Bildungspolitik / Zukunftskommission  

erstellt am
15. 04. 05

Qualitätsentwicklung vor Strukturreform
Ergebnis entstand in unabhängiger Arbeit
Wien (bm:bwk) - Der Vorsitzende der Zukunftskommission, DDr. Günter Haider dankte Ministerin Gehrer bei der Präsentation des Abschlussberichts für ihr Vertrauen und dafür, dass sie ihren Bericht unabhängig ausarbeiten konnte. Im Zentrum der Reformstrategie steht dabei das Reformziel, die Schule und den Unterricht systematisch zu verbessern.

Die Zukunftskommission begründet dies in ihrem Abschlussbericht mit folgenden wissenschaftlichen Argumenten: „Sowohl Ergebnisse neuerer Leistungsmessungen (vor allem PISA) als auch die seit mehr als einem Jahrzehnt laufenden Überlegungen zur Qualitätsverbesserung in den Schulen sowie die Analyse der Rahmenbedingungen in Österreich legen nahe, die Lehr-/Lernprozesse im Unterricht, die Unterrichtsinhalte und die Unterrichtsmethoden, somit ‚Guten Unterricht’ in das Zentrum von Reformmaßnahmen zu rücken.“ Das Schwergewicht der Vorschläge der Zukunftskommission liege daher auf Unterrichtsverbesserungen durch Maßnahmen zur Schulentwicklung und Qualitätssicherung. Äußere Strukturveränderungen (Gesamtschule, Verlängerung der Volksschulzeit, Verlängerung der Schulpflicht etc.) werden als langfristige Projekte angesprochen, spielen aber im vorliegenden Konzept keine Rolle.

In einem Exkurs „Qualitätsentwicklung versus Strukturänderung“ verweist die Zukunftskommission darauf, dass die internationalen Erfahrungen zur Schulstruktur uneindeutig sind: „Wir finden sowohl Beispiele für integrative Systeme mit unterdurchschnittlichen (z.B. Italien), als auch gegliederte Systeme mit überdurchschnittlichen Ergebnissen (z.B. Niederlande). Zudem nehmen im innerdeutschen Vergleich jene Bundesländer Spitzenpositionen ein, die ausschließlich mit gegliederten Systemen arbeiten“. Auch die Expertenmeinungen gehen laut Zukunftskommission in dieser Frage auseinander.

Die Zukunftskommission stellt fest, dass es „Die Gesamtschule“ nicht gibt. Verschiedene Modelle der Schulstruktur haben verschiedene Stärken und Schwächen. Die Einrichtung einer von Ministerin Gehrer vorgeschlagenen Expertengruppe, die sich mit diesen Fragen wissenschaftlich auseinander setzt, bezeichnet die Zukunftskommission als sinnvoll. Die Zukunftskommission hält aber auch deutlich fest, dass die Schulstruktur nicht ausschlaggebend für die Weiterentwicklung der Qualität des Schulwesens ist, sondern die systematische Verbesserung von Schule und Unterricht, weshalb diese im Zentrum der Arbeit der nächsten Jahre steht.

 

 SPÖ sieht einige wichtige Punkte - Umsetzung muss sofort erfolgen
Niederwieser, Kuntzl, Broukal kritisieren "Arbeitstempo" Gehrers
Wien (sk) - Die SPÖ sieht im Endbericht der Zukunftskommission einige wichtige Punkte, wobei viele Vorschläge bereits längst von der SPÖ gemacht wurden und fordert nun eine rasche Umsetzung im Parlament. Zu diesem Schluss kommen SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser, SPÖ-Familiensprecherin Andrea Kuntzl und SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal Donnerstag (14. 04.) in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Auf weitere Kommissionen könne die SPÖ gerne verzichten, so Niederwieser, der Zweifel hegt, ob es auch wirklich zu einer raschen Umsetzung kommen wird. "Alle, die sich mit Schule befassen, kommen zu ähnlichen Schlussfolgerungen, ausschließlich einer Person, nämlich die zuständige Ministerin, bewegt sich nicht", so Kuntzl. Und Broukal kritisiert, dass Gehrer nun - 130 Tage nach Bekanntwerden der PISA-Studie - deren Ergebnisse anzweifelt.

