Sondersitzung des Grazer Gemeinderates  

erstellt am
11. 05. 05

"Die Robe des Friedens muss ständig gepflegt werden"
Graz (stadt) - 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag und 10 Jahre EU-Mitgliedschaft führten am Dienstag (10. 05.) Nachmittag die Spitzen der Grazer Gesellschaft in den Minoritensaal: Mit einer Sondersitzung des Gemeinderates gedachte die Stadt Graz der drei so bedeutsamen Jubiläen. Im feierlichen Rahmen des vollbesetzten Minoritensaals wurden aber auch zwei außerordentliche Persönlichkeiten mit der höchsten Ehrung bedacht, die die Landes- hauptstadt vergeben kann. Landeshauptmann a. D. Dr. Josef Krainer und Bürgermeister a. D. Alfred Stingl wurden zu „Ehrenbürgern“ ernannt.

Viel Prominenz
Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl begrüßte die Gäste - an der Spitze Landeshauptmann Waltraud Klasnic, Landtagspräsident Reinhold Purr, Diözesanbischof Dr. Egon Kapellari und LH-Stellvertreter Mag. Franz Voves -, die gesamte Stadtregierung, GemeinderätInnen, hohe Geistlichkeit, weitere hochrangige Vertreter der Steiermärkischen Landesregierung, aus dem Bundesrat und dem Landtag, aus Justiz, Wirtschaft, Militär, Polizei, Gendarmerie, den Universitäten, die ehemaligen Mitglieder der Grazer Stadtregierung, die Grazer Ehrenringträger, die vier bisherigen Ehrenbürger und natürlich die ganz speziellen Ehrengäste Krainer und Stingl. Auch die vier Signatarmächte des Staatsvertrages hatten ihre diplomatischen Vertreter zur Feierstunde entsandt. Die Grazer Partnerstadt St. Petersburg hatte eine Grußbotschaft übermittelt.

Friedens-Pflege
„Das Ende des Zweiten Weltkriegs bewegt Menschen auf der ganzen Welt. Mir als Spätgeborenem ist es unmöglich, die traumatische Dimension des Leids zu erfassen, das der Krieg gebracht hat“, erklärte Bürgermeister Mag. Nagl. „Seit 60 Jahren umhüllt uns in Österreich das warme Kleid des Friedens, ein Gewebe aus demokratischen Prozessen, aus Rechtssicherheit und Gleichheit vor dem Gesetz, ein Stoff aus wirtschaftlicher Prosperität und sozialen Leistungen. Diese Robe des Friedens muss ständig gepflegt werden. Wir haben die Verantwortung dafür, den Frieden an kommende Generationen weiterzugeben, denn Freiheit ist ein Wert, den wir nicht hoch genug schätzen können.“ Nagl gab auch zu bedenken, dass diese Freiheit, die ein Anspruchsrecht geworden sei, selbstkritisch hinterfragt werden müsse. „Wir sind im positiven Sinn frei, um unsere Zukunft zu gestalten, unsere Meinung zu äußern, um politisch tätig zu werden, um unseren Glauben zu pflegen. Man muss der Freiheit eine Form geben und die Form der Freiheit ist und bleibt das Gewissen.“

Festredner
Der Bürgermeister übergab das Wort an Festredner Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner, den Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung und Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der Universität Graz. Karner gab den Gästen einen Abriss über die Vorgeschichte des Staatsvertrages, wie es von der Einsamkeit des Sterbens im Zweiten Weltkrieg zu den Stunden der Freude über die neu erlangte Freiheit kam.

Verhandlungen
Speziell beleuchtete Univ.-Prof. Karner die Hintergründe der Zustimmung der sowjetischen Machthaber zum Staatsvertrag, er erzählte vom Schwenk der Russen von der absoluten Ablehnung eines Abzugs der russischen Besatzungstruppen bis zum Durchbruch zum „Moskauer Memorandum“. Er berichtete, wie die österreichische Delegation vom 11. bis 15. April 1955 nach Moskau flog, wie Bundeskanzler Ing. Julius Raab, Vizekanzler Dr. Adolf Schärf, Außenminister Dr. Ing. Leopold Figl und Staatssekretär Dr. Bruno Kreisky in schweren Verhandlungen - etwa um Mitternacht in der Küche der österreichischen Botschaft - die Freiheit für Österreich auf friedlichem Wege erkämpften. „Dankbarkeit, Stolz, Optimismus und Mut prägten den Sommer und Herbst 1955“, so Karner, „aber über allem strahlte natürlich die Freude über den Staatsvertrag!“

Neuer Ehrenbürger der Stadt Graz: Dr. Josef Krainer
Stehende Ovationen gab es für Dr. Josef Krainer, Landeshauptmann außer Dienst, als er heute Nachmittag das Podium im Grazer Minoritensaal betrat. Zuvor hatte Laudator Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl den steiermärkischen Landeshauptmann der Jahre 1980 bis 1995 in seiner Rede für seine Verdienste gewürdigt.

