Gouverneur Liebscher äußert große Sorge über geplante Aufweichung
Wien (oenb) - Die aktuellen Arbeiten der europäischen Finanzminister an einer Reform des Stabilitäts-
und Wachstumspakts lassen eine deutliche Aufweichung der Regeln zur Budgetdisziplin in Europa befürchten.
Insbesondere soll die Liste der außerordentlichen Ereignisse, die bei der Beurteilung eines übermäßigen
Defizits berücksichtigt werden, entscheidend erweitert werden. Eine Reihe von Budgetausgaben (wie für
Forschung und Entwicklung, Nettozahlungen an den EU-Haushalt, Deutschlands Wiedervereinigungskosten) sollen ausgeklammert
werden.
Die vorgeschlagenen zahlreichen zusätzlichen Ausnahmemöglichkeiten und ad hoc-Entscheidungsspielräume
der Politik würden bewirken, dass die Komplexität des Stabilitätspakts erheblich wächst und
eine strikte Implementierung schwieriger wird denn je. Die 3%-Defizitobergrenze des Maastrichter Vertrages würde
aufgeweicht. Die nationale Gleichbehandlung wäre kaum mehr gegeben. Die Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit
ginge weitgehend verloren. Vertrauensverlust in die Stabilität des europäischen wirtschaftspolitischen
Handlungsrahmens und möglicherweise auch in den Euro könnte die Folge sein. Dies würde der Glaubwürdigkeit
des europäischen Einigungsprozesses insgesamt schaden. Für die neuen Mitgliedstaaten ist eine schlechte
Vorbildwirkung zu befürchten.
Die derzeitigen Fiskalregeln des Maastrichter Vertrages und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sind ein
Eckpfeiler der europäischen Stabilitätsarchitektur und damit auch für die Funktionsfähigkeit
der Währungsunion. Ohne transparentes Fiskalregelwerk fällt den Finanzmärkten eine stärkere
Rolle zur Disziplinierung zu. Höhere Zinsprämien für alle Länder des Euroraums wären kein
unplausibles Szenario. Die zu erwartenden höheren Defizit- und Schuldenquoten würden den Spielraum mindern,
künftige Kosten der Bevölkerungsalterung abzufedern. |