Bundesrat: Mehrheit für Antrag auf Amtsenthebung der Bundesregierung  

erstellt am
15. 04. 05

31 Ja-Stimmen, 30 Nein-Stimmen für S-Entschließungsantrag
Wien (pk) - Das Plenum des Bundesrates hat heute Abend einen Entschließungsantrag der SPÖ auf Amtsenthebung der Bundesregierung mit 31 zu 30 Stimmen angenommen. Der Antrag wurde von SPÖ-Bundesrat Reisenberger in der Debatte über eine Dringliche Anfrage der SPÖ an den Bundeskanzler eingebracht und mit dem Argument vertreten, die Zeit sei reif für Neuwahlen und die Mehrheit der Österreicher spreche sich in Umfragen für Neuwahlen aus. Der Antrag lautet: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Sinne des Art. 74 Abs. 3 B-VG dem Herrn Bundespräsidenten mitzuteilen, dass sie über ihren Wunsch des Amtes zu entheben ist.“

Die Dringliche Anfrage der SPÖ mit dem Titel „BZÖ-Regierungsbeteiligung verstärkt die Handlungsunfähigkeit und Instabilität der Regierung und zementiert den politischen Stillstand“ war von Bundesrat KONECNY (S) gestellt und begründet worden. Er sagte, seine Fraktion vertiefe ein Thema, das alle Österreicher derzeit bewege und das auch schon im Nationalrat ausführlich behandelt wurde. Man habe es hier mit einem Problem zu tun, das einer Lösung harre. Schon bisher habe sich diese Regierung durch ein gewisses Maß an Instabilität ausgezeichnet, seien doch seit 2000 insgesamt 13 Regierungsmitglieder ausgewechselt worden.

Wichtige Ressorts hätten pausenlos neue Minister aufgewiesen, was dazu geführt habe, dass Österreich in wichtigen Fragen überall verloren habe. Diese Regierung sei mithin "nicht wirklich eine Erfolgsgeschichte". Vielmehr sei sie "politisch mannigfach gescheitert", wie man an der hohen Arbeitslosigkeit und am Anwachsen der Armutsgefährdung ablesen könne.

Die Regierung habe falsche Maßnahmen gesetzt wie etwa die verfehlte Pensionsreform, welche die Menschen um ihre Lebensplanung gebracht habe. Die so genannten Reformen hätten keinerlei Entwicklung zum Positiven bewirkt, und auch in der Budgetpolitik sei kein Erfolg dieser Regierung zu konstatieren.

Nun müsse man sich die Frage stellen, ob es überhaupt noch eine Regierung gebe bzw. welche Legitimation diese habe. An die Adresse der ÖVP gewandt erinnerte der Redner daran, dass man sie 2000 und 2003 vielfach vor einer solchen Koalition gewarnt habe. Die Folgen dieses Entschlusses seien nun zu sehen, unterstrich der Redner.

Die zweite Koalitionspartei zerfalle gegenwärtig in mehrere Teile, und dies werde sicherlich nicht zur Stabilität dieser Regierung beitragen, zeigte sich der Redner überzeugt. Dies und die öffentliche Meinung sollten der ÖVP zu denken geben, resümierte Konecny abschließend.

Staatssekretär MORAK wies in Beantwortung der Dringlichen Anfrage darauf hin, dass das Regierungsübereinkommen von Vertretern der ÖVP, der FPÖ, des ÖVP-Klubs des FPÖ-Klubs ausgehandelt und von beiden Klubs bestätigt worden sei. Die Regierung wolle dieses für vier Jahre abgeschlossene Programm auch umsetzen, bekräftigte er und wies auf zahlreiche anstehende Entscheidungen hin. Unter anderem nannte er die Ratifizierung der EU-Verfassung, die Abschaffung der Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetze und den geplanten Arbeitsmarktreform-Gipfel. Neuwahlen würden, so Morak, Stillstand bedeuten.

Der Staatssekretär betonte darüber hinaus, dass die Regierung auch im Nationalrat eine Mehrheit habe, wie die Ablehnung des Misstrauensantrags und der Beschluss des Budgets 2006 gezeigt hätten. Zu den Fragen, welche Mitglieder des Bundesrates und welche Mitglieder des Nationalrates heute Stand 12 Uhr dem Regierungspartner BZÖ angehörten, merkte Morak an, die einzelnen Mandatare seien nicht verpflichtet, dem Bundeskanzler ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Partei zu melden.

