Wien: Vor 60 Jahren hielt Kurt Schubert seine erste Uni-Vorlesung  

erstellt am
04. 05. 05

Jubiläumsveranstaltung der Universität Wien erinnert an die erste Vorlesung an der Alma Mater Rudolphina nach der Befreiung
Wien (stephanscom.at) - Während am 2. Mai 1945 an der Universität Innsbruck noch Vorlesungen in NS-"Rassenhygiene" gehört werden konnten - die Alliierten Truppen rückten erst am 3. Mai in die Stadt ein -, hielt zur gleichen Zeit in Wien der junge Kurt Schubert seine erste Universitätsvorlesung, und zwar mit dem Titel "Hebräisch für Anfänger": Zum 60-Jahr-Gedenken dieser ersten Vorlesung nach der Befreiung Wiens fand am Montagabend (02. 05.) an der Universität Wien eine Jubiläumsveranstaltung statt. Anwesend war Prominenz aus Wissenschaft, Religionsgemeinschaften und Diplomatie, mit Israels Botschafter Dan Ashber an der Spitze. Für Prof. Schubert gab es "standing ovations".

Vizerektor Prof. Arthur Mettinger wies darauf hin, dass Prof. Schubert - Doyen der deutschsprachigen Judaistik und Präsident des Österreichischen Katholischen Bibelwerks - der am längsten tätige Wiener Universitätslehrer ist. Er lehrt seit mittlerweile 60 Jahren ohne Unterbrechung an der "Alma Mater Rudolphina" - trotz der 1993 erfolgten Emeritierung.

Mettinger gab auch einen Rückblick auf die Ereignisse vor dem 2. Mai 1945. 1938 wurden 252 "nichtarische" Professoren entlassen, ebenso wie Hunderte Universitätsbeamte. Die Folgen dieses Aderlasses seien massiv bis in die siebziger Jahre spürbar gewesen. Am 10. April 1945 habe die Rote Armee das Universitätsviertel besetzt; das Hauptgebäude der Uni war durch insgesamt 24 Bombentreffer schwer beschädigt. Schon am 11. April sei Schubert in das im Palais Auersperg untergebrachte Büro der Widerstandsbewegung "O5" gegangen und habe erklärt, "dass er die Universität wiedereröffnen möchte", erinnerte Mettinger.

Einen Tag später - am Tag des Stephansdombrandes, den Schubert als Augenzeuge erlebte -, wurde der Neupromovierte an die sowjetische Kommandatur im Gebäude des heutigen Stadtschulrates verwiesen, wo er auf Stadtkommandant General Aleksij Blagodatow traf. Mit einem zugewiesenen jungen russischen Offizier und Kunstgeschichtestudenten als Begleiter beschaffte sich Schubert den Stempel der Universität, schnitt das Hakenkreuz heraus und fertigte mit Stempel versehene Anschläge für die Bäckereien, gerichtet "an alle Studentinnen und Studenten, die im Sommersemester 1945 inskribieren wollen". Die Studenten wurden aufgefordert, "unverzüglich in die Universität zu kommen und einen zehnstündigen Räumungseinsatz zu leisten". Als Beginn des Sommersemesters wurde der 2. Mai festgelegt. Für 15. April lud Schubert rund 20 Professoren ins Ägyptologieinstitut in der Frankgasse zur ersten Professorenversammlung der Uni Wien, bei der die Wiedereröffnung der Alma Mater Rudolphina besiegelt wurde.

Von den 20 seien allerdings nur sechs gekommen, berichtete Mettinger. In den darauf folgenden Tagen sei die Wahl eines Rektors - Ludwig Adamovich (1890-1955) - erfolgt.

Schubert berichtete in einem persönlichen Rückblick, dass er noch vor der Matura den NS-Einmarsch 1938 und die ausbrechende Judenverfolgung erlebt habe. Er habe das Glück gehabt, wegen seines Asthmas nicht kriegsdienstfähig, sondern nur "arbeitsverwendungsfähig" gewesen zu sein. Deshalb habe er in Wien bleiben und studieren können.

Es sei ihm "von Anfang an klar" gewesen, dass er "als Christ etwas gegen den Antisemitismus tun" müsse, sagte der Bibelwerks-Präsident. In der katholischen Studentenseelsorge habe ihm das den Spitznamen "Moses" eingebracht. Er habe herausgefunden, dass am Institut für altorientalische Philologie der Wiener Universität das Erlernen der hebräischen Sprache auch nach 1938 möglich war. Deshalb habe er das Studium der Altsemitischen Philologie gewählt, das ihm erlaubt habe, sich während der NS-Herrschaft auf "unverfängliche" Weise dem Studium der hebräischen Sprache zu widmen. 1944 habe er mit einer Arbeit über die Außenpolitik König Hammurabis promoviert.

Als Zeichen des Neubeginns habe die Universität dann ihre erste Vorlesung, die er als junge "wissenschaftliche Hilfskraft" am 2. Mai 1945 halten konnte, der Sprache des Volkes Israel gewidmet, so Schubert. Seine ersten Hörer seien durchwegs so genannte "Mischlinge" gewesen, darunter auch seine spätere Frau.

Wie der Judaistik-Professor weiter berichtete, seien später auch immer mehr jüdische "Displaced persons" (DPs), die nach Israel weiterwandern wollten, in seine Vorlesungen gekommen. Mit rumänischen Juden aus dem DP-Camp Saalfelden habe er kurz nach der Staatsgründung Israels die "Aliyah" über Bari nach Haifa und Tel Aviv mitgemacht. In Tel Aviv seien Hunderte zu seinem Vortrag über Hammurabi gekommen, "aber nicht, weil sie über Hammurabi hören wollten, sondern weil ein Professor der Universität Wien vortrug".

In seiner anschließenden Jubiläumsvorlesung befasste sich Schubert mit dem Thema "Zionismus und jüdische Identität". Für das Verständnis des heutigen Staates Israel sei eine vertiefte Auseinandersetzung mit der historischen und religiösen Bedeutung des Landes Israel für die Juden notwendig. Der Zionismus habe eine Jahrhunderte lang bewahrte Hoffnung angesprochen. Schließlich habe der Holocaust die Gründung des Staates Israel als einzig möglichen Weg zum Überleben des Judentums herbeigeführt.

Im einzelnen erinnerte Schubert auch, dass es schon vor Herzl nationale Bestrebungen gerade im österreichischen Judentum gegeben habe. Er verwies auf den Floridsdorfer Rabbiner und Reichstagsabgeordneten Josef S. Bloch und auf Nathan Birnbaum, der 1893 einen Essay über "Die nationale Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Lande als Mittel zur Lösung der Judenfrage" publizierte. Als die deutschnationalen Burschenschaften die jüdischen Studenten ausschlossen, erhielt die Wiederentdeckung des nationalen Selbstbewusstseins in jüdischen akademischen Kreisen mit der Gründung der ersten farbentragenden jüdischen Verbindung "Kadimah" einen wesentlichen Impuls.

Klar sei, dass der klassische Zionismus der Jahre 1897 bis 1948 heute nicht mehr strahlkräftig sei, so Schubert. Ebenso wie in der katholischen Kirche die Bewegungen "Quickborn" und "Reichsbund" keine prägende Bedeutung mehr haben, sei auch der klassische Zionismus nicht mehr prägend für das Judentum in Israel und in der Diaspora. Allerdings bleibe der Staat Israel Hoffnungsträger. "Denn er bleibt der Staat, in den die Menschen in der Not flüchten können", so Schubert.
     
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