Gusenbauer: Verfassung ist ein Schritt vorwärts für EU  

erstellt am
19. 04. 05

Demokratiedefizit der EU wird deutlich reduziert -Beschluss ist zu begrüßen, auch wenn nicht alle Erwartungen erfüllt werden
Wien (sk) - Die Europäische Verfassung, die das österreichische Parlament voraussichtlich im Mai ratifizieren wird, ist nach Ansicht von SPÖ-Vorsitzendem Alfred Gusenbauer jedenfalls ein Fortschritt für die Union. "Der Beschluss ist ein Schritt vorwärts, das Scheitern würde einen bedeutenden Rückschlag für Europa bedeuten", erklärte Gusenbauer. Die SPÖ werde die EU-Verfassung ratifizieren, "weil damit die Chancen für eine soziale und gerechte Politik in Europa steigen", sagte Gusenbauer in seinem Eröffnungsvortrag bei der parlamentarischen Europakonferenz der SPÖ am Montag (18. 04.) Nachmittag in Wien.

An der parlamentarischen Konferenz der SPÖ nahmen auch der Vizepräsident des Europäischen Verfassungskonvents, der ehemalige italienische Premierminister Giuliano Amato sowie die SPÖ-Delegationsleiterin im Europaparlament Maria Berger und SPÖ-Europasprecher Caspar Einem teil.

Gusenbauer resümierte die Arbeit des EU-Verfassungskonvents, der im Februar 2002 seine Arbeit aufnahm. Ende Oktober des Vorjahrs haben die EU-Staats- und Regierungschefs den Vertrag über eine Verfassung in Europa unterzeichnet, der auf dem Entwurf des Konvents beruht. Gusenbauer lobte den Konvent als "bisher einzigartige Form", das Ergebnis sei "eine halbwegs klare und übersichtliche Grundlage für eine europäische Verfassung".

Gusenbauer hob hervor, dass die Union eine eigene Rechtspersönlichkeit bekomme und damit in der Lage sei, internationalen Übereinkommen beizutreten. Aus sozialdemokratischer Sicht sei der Beitritt der gesamten EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention eine zentrale Zielsetzung, betonte Gusenbauer. Der SPÖ-Vorsitzende hält es auch für positiv, dass mit dem "anspruchsvollen Katalog" von Werten und Zielsetzungen für die Union der Binnenmarkt nicht länger das alleinige und oberste Ziel sei. Dazu kämen jetzt die Sozialunion und Vollbeschäftigung.

Die Europäische Grundrechtscharta, die in Nizza proklamiert wurde, wird mit dem Inkrafttreten der Verfassung Teil derselben, rechtlich verbindlich und einklagbar, unterstrich Gusenbauer. Der SPÖ-Vorsitzende sieht auch das Demokratiedefizit der EU "deutlich reduziert". Die Entscheidungsfindungsverfahren der EU würden deutlich transparenter und insgesamt einfacher und damit nachvollziehbarer für die Bürger und Medien. Für einen ganz wesentlich Fortschritt hält es Gusenbauer, dass der Europäische Rat dort, wo er gesetzgeberisch tätig wird, dies in Zukunft öffentlich tun wird.

Die Regelung der Kommissionsgröße und der Stimmrechte in der Kommission bezeichnete Gusenbauer als typisch europäische Lösung: "Die Kommission wird kleiner und bleibt doch gleich groß." Der Reformvorschlag sieht vor, dass von den 25 Kommissaren 15 ein Portefeuille und Stimmrecht haben; die regelmäßige Rotation dieser Rechte stellt sicher, dass kein EU-Staat zu kurz kommt. Damit bleibe die Handlungsfähigkeit erhalten ebenso wie der Informationsfluss in die einzelnen Mitgliedsstaaten, erklärte Gusenbauer dazu.

Der SPÖ-Vorsitzende sieht auch in der gemeinsamen Außenpolitik einen wesentlichen Fortschritt. Die EU wird nach der neuen Verfassung einen Außenminister erhalten, der vom Rat mit der Zustimmung des Kommissionspräsidenten ernannt wird. Außerdem wird die EU einen eigenen diplomatischen Dienst aufbauen und Vertretungsbehörden. Durch die gemeisame Bestellung des EU-Außenministers sei sichergestellt, dass dieser ein Organ der Union sei, betonte Gusenbauer.

Gusenbauer warf schließlich die Frage auf: "Reicht das Erreichte, um die Bürger der EU zu gewinnen?" Seine Antwort fällt differenziert aus. Der Prozess der Verfassungsentwicklung selbst sei eigentlich schon ein Erfolg, so Gusenbauer. Dies und die Beschlussfassung von Rat und Parlament zeigten, dass die Bereitschaft zu weiterer Integration verhanden sei. Andererseits sei wohl klar, dass "die Verfassungsgebung nicht unbedingt das ist, was die Menschen von den Sitzen reißt - obwohl es sehr wichtig ist", fügte Gusenbauer hinzu.

Es blieben auch noch offene Forderungen, darunter die nach einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik. Die gemeinsame Währung ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik werde nicht ausreichen für Wachstum und Vollbeschäftigung, sagte Gusenbauer. "Derzeit steht die EU nur auf einem Bein, dem der Europäischen Zentralbank." Zum Ziel der Geldwertstabilität sollten die Ziele Wachstum und Vollbeschäftigung dazukommen, betonte der SPÖ-Vorsitzende.

Auch wenn viele der ursprünglichen Hoffnungen an die Verfassung unerfüllt blieben, sei ein Beschluss zu begrüßen, erklärte Gusenbauer. "Auf jeden Fall ist es ein Schritt vorwärts, weil die EU Handlungsfähigkeit zeigt." Im Kern seien die sozialen Grundrechte hervorzuheben, die rechtsverbindliche Grundrechtscharta, und die Fortschritte bei der Demokratisierung der Union - "die Bürger haben das letzte Wort in Europa".

Sorgen bereitet Gusenbauer freilich die Frage, was passiert, wenn auch nur ein einzige Staat die Verfassung nicht annimmt. So wird mit großer Spannung der Ausgang der Volksabstimmung in Frankreich erwartet. Für diese Frage hätte es eine Antwort von den österreichischen Sozialdemokraten gegeben, nämlich eine EU-weite Volksabstimmung. Die Verfassung sei jedenfalls ein Fortschritt zum Vertrag von Nizza, betonte der SPÖ-Vorsitzende. Denn das sei letztlich die Alternative zur Annahme der EU-Verfassung. Man stehe derzeit eben nicht vor der Wahl "Diese Verfassung oder eine bessere".

"Der Beschluss ist ein Schritt vorwärts, das Scheitern würde einen bedeutenden Rückschlag für Europa bedeuten", fasste Gusenbauer zusammen. Er betonte, dass die SPÖ die EU-Verfassung ratifizieren werde, "weil damit die Chancen für eine soziale und gerechte Politik in Europa steigen". Die Verfassung biete insgesamt bessere institutionelle Voraussetzungen für sozialdemokratische Politik in der Union, sie eröffne neue Möglichkeiten für einen Fortschritt der EU.
     
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