Bundesrat WIESENEGG (S) zeigte kein Verständnis dafür, dass sich ÖVP und FPÖ Neuwahlen "versperren", und meinte, die Vorkommnisse der letzten Tage seien "ein Skandal", der in Österreich seinesgleichen suche. Die Moral wurde ihm zufolge von den handelnden Personen "völlig außer Acht gelassen". Wiesenegg sprach von einem "kalten Putsch" Haiders und erinnerte in diesem Zusammenhang an die damals heftige Kritik des Kärntner Landeshauptmanns an der Gründung des Liberalen Forums.

Bundesrat BIERINGER (V) räumte ein, dass die aktuellen politischen Ereignisse nicht alltäglich seien, für ihn ist es aber, wie er sagte, wichtig, dass die Regierung eine parlamentarische Mehrheit hat. Diese ist seiner Meinung nach sowohl im Nationalrat als auch im Bundesrat gegeben.

Als "starkes Stück" wertete Bieringer, FPÖ-Bundesrat Böhm in der Dringlichen Anfrage zu unterstellen, nur deshalb eine gemeinsame blau-orange Fraktion im Bundesrat aufrechterhalten zu wollen, um seine Funktionszulage zu behalten, auch wenn Bundesrat Konecny diese Aussage mittlerweile zurückgenommen habe. Der SPÖ im Allgemeinen und SPÖ-Vorsitzendem Gusenbauer im Speziellen warf er vor, einen "Zick-Zack-Kurs" zu verfolgen.

Bundesrätin KERSCHBAUM (G) sprach sich für Neuwahlen aus, da diese ihrer Meinung nach der einzige Ausweg aus dem bestehenden "Chaos" wären. Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf eine jüngste Meinungsumfrage, der zufolge 57 % der Bevölkerung für Neuwahlen eintreten. Kerschbaum hält viele Fragen für ungeklärt, beispielsweise ob das BZÖ eine Partei oder ein Bündnis oder eine Plattform sei, wem welche Schulden und welche Parteigelder gehörten oder welcher Mandatar wo zuzuordnen sei. Kerschbaum erklärte, sie könne sich nicht vorstellen, dass die Regierung unter den gegebenen Umständen in den nächsten eineinhalb Jahren noch viel weiterbringen werde.

Bundesrat WEILHARTER (F) beklagte, die vorliegende Dringliche Anfrage strotze vor "Unterstellungen, Anwürfen und Beleidigungen". Insbesondere die "infame Unterstellung", FPÖ-Bundesratsfraktionsvorsitzendem Böhm gehe es nur um seine Funktionszulage, wies er aufs Schärfste zurück. So lange sich nicht alle Unterzeichner der Dringlichen Anfrage davon distanzierten, würden die freiheitlichen Bundesräte nicht an der Debatte teilnehmen, kündigte Weilharter an.

Bundesrat GRUBER (S) bedauerte den Auszug der FPÖ-Fraktion und machte geltend, dass sich SPÖ-Fraktionsvorsitzender Albrecht Konecny bereits bei Bundesrat Böhm entschuldigt habe. Diese Entschuldigung werde auch von den anderen Fraktionsmitgliedern mitgetragen, betonte er.

Die Regierung wurde von Gruber, nicht zuletzt auf Grund ihrer Abhängigkeit von Jörg Haider, als instabil charakterisiert. Zudem warf er der Koalition vor, sich der Realität zu verweigern. Die Wählerverluste der FPÖ in den letzten Jahren führt Gruber nicht zuletzt darauf zurück, dass sie durch ihre Politik für "den kleinen Mann" unglaubwürdig geworden sei. Massive Kritik übte er auch an der ÖVP und bezeichnete sie als "Österreichische Verschwenderpartei".

Bundesrat Mag. HIMMER (V) erinnerte daran, dass SPÖ-Vorsitzender Gusenbauer Anfang April gesagt hat, dass solange die parlamentarische Mehrheit der Regierung gesichert sei, die Arbeit fortgesetzt werden könne. Der Redner war überzeugt davon, dass die österreichische Bevölkerung wie schon in den letzten Jahren auch in Zukunft hinter dem Bundeskanzler Schüssel stehen wird. Außerdem wissen die Menschen, dass die Alternative Gusenbauer heißt, führte Himmer weiter aus, und diese Lösung fasziniere wenige. Was die Sorge um die "verratenen FPÖ-Wähler" angeht, so solle man nicht vergessen, dass es ein freies Mandat gibt. Vielleicht wird die Bevölkerung durch diese Entwicklung dahingehend sensibilisiert, dass sie sich in Zukunft genauer anschaut, welchen Personen sie ihre Stimme gibt.