Krainer, dem die Ehrenbürgerschaft der Landeshauptstadt Graz verliehen wurde, freute sich über die Würdigung durch die Grazer Stadtpolitik und stellte seine Dankesrede unter das Motto „60/50/10“ (60 Jahre Kriegsende, 50 Jahre österreichischer Staatsvertrag, 10 Jahre Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union): „Hätte man damals nicht gewusst, dass die Stärke in der Einheit liegt, hätten wir das alles nicht geschafft. Bei allen entscheidenden Fragen wurde immer das Gemeinsame vor das Trennende gestellt. Nicht nur der materielle Wohlstand, sondern auch das gute geistige Klima lag mir in den vielen Jahren am Herzen“.

Ein Mann mit weitem geistigen Horizont
Als ältestes von fünf Kindern wurde Josef Krainer am 26. August 1930 geboren. 1946 legte er die Reifeprüfung am Oeverseegymnasium in Graz ab und entschied sich nach eingehenden Überlegungen für das Studium der Rechte, wo er 1956 an der Karl-Franzens-Universität promovierte. „Tief geprägt von seinem Religionslehrer, dem späteren Regens Franz Leopold, rang Josef Krainer um die Entscheidung seines Studiums - Theologie und Philosophie einerseits und Volkswirtschaftslehre, Finanzpolitik- und Verfassung andererseits -, die Wahl fiel zu Gunsten des Studiums der Rechte aus“, erklärte Bürgermeister Nagl bei der Feier zur Verleihung der Ehrenbürgerschaften. „Seine frühen Auslandserfahrungen an der University of Georgia und am Bologna-Center John-Hopkins-University und die Welt- und Sprachgewandtheit formten Josef Krainers intellektuelle Liberalität, seinen weiten geistigen Horizont und seine ausdauernde Kraft. All dies änderte nichts an seiner Verwurzelung in der bäuerlichen Tradition seiner Familie, die stets innig mit der Steiermark und Österreich verbunden war“, so Nagl.

Landeshauptmann für alle Steirerinnen und Steirer
1970 wurde Krainer in den Nationalrat gewählt und trat 1971 nach dem tragischen Tod seines Vaters als Landesrat in die Landespolitik ein. 1980 wurde Josef Krainer einstimmig zum Landeshauptmann der Steiermark gewählt. Bei den Landtagswahlen 1981, 1986 und 1991 errang Krainer weitere Wahlerfolge und wurde als Landeshauptmann bestätigt. „Beseelt vom brennenden Wunsch, ein Landeshauptmann für alle Steirer zu sein, war sein kraftvolles Handeln stets dem Wohl des Landes und seiner Bewohner gewidmet. Die schwierigen Fragen der Wirtschaftspolitik beantwortete er mit der Umstrukturierung der alten Industriebezirke zu modernen Hochtechnologieregionen, wobei auch innovatorische Betriebsansiedelungen tatkräftigst gefördert wurden“, so Nagl. Krainer setzte auch in der Kulturpolitik entscheidende Impulse. Über die Errichtung des Freilichtmuseums Stübing, das Kulturfestival Styriarte bis hin zum „steirischen herbst“ wirkten seine kulturpolitischen Intentionen. Aber auch die aktive Nachbarschaftspolitik und die Zusammenarbeit in der ARGE-Alpen-Adria waren ihm ein Anliegen. Überhaupt war Krainer ein Fürsprecher der bestmöglichen Integration Österreichs in die Europäische Union. „Unzählig sind die Ehrungen, die Josef Krainer zuteil wurden. Die Ehrenbürgerschaft ‚seiner Landeshauptstadt Graz’ möge ein weiterer Glanzpunkt dieses beispiellosen Lebensweges sein“, sagte Nagl abschließend in seiner Laudatio.

