Österreichische Außenpolitik im neuen Europa – Auszüge der Rede von Außenministerin
Plassnik über die Schwerpunkte der Außenpolitik
Wien (bmaa) - Eine außenpolitische Standortbestimmung nahm Außenministerin Ursula Plassnik
am Mittwoch Abend (27. 04.) in einer Grundsatzrede zur Außenpolitik im Haus der Industrie in Wien vor. "Die
Grundausrichtung der österreichischen Außenpolitik", so die Außenministerin, "bleibt
stabil, verlässlich, mitteleuropäisch, europäisch, global. Was wir aber brauchen, ist eine neue
Art, Außenpolitik und ihre vielfältigen Akteure zu sehen. Wir werden umdenken müssen: Gemeinsam
am Konkreten arbeiten, Schritt für Schritt. Tatsachen schaffen, eine Solidarität der Tat. Zusammenarbeiten
zum Besten aller. Auf diese Weise wird die österreichische Außenpolitik auch im neuen Europa gut bestehen."
In ihrem Vortrag hob Plassnik vier "Kraftfelder" der Politik hervor, auf die sie besondere Aufmerksamkeit
legt.
I. Partner Österreich
"Wie kann sich Österreich als verlässlicher Partner positionieren - innerhalb der Europäischen
Union, aber auch im "Weltdorf", im global village? Mein Ziel ist es, dass österreichische Außenpolitik
als echtes Angebot der Partnerschaft verstanden wird - in unserer engeren Nachbarschaft wie auch in der sogenannten
"weiten" Welt. Das erfordert von uns Verlässlichkeit, Vorhersehbarkeit, Einsatzbereitschaft, die
Kenntnis unserer Stärken und den Willen sie einzusetzen (...) Österreich hat jeden Grund, sich als identitätsstarker,
wohlhabender und engagierter Partner einzubringen in der Welt. Wir müssen nur aufhören, uns kleiner zu
machen, oder größer sein zu wollen, als wir sind. (...) Wir sind als "KMS" ("Kleinerer
und mittlerer Staat") Teil des starken Mittelstandes der Weltgemeinschaft - wirtschaftlich äußerst
erfolgreich, demokratisch gefestigt, anteilnehmend, international vernetzt, ein Stabilitätsförderer in
der Nachbarschaft. Hier können wir glaubwürdig Flagge zeigen, hier ist Platz für realistische Politik
mit Augenmaß.(...)
Mit dem Tag der EU Erweiterung am 1. Mai 2004 haben sich für uns die Möglichkeiten an europäischen
Partnerschaften vervielfacht. Alte Nachbarn an einer ehemals "toten" Grenze sind zu neuen Partnern im
dynamischen Europageschehen geworden. Zehn neue Partner bedeuten auch mehr Vernetzungsmöglichkeiten zwischen
alten und neuen, größeren und kleineren Staaten.
Wir werden zum Beispiel mit Finnland eine gemeinsame Präsidentschaft durchführen; es gibt die Interessensgemeinschaft
der sechs Nettozahler.(...)Österreich und Tschechien werden gemeinsam mit Deutschland rasch verfügbare
Einsatzkräfte für das zivile und militärische Krisenmanagement entwickeln; die Regionale Partnerschaft
mit Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien und Polen beginnt, sich in der Praxis zu bewähren. Wir arbeiten
gemeinsam an Aufgaben wie der Zukunft des Kosovo. Unsere Innenministerien arbeiten bei der Bekämpfung von
organisierter Kriminalität und Korruption eng zusammen und unsere Parlamentarier führen einen breiten
Dialog. Keiner kann in der EU allein etwas bewirken oder verhindern. Dieses Bewusstsein formt heute den Alltag
der österreichischen Außenpolitik." (...)
II. Die Kunst der guten Nachbarschaft
"Gute Nachbarschaft stellt sich im Verhältnis zu unseren Partnern innerhalb der EU nicht automatisch
durch die europäische Integration ein. Hier darf es keinen Stillstand in Selbstzufriedenheit geben. Die gemeinsame
Zukunft will Tag für Tag neu gewonnen werden. Und neben den Zukunftsthemen bedürfen auch manche schwere
Themen der Vergangenheit noch einer behutsamen und umsichtigen Bearbeitung.
