („Senatus Populusque Romanus“),
erhält nun im Rahmen der Mission „Eneide“ eine neue Bedeutung, nämlich „Specular Point-like Quick Reference“,
zu deutsch reflektorbasierte punktartige Schnell-Erfassung - ein Experiment, das die Erprobung eines bodengestützten
Abbildungssystems unter Verwendung spezieller Optik und Bildverarbeitung vorsieht, um die Möglichkeit der
Erkennung äußerer Schäden an Raumfahrzeugen im All von der Erde aus zu bewerten. Grundlage des
Experiments ist ein kubischer Winkelspiegel, der in der Nähe eines Fensters der Raumstation angebracht und
einen von einer Bodenstation ausgesendeten Laserstrahl reflektieren wird. |