Der Endbericht der Zukunftskommission sei ein guter, "fallweise liest er sich aber wie ein Bericht der diplomatischen Akademie, vermutlich um nicht zu sehr den Unmut von Ministerin Gehrer zu erregen", so Niederwieser. Insgesamt würden sich viele wichtige Vorschläge finden, die jedoch von der SPÖ schon im aktuellen Bildungsprogramm bzw. sogar schon vor zehn Jahren gemacht worden seien. Der SPÖ-Bildungssprecher sieht Lücken in folgenden Bereichen: Die berufsbildenden Schulen würden völlig ausgespart, obwohl sie vom dramatischen PISA-Ergebnis extrem betroffen seien. Nur ein einziger Absatz über "Inklusiven Unterricht" sei zu wenig, der Integration von behinderten Kindern müsse mehr Beachtung geschenkt werden. Schließlich sei auch die Position der Zukunftskommission zur Gemeinsamen Schule der 10- bis 15-Jährigen enttäuschend. Broukal wirft der Zukunftskommission in diesem Zusammenhang "Feigheit" vor: Die Kommission sehe die Gemeinsame Schule bzw. Gemeinschaftsschule zwar als die bessere Form an und kritisiere auch das derzeit stark selektive System, erkläre aber zugleich, dass man die Umsetzung der ÖVP und ÖVP-dominierten AHS-Lehrern nicht zumuten könne. Es wäre besser gewesen, zu appellieren, dass man für das bessere Modell werben soll. "Man kann den Druck, der dahinter steht, nur vermuten", so der SPÖ-Wissenschaftssprecher.

Den Vorschlag der Zukunftskommission, dass Klassenwiederholungen in der Pflichtschule nur mehr auf Antrag der Eltern möglich sein sollen und die AHS-Oberstufe mit einem Kurssystem geführt wird, beurteilt Niederwieser als "vernünftig". Allerdings ändere dies nichts am selektiven Bildungssystem mit AHS und Hauptschule. Der Vorschlag sei zwar eine Verbesserung innerhalb des Systems, aber noch keine gute Systemreform mit einer Gemeinsamen Schule und einer individuellen rechtzeitigen Förderung, die Repetieren unnötig macht, wie sie die SPÖ fordert.

Niederwieser hielt in seiner Analyse außerdem fest, dass Unterstützungssysteme natürlich wichtig seien, Realität aber sei, dass Tausende Stützlehrer gestrichen wurden und das Personal für Fördermaßnahmen fehle. Die sogenannte Qualitätsoffensive 2004 der Ministerin bestehe großteils aus alten Maßnahmen noch aus anderen Regierungen. Groß ist in der SPÖ der Zweifel, ob es auch tatsächlich zur Umsetzung der Maßnahmen kommen wird. Die SPÖ sei aber auf jeden Fall arbeitsbereit und werde im Parlament entsprechende Anträge einbringen. Außerdem werde die SPÖ dort, wo sie in den Ländern Verantwortung trägt, eine rasche Umsetzung verfolgen.

Kuntzl: SPÖ will Kindergarten-Gipfel und Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung
Als einen für die SPÖ zentralen bildungspolitischen Punkt nannte SPÖ-Familiensprecherin Kuntzl die Frühförderung; sie entscheide darüber, "ob ein späteres Scheitern schon im Ansatz verhindert werden kann". Allerdings können im Österreich-Schnitt nur 85 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen einen Kindergarten besuchen, diese Zahl müsse angehoben werden, zumal der Kindergarten "schon lange keine 'Aufbewahrungsstätte' mehr ist, sondern dort auch die Startchancen definiert werden". Als Sofortmaßnahmen sollte es dafür einen "Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für Drei- bis Fünfjährige geben", fordert Kuntzl, "das kann morgen im Parlament beschlossen werden". Zusätzlich müssten pädagogische Standards - die SPÖ will etwa eine Gruppengröße von maximal 20 Kindern, verstärkte Förderungsdiagnostik und eine bessere Ausbildung der Kindergärtnerinnen - definiert werden. Dazu sollte es "umgehend" einen Gipfel mit der Bildungsministerin und den zuständigen Vertretern der Länder geben, um über Angebote und Bildungsziele der vorschulischen Förderung zu verhandeln. "Im Vorfeld sollte Gehrer mit Finanzminister Grasser ein Startpaket zur Finanzierung ausverhandeln und zu dem Gipfel gleich mitbringen", so Kuntzls Forderung.