Dass die Politik der Regierung erfolgreich sei, beweise zum Beispiel die Tatsache, dass die Abwanderung von Betrieben verhindert wurde und dass sich sogar einige Unternehmen aus Deutschland in Österreich angesiedelt haben. Wenn man nicht noch immer die Zinsen aus der Ära Kreisky abbezahlen müsste, dann hätte man sogar einen ausgeglichenen Haushalt erreicht, merkte Himmer in Richtung der SPÖ an.

Die Sozialdemokraten können sich offensichtlich noch immer nicht damit abfinden, dass ihre altmodische Politik abgewählt wurde.

Eigentlich könne man der ÖVP derzeit nur gratulieren, denn so billig gab es eine Koalition wohl noch nie, urteilte Bundesrat SCHENNACH (G). Die Tatsache, dass die dominante Haltung der ÖVP den Regierungspartner in zwei Teile zerreißt, habe aber auch seine Vorteile. Denn so könne man heute in den Zeitungen lesen, dass die Innenministerin das Asylpaket wieder aufknüpft, weil anscheinend die Blockadepolitik der FPÖ "nicht mehr zieht". Sorgen mache ihm jedoch, wie die derzeitige Regierung am Vorabend der EU-Präsidentschaft im Ausland gesehen wird. Damit möglichst bald wieder stabile Verhältnisse herrschen, sollte der Weg für Neuwahlen eröffnet werden, forderte Schennach.

Bundesrat Dr. GUMPLMAIER (S) zeigte sich nicht überrascht über das Verhalten der ÖVP-Fraktion, denn schon längst habe man sich daran gewöhnt, dass Kriterien wie Redlichkeit, politische Moral, Wahrheit, Glaubwürdigkeit keine erstrebenswerten Zielvorgaben darstellen. Anstatt über die wirklich wichtigen Fragen, die die Republik beschäftigen, zu diskutieren, werde die öffentliche Aufmerksamkeit auf Farbenspiele gelenkt, bemängelte Gumplmaier. Die Regierung sollte sich vielmehr damit beschäftigen, dass es seit dem Jahr 2000 täglich um 40 arbeitslose Personen mehr gibt. Es müsste daher endlich der Weg freigemacht werden nicht nur für einen Regierungswechsel, sondern vor allem für einen Politikwechsel, forderte der Bundesrat.

Bundesrat REISENBERGER (S) war der Auffassung, dass durch die Turbulenzen in der Regierung das Land auf ganz brutale Weise in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Devise laute offenbar, solange wie möglich durchhalten, um den Wählern nicht die Chance zu geben, darüber zu entscheiden, ob sie eine Fortsetzung dieses Kurses unterstützen oder nicht. Vielleicht sollten auch die ÖVP-Funktionäre einmal darüber nachdenken, ob das, was derzeit passiert, noch akzeptabel ist, schlug Reisenberger vor. Schüssel glaubt, dass er mit der BZÖ ein neues "Ruderleiberl" bekommen hat, aber das werde ihm wenig Glück bringen. Die Österreicher haben genug von den sozialen Belastungen, die ihnen in den letzten Jahren zugemutet wurden. Insgesamt habe es sich um 38 "Schandtaten" gehandelt, zeigte Reisenberger auf, und zwar beginnend von den Pensionskürzungen bis hin zur so genannten Steuerreform. Die Zeit sei reif für Neuwahlen, denn mit diesem Partner könne man sicher nicht von einer stabilen Bundesregierung sprechen. Umfragen belegen, dass sich mittlerweile die Mehrheit der Österreicher für Neuwahlen ausspricht. Seine Fraktion habe deshalb einen Entschließungsantrag betreffend Amtsenthebung der Bundesregierung eingebracht.

Der Entschließungsantrag wurde mit 31-Ja-Stimmen zu 30-Nein-Stimmen angenommen.


Anmerkung der Redaktion: Dieser Entschließungsantrag hat allerdings keine Auswirkungen, da sich weder die Regierung, noch der Nationalrat damit befassen muß. Wie auch die veränderten Mehrheitsverhältnisse keinen Einfluß auf die Gesetzgebung haben: der Bundesrat hat somit zwar Einspruchsrecht, kann aber keine Gesetze verhindern. (mm)
     
zurück