Allerdings: Das neue Europa schafft gerade hier auch neue Voraussetzungen und Möglichkeiten. Die Zeiten, in
denen wir insbesondere mit den Nachbarn in Mittel- und Osteuropa mehr oder minder verkrampft wenige und oft zähe
Themen des Nebeneinanders in unterschiedlichen Welten verhandelt haben, sie sind vorbei - und zwar für immer
vorbei. Heute kämpfen wir Seite an Seite und mit vereinten Kräften für gemeinsame Anliegen, im "Innenausbau"
unserer gemeinsamen Union. Das verbindet, das schafft gemeinsame Verantwortung und stellt vieles in einen breiteren
Zusammenhang. (...)
Was bedeutet eigentlich Nachbarschaft im Weltdorf, im Global Village? Heißt Nachbarschaft in einer eng vernetzten
Welt ausschließlich geographische Nähe? Oder entspringt eine neue Art von Nachbarschaft beispielsweise
auch aus einer gemeinsamen Betroffenheit? Konkret: Haben wir nicht alle in der Tsumami-Katastrophe eindrücklich
erlebt, dass Sri Lanka und Thailand für uns plötzlich zum Nachbarn geworden sind? Dass "Ferne"
und "Nähe" mit einem Schlag emotional ganz anders definiert waren?
Das Global Village steckt also bei genauerem Hinsehen voller Nachbarn.
Ich wünsche mir, dass "Nachbarschaft" ein weltweites Exportprodukt wird. Dass wir aneinander Anteil
nehmen, nicht nur im Krisen- oder Katastrophenfall. Sondern dass wir den sorgsamen und verständnisvollen Umgang
miteinander zum festen Bestandteil unseres neuen "Weltbewusstseins" machen. Die Jugend zeigt uns übrigens
ganz klar den Weg dorthin, an uns liegt es, die konkreten Beiträge zu leisten. Die Österreicherinnen
und Österreicher haben in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass ihre Solidarität auch jenen
Teilen der Welt gilt, die auf der Schattenseite liegen: in Krieg, Armut und Krankheit. Diese Solidarität ist
der Bundesregierung ein Vorbild für die offizielle österreichische Entwicklungszusammenarbeit.
Die wird 2006 voraussichtlich bei 1 Milliarde Euro liegen. Wir werden damit 0,43 Prozent des Bruttonationaleinkommens
erreichen, also mehr als die 0,33 Prozent, die sich die EU-Staaten in Barcelona 2002 als Ziel gesetzt haben."(...)
Stabilität im Westbalkan
"Wenn wir die Region suchen, in der Österreich heute in der direktesten und vielfältigsten Weise
zu Sicherheit und Stabilität beiträgt, so ist dies zweifellos der Westbalkan. Diese Region ist im letzten
Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts Schauplatz einer ganzen Serie blutiger Kriege und Auseinandersetzungen gewesen.(...)
Mehr als 115.000 Menschen aus dem Westbalkan sind seit Beginn der 90er Jahre in Österreich spontan aufgenommen
worden. Heute leisten 900 österreichische Soldatinnen und Soldaten im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina Friedensarbeit.
Unzählige Einzelprojekte von Privaten und NGOs helfen der Bevölkerung; die Ostzusammenarbeit des BMaA
hat seit 1988 über 1,2 Milliarden Dollar eingesetzt. Die österreichische Wirtschaft wirkt aktiv mit am
Aufbau einer tragfähigen Wirtschaft. Unsere politischen Beziehungen zu allen Verantwortungsträgern in
der Region sind hervorragend, die Beiträge österreichischer Diplomaten, Politiker und Fachleute werden
hoch geschätzt.
Österreich verfügt also in diesem Raum über ein unschätzbares Kapital an Glaubwürdigkeit
und Vertrauen. Dem gilt es gerecht zu werden! |
Uns Österreichern ist als Nachbarn besonders bewusst, dass dauerhafter Frieden und bleibende Stabilität
im Westbalkan nur durch die feste und vollständige Verankerung der Staaten dieses Raumes in der gemeinsamen
europäischen Friedens- und Stabilitätszone erreicht werden kann. Wir wissen: Hier geht es auch um die
Sicherheit Österreichs und um die Sicherheit der Europäischen Union.(...)
Es gibt keine vernünftige Alternative zum europäischen Weg von Kroatien, Serbien-Montenegro, dem Kosovo,
Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Albanien. Die Zukunft aller Länder des Westbalkans liegt in der Europäischen
Union, sie alle werden eines Tages Mitglieder sein.
