Demokratiedefizit der EU wird deutlich reduziert -Beschluss ist zu begrüßen, auch wenn
nicht alle Erwartungen erfüllt werden
Wien (sk) - Die Europäische Verfassung, die das österreichische Parlament voraussichtlich im Mai
ratifizieren wird, ist nach Ansicht von SPÖ-Vorsitzendem Alfred Gusenbauer jedenfalls ein Fortschritt für
die Union. "Der Beschluss ist ein Schritt vorwärts, das Scheitern würde einen bedeutenden Rückschlag
für Europa bedeuten", erklärte Gusenbauer. Die SPÖ werde die EU-Verfassung ratifizieren, "weil
damit die Chancen für eine soziale und gerechte Politik in Europa steigen", sagte Gusenbauer in seinem
Eröffnungsvortrag bei der parlamentarischen Europakonferenz der SPÖ am Montag (18. 04.) Nachmittag
in Wien.
An der parlamentarischen Konferenz der SPÖ nahmen auch der Vizepräsident des Europäischen Verfassungskonvents,
der ehemalige italienische Premierminister Giuliano Amato sowie die SPÖ-Delegationsleiterin im Europaparlament
Maria Berger und SPÖ-Europasprecher Caspar Einem teil.
Gusenbauer resümierte die Arbeit des EU-Verfassungskonvents, der im Februar 2002 seine Arbeit aufnahm. Ende
Oktober des Vorjahrs haben die EU-Staats- und Regierungschefs den Vertrag über eine Verfassung in Europa unterzeichnet,
der auf dem Entwurf des Konvents beruht. Gusenbauer lobte den Konvent als "bisher einzigartige Form",
das Ergebnis sei "eine halbwegs klare und übersichtliche Grundlage für eine europäische Verfassung".
Gusenbauer hob hervor, dass die Union eine eigene Rechtspersönlichkeit bekomme und damit in der Lage sei,
internationalen Übereinkommen beizutreten. Aus sozialdemokratischer Sicht sei der Beitritt der gesamten EU
zur Europäischen Menschenrechtskonvention eine zentrale Zielsetzung, betonte Gusenbauer. Der SPÖ-Vorsitzende
hält es auch für positiv, dass mit dem "anspruchsvollen Katalog" von Werten und Zielsetzungen
für die Union der Binnenmarkt nicht länger das alleinige und oberste Ziel sei. Dazu kämen jetzt
die Sozialunion und Vollbeschäftigung.
Die Europäische Grundrechtscharta, die in Nizza proklamiert wurde, wird mit dem Inkrafttreten der Verfassung
Teil derselben, rechtlich verbindlich und einklagbar, unterstrich Gusenbauer. Der SPÖ-Vorsitzende sieht auch
das Demokratiedefizit der EU "deutlich reduziert". Die Entscheidungsfindungsverfahren der EU würden
deutlich transparenter und insgesamt einfacher und damit nachvollziehbarer für die Bürger und Medien.
Für einen ganz wesentlich Fortschritt hält es Gusenbauer, dass der Europäische Rat dort, wo er gesetzgeberisch
tätig wird, dies in Zukunft öffentlich tun wird.
Die Regelung der Kommissionsgröße und der Stimmrechte in der Kommission bezeichnete Gusenbauer als typisch
europäische Lösung: "Die Kommission wird kleiner und bleibt doch gleich groß." Der Reformvorschlag
sieht vor, dass von den 25 Kommissaren 15 ein Portefeuille und Stimmrecht haben; die regelmäßige Rotation
dieser Rechte stellt sicher, dass kein EU-Staat zu kurz kommt. Damit bleibe die Handlungsfähigkeit erhalten
ebenso wie der Informationsfluss in die einzelnen Mitgliedsstaaten, erklärte Gusenbauer dazu.
Der SPÖ-Vorsitzende sieht auch in der gemeinsamen Außenpolitik einen wesentlichen Fortschritt. Die EU
wird nach der neuen Verfassung einen Außenminister erhalten, der vom Rat mit der Zustimmung des Kommissionspräsidenten
ernannt wird. Außerdem wird die EU einen eigenen diplomatischen Dienst aufbauen und Vertretungsbehörden.
Durch die gemeisame Bestellung des EU-Außenministers sei sichergestellt, dass dieser ein Organ der Union
sei, betonte Gusenbauer.
Gusenbauer warf schließlich die Frage auf: "Reicht das Erreichte, um die Bürger der EU zu gewinnen?"
Seine Antwort fällt differenziert aus. Der Prozess der Verfassungsentwicklung selbst sei eigentlich schon
ein Erfolg, so Gusenbauer. Dies und die Beschlussfassung von Rat und Parlament zeigten, dass die Bereitschaft zu
weiterer Integration verhanden sei. Andererseits sei wohl klar, dass "die Verfassungsgebung nicht unbedingt
das ist, was die Menschen von den Sitzen reißt - obwohl es sehr wichtig ist", fügte Gusenbauer
hinzu.
Es blieben auch noch offene Forderungen, darunter die nach einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik.
Die gemeinsame Währung ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik werde nicht ausreichen für Wachstum und Vollbeschäftigung,
sagte Gusenbauer. "Derzeit steht die EU nur auf einem Bein, dem der Europäischen Zentralbank." Zum
Ziel der Geldwertstabilität sollten die Ziele Wachstum und Vollbeschäftigung dazukommen, betonte der
SPÖ-Vorsitzende.
Auch wenn viele der ursprünglichen Hoffnungen an die Verfassung unerfüllt blieben, sei ein Beschluss
zu begrüßen, erklärte Gusenbauer. "Auf jeden Fall ist es ein Schritt vorwärts, weil die
EU Handlungsfähigkeit zeigt." Im Kern seien die sozialen Grundrechte hervorzuheben, die rechtsverbindliche
Grundrechtscharta, und die Fortschritte bei der Demokratisierung der Union - "die Bürger haben das letzte
Wort in Europa".
Sorgen bereitet Gusenbauer freilich die Frage, was passiert, wenn auch nur ein einzige Staat die Verfassung nicht
annimmt. So wird mit großer Spannung der Ausgang der Volksabstimmung in Frankreich erwartet. Für diese
Frage hätte es eine Antwort von den österreichischen Sozialdemokraten gegeben, nämlich eine EU-weite
Volksabstimmung. Die Verfassung sei jedenfalls ein Fortschritt zum Vertrag von Nizza, betonte der SPÖ-Vorsitzende.
Denn das sei letztlich die Alternative zur Annahme der EU-Verfassung. Man stehe derzeit eben nicht vor der Wahl
"Diese Verfassung oder eine bessere".
"Der Beschluss ist ein Schritt vorwärts, das Scheitern würde einen bedeutenden Rückschlag für
Europa bedeuten", fasste Gusenbauer zusammen. Er betonte, dass die SPÖ die EU-Verfassung ratifizieren
werde, "weil damit die Chancen für eine soziale und gerechte Politik in Europa steigen". Die Verfassung
biete insgesamt bessere institutionelle Voraussetzungen für sozialdemokratische Politik in der Union, sie
eröffne neue Möglichkeiten für einen Fortschritt der EU. |