"Wir gewöhnen uns jetzt langsam an eine Situation, wie sie für unsere Großeltern
normal war" – Lob für die Wirtschaft: "Österreich heute wirtschaftlich unabhängiger denn
je"
Wien (pwk) - Mit einem Dank an die Wirtschaftskammer, dass sie diesen Europatag veranstaltet, eröffnete
der Hauptredner des Vormittags, Vizekanzler a.D. Erhard Busek, sein Referat: „Europa ist das wahre Zukunftsthema
unseres Landes. Das kommt in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu kurz. Die Wirtschaft ist da eine löbliche
Ausnahme“.
Erst allmählich werde in der breiten Bevölkerung die neue Wirklichkeit Europas wahrgenommen. „Nach der
endgültigen Überwindung der Teilung Europas gewöhnen wir uns jetzt langsam an eine Situation, wie
sie für unsere Großeltern normal war: früher fuhr man beispielsweise mit der „Elektrischen“ von
Wien nach Pressburg auf Kaffee und Kuchen. Da ist viel vergessen worden, da gibt es emotional noch einen großen
Aufholbedarf“, führte Busek aus. „Heute können Sie bei der jüngeren Generation vielfach große
Verwunderung erzielen, wenn sie sagen, dass die Städte Mittel- und Osteuropas wie beispielsweise Wrozlaw oder
Bratislava auch deutsche Namen, eben Breslau und Pressburg, haben. Da haben wir noch viel zu lernen“, meinte der
erfahrene Osteuropakenner.
Es gebe, wie Busek formulierte, noch „gewisse Rückkehrnotwendigkeiten“ zur Normalität von früher.
„Es ist noch nicht alles ausgenützt, was wir an Möglichkeiten haben“. „Europa neu“ müsse im Bewusstsein
der Öffentlichkeit wieder „Europa normal“ werden. Er sage dies ohne jede Nostalgie für die Monarchie,
sondern aus der Erkenntnis heraus, dass man aus den schweren Fehlern der Vergangenheit (Nationalismus) lernen und
zu einem gleichberechtigten Umgang mit verschiedenen Völkern finden müsse.
Europa neu biete in kultureller Hinsicht ungeheure Chancen. Diese Entwicklung ist noch offen. „Es ging vieles zu
rasch, manches war nur eine Kopfgeburt. Es muss jetzt zur emotionalen Bewältigung kommen“. Während der
Politik „noch der Knopf aufgehen“ müsse, habe die Wirtschaft die Entwicklung gut im Griff. „Die wirtschaftlichen
Aktivitäten Österreichs im neuen Europa werden international anerkannt und zum Teil auch bewundert“,
lobte Busek das Engagement vieler heimischer Unternehmen.
Österreich sei durch die EU-Mitgliedschaft insgesamt selbständiger geworden. Die vor zehn Jahren geäußerten
Befürchtungen, der EU-Beitritt sei ein „zweiter Anschluss an Deutschland“, haben sich als unbegründet
herausgestellt: „Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind unseren eigenen, selbständigen Weg gegangen und durch
die starke internationale Verflechtung heute unabhängiger von Deutschland denn je“.
Positiv für Österreich fällt nach Ansicht Buseks auch ein wirtschaftlicher Vergleich mit der Schweiz
aus. Österreich folgte dem Grundsatz „lieber drinnen als draußen“, während die Schweizer ihrer
jahrhundertealten Grundeinstellung „lieber draußen als drinnen“ treu blieben. „Als Außenstehende tun
sich die Schweizer heute allerdings sehr schwer. Dies zeigt nicht nur das Beispiel Swissair“, sagte Busek. „Es
ist offensichtlich besser, in einer Gemeinsamkeit zu sein. Aber auch in der Gemeinschaft haben wir noch viel zu
lernen. Es ist ein Fehler, Brüssel für Veränderungen verantwortlich zu machen, die wir ohnehin durchmachen
müssen“, fasste der Redner zusammen. |