Diese Perspektive ist mittlerweile eindeutig zur mächtigsten Triebfeder aller zukunftsgerichteten Kräfte
der Gesellschaften in dieser Region geworden. Alle Gespräche und Begegnungen der letzten Wochen haben mir
klar gezeigt: In Sarajewo, in Tirana, in Skopje und Pristina, in Zagreb, Podgorica und Belgrad löst sich der
Blick vom Vergangenen. Die magnetische Kraft des Friedens- und Wohlstandsprojektes Europäische Union beginnt
ihre Wirkung zu entfalten. Viele anspruchvolle Hausaufgaben sind von diesen Ländern noch zu erbringen, ihre
jeweilige Entwicklung hat mit enormen Problemen zu kämpfen. Aber das Ziel steht unverrückbar fest: die
Überwindung der tiefen Wunden der Vergangenheit, die Versöhnung untereinander und miteinander, ihre Anerkennung
als gleichberechtigte Europäer.
Der kürzlich von der internationalen Balkan-Kommission unter der Leitung von Giuliano Amato vorgelegte Bericht
sieht den Beitritt aller Balkanstaaten innerhalb der nächsten 10 Jahre vor. Eine ambitionierte Vision, zweifellos.
Aber eine Utopie? Eine Reihe konkreter Herausforderungen steht an, manche werden auch gerade unsere EU-Präsidentschaft
bewegen:
- der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien;
- Das Auslaufen des Mandates des derzeitigen Hohen Repräsentanten der EU in Bosnien-Herzegowina mit Oktober
2005
- Die Konkretisierung der europäischen Perspektive für Serbien-Montenegro.
- Die Zukunft der Staatenunion Serbien-Montenegro
- Schließlich die Statusverhandlungen über die politische Zukunft des Kosovo
Ich sehe es als eine der zentralen Aufgaben der österreichischen Außenpolitik, die Staaten des Westbalkan
auf ihrem Weg nach Europa als Partner bilateral und innerhalb der EU nach Kräften zu unterstützen. Es
ist die Aufgabe meiner Generation von Außen- und Europapolitikern, diesen europäischen Transitionsprozess
mutig voranzutreiben!"
III. Vernetzungszentrale Aussenministerium
(...) Was ist Rolle des Außenministeriums in einer veränderten Welt? Das Außenministerium ist
Kompetenzzentrum für die Formulierung und Vertretung österreichischer Interessen auf internationaler
Ebene. Dabei müssen wir notfalls auch kritisch gewichten. Unsere Prioritäten müssen klar erkennbar
sein. Das Analysieren und Kommentieren allein genügt nicht. Es geht um Positionsbezüge für Österreich.
Wir werden zunehmend als "Vernetzungszentrale" fungieren. Als Clearing House für Informationen und
Kontakte. Als Anlaufstelle für außenpolitische Akteure im In- und Ausland: für die Politik, die
Wirtschaft, die Kultur und die Zivilgesellschaft.
Wir müssen unsere zentrale Rolle als Europa-Koordinator in Österreich ausbauen. Nicht als eine Art Schiedsrichter
unter den Ressorts - das würde das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit nicht zulassen -, sondern als uneigennütziger
Partner, der einen für alle erkennbaren Mehrwert einbringt.
Außenpolitik wird heute nicht mehr nur oder überwiegend vom Außenminister oder von Diplomaten
gemacht, sondern von einer Vielzahl von Akteuren - jeder hat eigene Auslandsabteilungen: Firmen, NGOs, Universitäten,
Medien und jedes Ministerium in Österreich. (...)
Daraus ergibt sich die neue Rolle des Außenministeriums. Es ist kein Balkon der Republik, von dem man nach
außen schaut - es ist die Schnittstelle von Innen und Außen.
Die Arbeit hat sich gerade für uns im Außenministerium durch unseren EU-Beitritt grundlegend geändert.
Wir sind jetzt Teil einer Gemeinschaft von Staaten, die ihre Außenpolitik laufend und in fein austarierten
Netzwerken miteinander und aufeinander abstimmen.(...)
Damit stellt sich die Frage, ob für einen EU-Mitgliedstaat eine eigenständige Außenpolitik überhaupt
noch möglich ist. Zweifellos hat es eine Verschiebung in den Aufgabenstellungen gegeben. Aber insgesamt keine
Einschränkung, ganz im Gegenteil.(...) Die EU als Ganzes bietet mit ihrer breiten Palette an Handlungsmöglichkeiten
entscheidende Impulse für Frieden, Sicherheit, Recht und Entwicklung in der Welt. (...) Zunehmend entwickelt
die Union die großen weltpolitischen Beziehungslinien mit: das Transatlantische Verhältnis, Europa-Asien,
Europa-Russland, Europa-Mittelmeer, Europa-Afrika, Europa-Lateinamerika. (...)
