Graz (fh Joanneum) - Bei der Betreuung alter Menschen werden soziale Bedürfnisse
zugunsten medizinischer Fachpflege oft hintangestellt. Dies geht aus einer Studie hervor, die im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes
erstellt wurde. Und: Schwierige Persönlichkeiten werden bei Vorhandensein mehrerer konkurrierender Anbieter
von einem zum anderen gereicht. Die Ergebnisse der Studie wurden am Wochenende im Rahmen einer internationalen
Fachtagung über „Strategien gegen soziale Ausgrenzung alter Menschen“ an der FH Joanneum vorgestellt.
Marianne Egger de Campo, die Leiterin des EU-Forschungsprojekts CARMA (Care for the Aged at Risk
of Marginalization = Pflege und Betreuung für ältere ausgrenzungsgefährdete Menschen), legte im
Rahmen des Symposiums „Strategien gegen soziale Ausgrenzung alter Menschen“ an der FH Joanneum erste Ergebnisse
des Projekts vor. Ein Jahr lang wurde in sechs europäischen Ländern in einzelnen Einrichtungen der Altenbetreuung
untersucht, wie und unter welchen Bedingungen Pflegebedürftige aufgenommen und versorgt werden, und durch
welche Umstände sie wieder aus der Betreuung herausfallen können. Dabei zeigte sich, dass trotz eines
flächendeckenden Angebotes an Sozial- und Gesundheitsdiensten vielfältige Ausgrenzungsrisiken auf ältere
Menschen lauern, die Hilfe im Alltag benötigen. Oft werden keine mobilen Dienste in der Nacht angeboten, was
dazu führt, dass allein stehende Pflegebedürftige in Heimen betreut werden müssen. Soziale Bedürfnisse
werden zugunsten der medizinischen Fachpflege hintangestellt. Schwierige Persönlichkeiten werden bei Vorhandensein
mehrerer konkurrierender Anbieter von einem zum anderen gereicht.
Der steirische Soziallandesrat Kurt Flecker hat mit finanzieller Unterstützung entscheidend
zum Gelingen der Tagung beigetragen. Sein besonderes Interesse gilt den internationalen Beispielen von „Best Practice“,
wie etwa einer Wohnanlage für Demenzkranke, die mit Einsatz intelligenter Technologien für die Betroffenen
ein Maximum an Autonomie bei gleichzeitiger Sicherheit gewährleistet. Für Landesrat Flecker ist es auch
wichtig, durch die Studie auf Versorgungslücken und Verbesserungspotentiale aufmerksam zu werden und vor allem
auf künftige demographische Entwicklungen zeitgerecht reagieren zu können.
Die derzeitige Konstellation des Wohlfahrtsstaates in Österreich (oder auch Italien) verlässt sich massiv
auf die unbezahlten Leistungen der Familien – und da wieder hauptsächlich der Frauen. Dieses System ist weder
der Steigerung der Zahl älterer Menschen noch der Veränderung der Familienstrukturen gewachsen. In Europa
wird bis 2050 ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein; zurzeit sind es rund 15 %. Flecker:
„Die steirische Sozialpolitik begrüßt den Dialog mit Wissenschaftlern und Praktikern der Sozialarbeit
und Pflege, um so zur Versorgungssicherheit und Verbesserung der Lebensqualität der älteren Menschen
beizutragen.“
Giovanni Lamura vom italienischen Institut für Altersforschung lieferte im Rahmen des Sozialarbeit-Symposiums
einen Überblick über die verschiedenen europäischen Versorgungssysteme für ältere Menschen.
Er zeigte auf, wo das Risiko an den Rand gedrängt zu werden besonders hoch ist. Je weniger öffentliche
mobile Versorgungsangebote für pflegebedürftige Ältere vorhanden seien, desto früher müssten
sie ihre eigene Wohnung aufgeben und in Heimen versorgt werden. In Italien wird für die Versorgung zu Hause
auch zunehmend die illegale Arbeit von MigrantInnen eingesetzt und von den Behörden geduldet. Dieser Trend
ist auch in Österreich beobachtbar. Dazu trägt auch die fehlende Kontrolle über die sinngemäße
Verwendung des Pflegegeldes in Italien und Österreich bei.
Für Klaus Posch, den Leiter des Studienganges „Sozialarbeit (mit Schwerpunkt Sozialmanagement)“ bestätigen
die Forschungsergebnisse die Strategie der FH Joanneum, eine eigene Ausbildung für Sozialarbeit mit älteren
Menschen anzubieten. Der Bedarf an umfassender Betreuung und Vernetzung der verschiedenen Einzelangebote wird in
Zukunft steigen, denn immer weniger Ältere werden über Familienangehörige verfügen können,
die sie pflegen und für sie Hilfe organisieren. Für Posch als Gastgeber der ca. 80 SymposiumsteilnehmerInnen
aus dem In- und Ausland, bot sich eine Gelegenheit, diese Ausbildung bekannt zu machen, und Studierende, Lehrende
und PraktikerInnen mit internationalen ExpertInnen in Kontakt zu bringen. |