Auch der Bereich der Ganztagsbetreuung der Schulkinder findet sich prominent im Bericht der Zukunftskommission, wobei diese einen Anspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz für alle Sechs- bis 14-Jährigen vorschlägt. Die SPÖ wird einen entsprechenden Antrag im Parlament einbringen, kündigte Kuntzl an. Allerdings müsse sichergestellt sein, dass es nicht nur um die zeitliche Entlastung der Eltern und die Aufbewahrung am Nachmittag geht, sondern auch um ein pädagogisches Konzept. Die SPÖ will jedenfalls auch ausreichend "echte" Ganztagsschulen in verschränkter Form.

Broukal zu Gehrer: "Ignorance is strength"
Ein "perfides Stück" ist für SPÖ-Wissenschaftssprecher Broukal, dass sich Gehrer mit PISA-Leiter Haider zu einer Pressekonferenz setzt und zur selben Zeit die Meldung veröffentlicht wird, dass Gehrer Zweifel an PISA hegt. "Nach 130 Tagen kommen Gehrer erst die Zweifel!", so Broukal. Für den SPÖ-Wissenschaftssprecher ist dies ein weiteres Beispiel für das "Arbeitstempo" der Ministerin, ebenso wie das Vorhaben Gehrers, eine weitere Kommission einsetzen zu wollen. "Die nächste Kommission wird aber schon an ihrer Nachfolgerin berichten." Broukal kritisierte außerdem, dass das Bildungsministerium über viel zu wenig Daten verfüge. "Was kann die Ministerin über die Schule wissen, wenn ihre Statistiken aus dem Jahr 2001 stammen", so Broukal George Orwell mit "Ignorance is strength" zitierend. Es stelle sich die Frage, wie das Bildungsministerium überhaupt von PISA überrascht werden könne, erklärte der SPÖ-Wissenschaftssprecher und kritisierte abschließend die mangelnde Bildungsforschung.

 

 Lopatka: Nicht Jammern, sondern Umsetzung der acht Arbeitspakete Gehrers unterstützen
Zustimmung zur Aufhebung der 2/3-Blockade wird Prüfstein
Wien (övp-pk) - Wenn SPÖ und Grünen die Weiterentwicklung des österreichischen Schulwesens wirklich ein Anliegen ist, dann sollten sie ihre Jammer-Rhetorik begraben und Ministerin Gehrer bei der Umsetzung der von ihr geschnürten acht großen Arbeitskreise für die Schule Neu unterstützen, sagte ÖVP-Generalsekretär Dr. Reinhold Lopatka am Donnerstag (14. 04.). "Mit den darin enthaltenen Umsetzungsschritten der Vorschläge der Zukunftskommission werden Schule und Unterricht systematisch verbessert", so Lopatka.

"Die Experten der Zukunftskommission betonen, dass die 'Reformstrategie Schule und Unterricht systematisch verbessert' werden muss und dass die 'Qualitätsentwicklung vor Strukturreformen' steht", so der ÖVP-Generalsekretär. "Wenn SPÖ und Grüne immer noch die Einführung einer flächendeckenden Gesamtschule als allein selig machende Maßnahme wollen, zeigt das, dass sie den Abschlussbericht der Zukunftskommission entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Es ist schade, wenn die SPÖ Polemik vor Sachpolitik stellt, der Zukunftskommission ungerechtfertigter Weise Feigheit vorwirft und präventiv Zweifel an der Umsetzung äußert", so Lopatka.