Neuer Ehrenbürger der Stadt Graz: Alfred Stingl
Der Applaus wollte nicht enden, als Altbürgermeister Alfred Stingl die Bühne betrat. Die Anwesenden warteten jedoch leider vergebens auf seine Rede: Aufgrund einer schlimmen Verkühlung und angegriffener Bronchien war Stingl nicht in der Lage, Dankesworte an die Feiergäste zu richten. „In seinem Innersten brennt so viel Licht für die Landeshauptstadt Graz, dass es ihm auf gut steirisch die Red’ verschlagen hat“, deutete Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl schmunzelnd die „Sprachlosigkeit“ des Altbürgermeisters, den er selten wortkarg erlebt habe. Gerne erinnerte sich Nagl an die freundschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit mit seinem Amtsvorgänger.

Stationen aus dem Leben einer bedeutenden Persönlichkeit
Aus dem Curriculum Vitae dieser großen Persönlichkeit hob der amtierende Bürgermeister folgende Meilensteine hervor: Am 28. Mai 1939 in Graz geboren, begann der gelernte Schriftsetzer Alfred Stingl seine kommunalpolitische Laufbahn im Jahr 1968 mit der Wahl in den Gemeinderat. 1973 wurde er in den Stadtsenat, 1982 zum Bürgermeister-Stellvertreter und drei Jahre später schließlich zum Bürgermeister gewählt. Höhepunkte der beinahe 18 Jahre währenden Ära Stingl waren die Erklärung der Grazer Altstadt zum Weltkulturerbe im Jahr 1999 sowie die Übergabe der neuen Synagoge im darauffolgenden Jahr. Als Bürgermeister der ersten Menschenrechts-Stadt Europas richtete der „Brückenbauer“ Alfred Stingl, der sich stets für Frieden und Menschenrechte einsetzte, im Jahr 2002 das Weltbuddhistentreffen „Kalachakra“ unter der Leitung des 14. Dalai Lamas aus. Darüber hinaus erwarb er sich einen grenzüberschreitenden Ruf als engagierter Kultur- und Medienpolitiker. So war er jahrelang Mitglied des höchsten Gremiums des Österreichischen Rundfunks und Fernsehens sowie Vorsitzender des ORF-Kuratoriums. Stingl bekleidete Funktionen als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Grazer Messe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Natur- und Umweltschutz, Vizepräsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas sowie Gremiumsmitglied des Städtebundes. Das Wirken des Altbürgermeisters war geprägt von Menschlichkeit, Willensstärke, Konsequenz und Bürgernähe. Die Übernahme und der Umbau des ehemaligen Unfallkrankenhauses in ein modernes SeniorInnenzentrum hatten für ihn ebenso höchste Priorität wie der Aus- und Zubau des Geriatrischen Krankenhauses. In seiner Amtszeit wurde die Stadt Graz zum renommierten Hochschulzentrum, zum Autocluster von Weltruf und unter seiner maßgeblichen Leitung zur europäischen Kulturhauptstadt 2003.

Ein Mann des Dialoges
Als Mann des Dialoges bezeichnete Bürgermeister Nagl seinen Amtsvorgänger, der wesentliche Kapitel der Grazer Geschichte geschrieben habe. Zahlreiche Auszeichnungen wie die Verleihung zum Ehrensenator der Karl-Franzens-Universität und der Technischen Universität Graz, die Ernennung zum Ehrenmitglied der Kunstuniversität Graz und die Verleihung des Großen Goldenen Ehrenzeichen mit dem Stern des Landes Steiermark zeugten vom vielfältigen Wirken des Altbürgermeisters. Auch jetzt als Privatmann sei Alfred Stingl nicht müde geworden, Verzweifelten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und für das Wohl „seiner“ Grazerinnen und Grazer zu wirken. Mit einer herzlichen Gratulation schloss Nagl die Laudatio auf seinen „europäischen und menschlichen Wegbegleiter“, der heute mit der höchsten Ehrung ausgezeichnet worden sei, die die Landeshauptstadt Graz zu vergeben habe.

Das Team von Graz Online gratuliert seinem ehemaligen "Chef " Alfred Stingl ebenfalls sehr herzlich!

Eine Nachlese aller lebenden Ehrenbürger der Stadt Graz finden Sie hier.
     
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