Politikwissenschafter sehen Fortschritte, aber auch Defizite
Wien (pk) - Warum und wozu braucht man eine europäische Verfassung? War es sinnvoll, einen eigenen
Konvent mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs zu betrauen? Wie repräsentativ war dieser EU-Konvent
zur Zukunft Europas? Und was bedeutet die neue EU-Verfassung für das Europäische Parlament und die nationalen
Parlamente? Diesen und vielen anderen Fragen widmet sich die soeben erschienene neue Ausgabe des "Forum Parlament"
zum Thema "Verfassung für Europa".
Die Autorinnen und Autoren, zum überwiegenden Teil Politik- und Sozialwissenschafter, präsentieren zu
den einzelnen Aspekten dieses Schwerpunktthemas nicht nur zahlreiche Fakten, sie nehmen auch Bewertungen vor. So
kommt Heinrich Schneider in seinem einführenden Beitrag zum - "sehr vorläufigen" - Schluss,
dass der nunmehr vorliegende Verfassungstext aus Sicht der Befürworter einer Unionsverfassung mannigfache
Fortschritte bringt. Gleichzeitig warnt er jedoch vor drohenden Verfassungskonflikten, da der Verfassungsvertrag,
wie er meint, mit einer ganzen Reihe von Unausgewogenheiten ausgestattet ist. Für fraglich hält es der
Politikwissenschafter außerdem, ob alle Beteiligten und Betroffenen der Verfassung die erforderliche Loyaliät
entgegenbringen werden.
Mit den neuen Mitwirkungsmöglichkeiten der nationalen Parlamente an EU-Vorhaben setzen sich Andreas Maurer
und Daniela Kietz auseinander. Sie sehen im neuen "Frühwarnmechanismus", das den nationalen Parlamenten
ein frühzeitiges Eingreifen in den EU-Gesetzgebungsprozess ermöglicht, durchaus ein brauchbares Instrument,
um dem parlamentarischen Demokratiedefizit der Union entgegenzuwirken. Die Mitwirkungsdefizite der nationalen Parlamente
an der Arbeit der EU-Organe werden ihrer Ansicht nach damit jedoch nur ansatzweise behoben. Zudem glauben Maurer
und Kietz, dass die effektive Nutzung des Frühwarnsystems stark vom Selbstverständnis der jeweiligen
Parlamente abhängen wird. Auch jetzt bleibe die reale Beteiligung der Parlamente an EU-Vorhaben oft hinter
den formalen Möglichkeiten zurück, geben sie zu bedenken.
Petra Grabner skizziert die erweiterten Rechte des Europäischen Parlaments und stellt diesen erweiterten Rechten
die sinkende Wahlbeteiligung bei EP-Wahlen und das weitgehende Fehlen spezifisch europäischer Themen im Wahlkampf
gegenüber. Sie sieht es nicht zuletzt als eine der zukünftigen großen Aufgaben des Europäischen
Parlaments, seine bedeutende Rolle im europäischen Gesetzgebungsprozess zu kommunizieren. Ruth Picker und
Eva Zeglovits orten die Ursachen für die sinkende Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen unter anderem darin, dass
die Wählerinnen und die Wähler auf europäischer Ebene der Möglichkeit beraubt sind, eine Regierung
zu unterstützen oder zu bestrafen. Zusätzlich unterstütze das System der Mandatsaufteilung nationale
an Stelle von EU-weiten Wahlkämpfen und erschwere das Fehlen einer europäischen Parteienlandschaft eine
europäische "Themenlandschaft", meinen sie.
Zwei Beiträge im Forum Parlament befassen sich mit dem Entstehen der EU-Verfassung. Johannes Pollak und Peter
Slominski heben hervor, dass es durch die Einsetzung eines eigenen Konvents zu einer "Parlamentarisierung"
des Vertragsveränderungsverfahrens kam, auch wenn dieser ihrer Ansicht nach Defizite bei der personellen Zusammensetzung
aufwies. Helmut P. Gaisbauers Beitrag legt den Verdacht nahe, dass die Arbeit des Konvents in den neuen EU-Staaten
weniger positiv als in den alten Mitgliedsländern beurteilt wurde.
In der Rubrik "Parlamentarisches Schlagwort" beschreibt Susanne Bachmann welche Schritte das österreichische
Parlament plant, um die in Aussicht stehenden neuen Mitwirkungsrechte in EU-Angelegenheiten effizient wahrnehmen
zu können.
Das Forum Parlament ist ein Medium für den Diskurs über Themen des Parlaments und erscheint zweimal jährlich
als Beilage zum Journal für Rechtspolitik. Die aktuelle Ausgabe findet sich - ebenso wie die bereits erschienenen
Schwerpunkthefte zu den Themen EU-Konvent, Wahlen, Österreich-Konvent, Parlament und EU, Bürgernähe
und Transparenz - auch auf der Homepage des Parlaments (www.parlament.gv.at), und zwar im virtuellen Lesesaal unter
dem Menüpunkt "Service und Kontakt". |