In Summe sind unser außenpolitischer Wirkungsbereich und unser Gewicht damit größer, nicht kleiner
geworden. (...)
Unsere Erfahrungen zeigen, dass auch ein mittlerer Staat wie Österreich durch gute Argumente und kluge Allianzbildung
die Entscheidungen der Union maßgeblich und durchaus auch öffentlich wahrnehmbar beeinflussen kann.
Zwei prominente Beispiele der letzten Monate:
- Die Beschlüsse des Europäischen Rats vom Dezember 2004 über den strengen Rahmen für die
kommenden Verhandlungen mit der Türkei.
- Die Einsetzung einer Task Force zu Kroatien durch den Europäischen Rat im März, wodurch eine Blockade
der kroatischen Beitrittsbemühungen verhindert wurde. (...)
IV. Aussenpolitik konkret
"Die Welt, in der wir agieren, hat sich für uns dramatisch verändert:xxxxxx Die Grenzen
sind durchlässig geworden. Darauf haben wir hingearbeitet. Das ist zum Teil auch unser Werk, auf das wir stolz
sein können. Das bedeutet aber auch, dass es die scharfe Abgrenzung zwischen Hier und Dort, zwischen Innen
und Außen, mit denen die klassische Diplomatie operiert hat, nicht mehr gibt. (...)
Neue Akteure sind auf der Bühne erschienen und prägen zunehmend das Bild, das sich die Welt von Österreich
macht.
Zwei Beispiele - beide betreffen Rumänien:
- Die OMV ist zum Marktführer in einer Region mit mehr als 100 Millionen Einwohnern geworden. Vom einst
verstaatlichten Ölkonzern, der auf seinen nationalen Markt beschränkt war, ist sie zum größten
Öl- und Chemiekonzern in Mittel- und Osteuropa aufgestiegen und prägt so das Bild Österreichs maßgeblich
mit.
- Ein Beispiel aus einem völlig anderen Bereich: Der Jesuitenpater Georg Sporschill ist mit seinem Einsatz
für rumänische Straßenkinder ein Botschafter der Zuwendung und der Hoffnung. Und damit einer der
besten Botschafter Österreichs, wenn auch nicht amtlich bestellt - und zu Recht als "Österreicher
des Jahres 2004" ausgezeichnet.
Und schließlich ist Österreich kein Einzelkämpfer mehr, auf den ersten Blick frei in seinen
Entscheidungen, bei näherem Hinsehen aber ohne wirklichen Zugang zu den Entscheidungsgremien - ein Robinson
Crusoe auf seiner Insel: "sovereign of everything and master of nothing". Österreich ist heute Teil
Europas, gestaltet mit und verantwortet mit. Wir sind wahrhaft zum europäischen und globalen Teamplayer geworden.
Das alles, meine Damen und Herren, ist heute österreichische Außenpolitik. Wer in der Welt von morgen
etwas bewegen will, muss konkret sein:
- Wenn Österreich - durch Gelder der Entwicklungshilfe und über die österreichische Exportförderung
– in Bhutan den Bau des neuen Wasserkraftwerks Basochhu unterstützt, dann ist das "Außenpolitik
konkret".
- Ebenso, wenn Österreich Trainer nach Mazedonien entsendet, um die dortigen Polizisten auszubilden.
- Oder wenn das Bundesheer ein Team zur Wasseraufbereitung nach Sri Lanka entsendet, um nach der Flutkatastrophe
zu helfen.
- Oder wenn nach dem Tsunami die Österreicherinnen und Österreicher rund Euro 37 Millionen aus privaten
Mitteln spenden. Und wenn Bund, Länder und Gemeinden dazu noch einmal bis zu Euro 50 Millionen bereitstellen
werden.
- Oder wenn in den letzten Jahren etwa 6 Millionen Menschen in Afrika, in Asien, in Zentralamerika und am Balkan
in der einen oder anderen Form von österreichischen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit profitiert haben.
Etwa durch Zugang zu Wasser in Ruanda oder durch Zugang zu Gesundheitsversorgung in Äthiopien.
All das ist greifbar, zeitgerecht, "Außenpolitik konkret": unmittelbar zum Nutzen jener, die
unsere Hilfe brauchen.
Was während des Tsunami plötzlich in das Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde, findet tagtäglich
statt - Dienst am Bürger, Dienst an der österreichischen Wirtschaft, an der österreichischen Kultur.
Das liegt mir am Herzen: dass die österreichische Außenpolitik für den Bürger - in Österreich
und in unseren Partnerstaaten - einsichtig und nachvollziehbar ist."
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