Anstatt präventiv Zweifel über die Umsetzung zu säen, sollte die SPÖ endlich der Aufhebung der 2/3-Mehrheit für Schulgesetze zustimmen, mit der sie in den letzten Jahren von Ministerin Gehrer und der ÖVP eingebrachte Weiterentwicklungen für die Schule im Parlament blockiert hat. "Die SPÖ hat selbst die Abschaffung der 2/3-Mehrheit ohne Wenn und Aber gefordert. Die ÖVP ist dazu bereit. Die SPÖ soll jetzt endlich dem zustimmen, was sie selbst verlangt", so Lopatka. Weiterentwicklungen zu fordern und sich gleichzeitig an die 2/3-Mehrheit zu klammern, Schulgesetze im Parlament zu blockieren und dann zu kritisieren, dass sie nicht umgesetzt werden, das ist billige Polemik und bringe das Schulwesen nicht weiter.

An den Aussagen von SPÖ und Grünen werde deutlich, was die Opposition wirklich wolle: das Budget sprengen und Schulden machen. Österreich investiert überdurchschnittlich viel in Bildung. Laut OECD-Vergleich "Bildung auf einen Blick 2004" liegen wir im EU- Vergleich bei den Ausgaben pro Volksschüler an 4. Stelle, in der Hauptschule und AHS-Unterstufe an 2. Stelle und bei den weiterführenden Schulen an 3. Stelle. "Damit ist es möglich, die in den acht Arbeitspaketen geplanten Vorhaben in dieser und der nächsten Legislaturperiode umzusetzen, wie es ja auch von der Zukunftskommission vorgeschlagen wird", so Lopatka abschließend.

 

 Brosz: Nur ÖVP blockiert Einführung der gemeinsamen Schule
Brosz: Frontalattacken der Zukunftskommission gegen bisherige Politik
Wien (grüne) - Nach der Vorlage des Endberichts der Zukunftskommission wollen die Grünen "jetzt erst recht" die Einführung einer gemeinsamen Schule. Bildungssprecher Dieter Brosz hält die Aussparung einer Empfehlung in diese Richtung für den "zentralen Fehler" des ExpertInnenengremiums. Dieses hatte zwar "Sympathien" für eine gemeinsame Schule nach dem finnischen Modell anklingen lassen, wegen der fehlenden Umsetzungschancen aber von einer Empfehlung Abstand genommen. "Die politische Wertung, ob ein großer Wurf sinnvoll ist, sollte der Politik überlassen werden", so Brosz bei einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Auf der anderen Seite sei er aber durchaus zufrieden mit dem Bericht, so Brosz. Darin fänden sich Hinweise, welche Vorteile eine gemeinsame Schule brächte und wie sie funktionieren könne. "Was drin steht, könnte man fast eins zu eins übernehmen", meinte der Bildungssprecher: "Dieses Modell hat eigentlich nur einen Gegner - die ÖVP."

Wenn man den Endbericht der Kommission aufmerksam lese, würden sich darin zum Teil "Frontalattacken gegen die bisherige Schulpolitik finden", betonte Brosz. Als Beispiele nannte er die Vorstellungen der Kommission zu den Bildungsstandards, die Vorschläge zur höheren finanziellen Dotierung einiger Bereiche und die Empfehlungen zur sprachlichen Frühförderung. "Sehr positiv" bewertete Brosz auch die vorgeschlagene Einführung eines Kurssystems in der Oberstufe sowie die Einschränkung der Klassenwiederholungen - auch wenn die Kommission ihren ursprünglichen Vorschlag etwas zurückgenommen habe.

Nicht einverstanden ist Brosz mit den Vorschlägen der Kommission zur Freigabe der KlassenschülerInnenhöchstzahl in die Autonomie der Schule. Dies sei zwar andenkbar, wenn genügend Ressourcen da seien, "aber nicht unter den derzeitigen Rahmenbedingungen mit ständig steigenden SchülerInnenzahlen in den Klassen".

Paradox findet Brosz die Aussage Gehrers, wonach der Kommissions-Bericht den Regierungskurs stärke: Wenn die nächste PISA-Studie im Bildungsministerium durchgeführt werde, "würden wir auf Grund der eklatanten Interpretationsschwierigkeit von Texten bei Erwachsenen auch mit Uruguay nicht mithalten können". Der Ministerin will es Brosz in Zukunft nicht leicht machen: Die Grünen würden zu verschiedenen Punkten Anträge im Parlament einbringen sowie eine Kostenberechnung für die vorgeschlagenen Maßnahmen fordern.

 

 

 

 
     

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

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