Integration und sprachliche Qualifikation für Teilnahme am Bildungsprozess entscheidend
Wien (sk) - Österreich profitierte sowohl wirtschaftlich als auch politisch vom EU-Beitritt,
betonte SPÖ-Parteivorsitzender Alfred Gusenbauer in seinem Referat "Bildungspolitik im europäischen
Kontext", das er am Mittwoch (13. 04.) im Rahmen der Veranstaltung "pibfrühjahrstreff"
(Pädagogisches Institut des Bundes) unter dem Motto "Bildung im Medium des Berufs" hielt. Positiv
äußerte sich Gusenbauer auch zur EU-Erweiterung 2004 sowie zur Euro-Einführung. Um der in Österreich
dennoch vorhandenen EU-Skepsis entgegen zu wirken, plädierte Gusenbauer unter anderem dafür, den "europäischen
Wahlprozess zu politisieren". In der Frage der Bildungspolitik sagte Gusenbauer, dass "hohe Qualifikationen
der Bevölkerung auf allen Ebenen" notwendig seien, um den Lebensstandard zu erhalten: Integration und
sprachliche Qualifikation seien demnach die Hauptherausforderungen der österreichischen Politik.
"Durch den EU-Beitritt vor zehn Jahren konnte die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs sehr profitieren",
sagte Gusenbauer, auf die Export orientierte Wirtschaft Österreichs verweisend. Auch politisch habe Österreich
Vorteile erfahren, so Gusenbauer: "Die EU ist so angelegt, dass die kleinen Staaten gegenüber den größeren
ein überproportionales Mitbestimmungsrecht haben." Allerdings hätte Österreich diesen Vorteil
nicht entsprechend genutzt, bemängelte der Parteivorsitzende: "Die EU wird oft als etwas von uns Fremdes
gesehen." Jene Staaten, die sich um EU-Anliegen kümmern, hätten auch bei der Durchsetzung eigener
Interessen einen stärkeren Rückhalt: "Es ist an der Zeit, das Denken und Handeln zu europäisieren."
Auch von der EU-Erweiterung 2004 habe kaum ein Land so profitiert wie Österreich. Die Investitionen in die
neuen EU-Staaten hätten bereits vor der Erweiterung stattgefunden, erinnerte der Parteivorsitzende und rückte
ein Bild zurecht: "Ein Teil des Wirtschaftswachstum dieser Länder fließt nach Österreich."
Durch die Erweiterung würden österreichische Firmen auch erstmal zu internationalen Headquarters werden,
zeigte Gusenbauer einen weiteren Vorteil auf. Auch die befürchteten Bewegungen am Arbeitsmarkt seien ausgeblieben.
Gusenbauer: "In Slowenien arbeiten heute mehr Österreicher als Slowenen in Österreich."
Durch die Einführung des Euro wurden in der Euro-Zone Währungsschwankungen ausgeschlossen, zeigte sich
Gusenbauer erfreut, da nur ein kleiner Prozentsatz der Exporte diese Zone verlassen würde. Schwankungen, wie
sie zwischen dem Euro und dem Dollar gegeben sind, hätten innerhalb der Euro-Zone dramatische wirtschaftliche
Folgen, so Gusenbauer.
Skepsis gegenüber der EU abbauen und Wahlprozess politisieren
Einer der Gründe, warum die ÖsterreicherInnen der EU dennoch skeptisch gegenüber stehen,
liege in unerfüllten Hoffnungen. Zudem sei, so Gusenbauer, die Bevölkerung über die EU-Politik nicht
ausreichend informiert, obwohl bereits über die Hälfte der Gesetze auf europäischer Ebene beschlossen
werden würden. Im Gegensatz zum "Duellprinzip der österreichischen Politik, dem Match Bundesregierung
gegen Opposition", sei die EU-Gesetzgebung auf fachlicher Ebene verlagert, zeigte Gusenbauer einen Unterschied
zwischen heimischer und EU-Politik auf. Dennoch seien Berichterstattungen auf EU-Gipfeltreffen fokussiert, "die
wiederum einen Versuch darstellen, den Matchcharakter der europäischen Politik zu etablieren".
"Das meiste in der EU kann ohne österreichische Zustimmung nicht beschlossen werden", erinnerte
Gusenbauer an die Verhandlungen in Brüssel. Dennoch würde die österreichische Bundesregierung oft
den Eindruck vermitteln, dass EU-Entscheidungen losgelöst von der heimischen Willensbildung stattfänden.
Kritik übte Gusenbauer auch am mangelnden Einfluss der EU-Wahlen, weshalb der europäische Wahlprozess
zu politisieren sei: "Die Menschen müssen den Eindruck haben, dass ihre Wahlentscheidungen auch darauf
Auswirkungen haben, wer tatsächlich regiert. Das ist auch der Kernpunkt der Demokratie." Die europäische
Verfassung bezeichnete Gusenbauer als einen "Schritt in die richtige Richtung".
Bildung, um neues Subproletariat zu verhindern
In den Bereichen Forschung und Wissenschaft seien in der EU zwar gute Fortschritte erzielt worden, dennoch müsse
sich die EU auf dem universitären Sektor stärker engagieren. Die talentiertesten Köpfe Europas würden
meist in die USA emigrieren und auch dort bleiben, äußerte Gusenbauer sein Bedauern. Er plädierte
für eine Alternative auf europäischer Ebene: "Die finanzielle Ausstattung der Universitäten
auf nationaler Ebene ist eine nationale Aufgabe. Aber das Schaffen einer Elite-Universität auf europäischer
Ebene muss eine europäische Aufgabe sein."
Vergleiche wie die Pisa-Studie seien enorm wichtig, um Veränderungen in die Wege zu leiten, sagte Gusenbauer,
der die Präsentation der Zukunftskommission als "ersten guten Schritt" bezeichnete. Auch die Beseitigung
der Zwei-Drittel-Mehrheit im Bildungsbereich würde Reformen ermöglichen, so Gusenbauer weiter. Um den
Lebensstandard in Österreich zu erhalten und um wettbewerbsfähig zu bleiben, gebe es keine andere Alternative
als hohe Qualifikationen auf breiter Ebene: "Ob Österreich im internationalen Vergleich auf- oder absteigt,
hängt vor allem mit der Bildungsfrage zusammen."
Fast die Hälfte aller Volksschüler hätte einen nicht deutschsprachigen Hintergrund, sagte Gusenbauer:
"Schule und Integration dürfen kein Randthema mehr sein." 20 Prozent aller 15-jährigen hätten
enorme Schwierigkeiten damit, Sinn zusammenhängend zu lesen, kritisierte Gusenbauer das österreichische
Bildungsmodell. Er, so Gusenbauer, befürchte, dass ein neues Subproletariat im großen Ausmaß entstehen
werde. "Integration und sprachliche Qualifikation sind für die Teilnahme am Bildungsprozess ganz entscheidend.
Das ist auch ein Hauptherausforderung, die Österreich bewältigen muss". Eine neue Bundesregierung,
die es hoffentlich bald geben werde, werde dieses Problem lösen müssen, so der Parteivorsitzende abschließend. |