Abgeordnete im Gespräch mit angehenden US-DiplomatInnen
Wien (pk) - Europäische Entwicklungen, sowohl im Rahmen der EU wie auch darüber hinaus,
standen im Mittelpunkt einer Aussprache, die Vertreter der vier Parlamentsfraktionen mit rund 80 Universitäts-Absolventen
aus den USA, die sich auf eine Karriere im diplomatischen Dienst ihres Landes vorbereiten, am Montag (23. 05.)
im Parlament durchführten. Nach der Begrüßung der Gäste durch Zweite Präsidentin Barbara
Prammer sprachen die Abgeordneten Werner Fasslabend, Peter Schieder, Herbert Haupt und Peter Pilz zu den Studenten
und stellten sich einer kurzen Diskussion.
Abgeordneter Werner Fasslabend sah in der vor einem Jahr erfolgten Erweiterung der EU einen großen Erfolg,
trotz der vorher vorhandenen Skepsis ob des großen Erweiterungsschrittes. Mit Rumänien und Bulgarien
stünden bereits die nächsten neuen Mitglieder vor der Tür. Fasslabend kam dann auf geschichtliche
Entwicklungen in Zentraleuropa zu sprechen. Er wies darauf hin, dass es in Österreich nach dem Ende der Monarchie
80 Jahre gebraucht habe, bis ein neues Österreich-Bewusstsein gewachsen sei. Österreich habe zu seinen
Nachbarn ein spezielles Verhältnis und, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Ungarnaufstand von 1956, der
Invasion in der Tschechoslowakei 1968 und den Balkankriegen in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, eine "zentraleuropäische
Kompetenz" erworben. Wien sei damit zu einem "inoffiziellen Zentrum" Zentraleuropas nicht allein
in wirtschaftlicher, sondern auch in politischer und kultureller Hinsicht geworden.
Man müsse bedenken, dass die EU nur ein wenig mehr als die Hälfte der europäischen Staaten umfasse,
schickte Abgeordneter Peter Schieder voraus. Vor allem im Osten Europas gebe es noch viele Staaten, die nicht Mitglieder
der Union seien: Ukraine, Weißrussland, Moldawien, aber auch im Südosten Europas: Albanien, Serbien,
Mazedonien und andere. Diese Staaten hingen zum Teil von ihrem wirtschaftlichen Zugang zu Europa ab. Österreich
habe eine ebenso geographisch wie historisch begründete Verantwortung, vor allem die Staaten auf dem Balkan
im Auge zu haben. Schieder erinnerte darüber hinaus daran, dass die Türkei wie kaukasische Länder
in der Antike Teil Europas waren.
Europa sei nicht nur ein Projekt der wirtschaftlichen Integration, führte Schieder weiter aus, sondern beruhe
auf Werten wie Recht, Demokratie und Freiheit, Minderheitenrechten und Umweltstandards. Europa wolle diese Werte
auch verbreiten, stehe gegen eine unilaterale Weltordnung und gegen die Todesstrafe. Er orte eine Beschleunigung
des Trends hin zur parlamentarischen Demokratie, auch im Sinne eines Netzwerks der Parlamente, sagte Schieder.
Er und seine Kollegen am Podium gehörten einer glücklichen Generation an, die 60 Jahre Frieden und Teilhabe
an Demokratie und Freiheit erlebt hätte, sagte Abgeordneter Herbert Haupt. Österreich sei in der Geschichte
Mittelpunkt Europas gewesen, und durch die Erweiterung der EU liege Österreich jetzt wieder in der europäischen
Mitte, mit guten Beziehungen nach Osten wie nach Westen. Die Herausforderung für die EU liege zur Zeit in
den unterschiedlichen Niveaus etwa in den sozialen Systemen, bei der Beschäftigung, im Gesundheitssystem und
im Bildungssystem. Angesichts dieser Situation gelte es eine "gemeinsame europäische Gesellschaft"
zu formen. Zwei Versuche einer europäischen Einheit seien in der Geschichte gescheitert - Österreich-Ungarn
und der Völkerbund -, jetzt gebe es dafür die 3. Chance, sagte Haupt pointiert.
Abgeordneter Peter Pilz versuchte die Idee Europa von einer anderen Seite her zu vermitteln. Jorge Luis Borges,
der argentinische Dichter, sei nie in Europa gewesen - und sei gleichwohl "ein Europäer". Er sei
es als Vertreter einer internationalen Idee, die Recht, Demokratie und Freiheit umfasse und die in der ganzen Welt
geteilt würde. Europa sei ein politisches Projekt, das auch mit vielen Problemen behaftet sei, sagte Pilz
weiter. Die "Interessenachse" von Ländern wie Türkei, Rumänien und Bulgarien sei eindeutig
auf Europa ausgerichtet, und Europa habe sich daher damit zu befassen, auch mit der Türkei, ob man das wolle
oder nicht. Die Interessenachse von Ländern wie Irak und Iran hingegen sei anders ausgerichtet; gleichwohl
unterstütze die EU die Verbreitung europäischer Werte als globaler Werte auch in diesen Ländern.
Im Zusammenhang mit der Debatte um die Europäische Verfassung sah Pilz die Gefahr, dass Europa auf der Stufe
des gemeinsamen Marktes stehen bleiben könnte. Dahinter stehe auch die Frage, ob die europäische Sicherheit
- anders als in Amerika - auf sozialer Integration aufgebaut werden solle, also die Frage nach einer sozialen Dimension
der europäischen Verfassung.
In der Debatte wurden auch Differenzen zwischen den USA und Europa angesprochen. Peter Schieder sah eine Deckungsgleichheit
zwischen den USA und Europa von 90 %. Er wie auch Abgeordneter Pilz machten die Differenzen an Umweltfragen, dem
Thema Gentechnik, der Todesstrafe, der Rolle des internationalen Rechts und der Vereinten Nationen sowie an der
Situation im Zusammenhang mit dem Gefangenenlager von Guantanamo deutlich. "Die internationale Rolle des Rechts
sollte auch Teil der US-Rechtskultur werden", meinte Abgeordneter Pilz in diesem Zusammenhang.
"International Mission on Diplomacy" ist ein berufsvorbereitendes Programm für ausgewählte
US-UniversitätsabsolventInnen zur Karriereentwicklung im diplomatischen Dienst. Der Sitz der Organisation,
die ihr Programm in Australien, Brasilien, China, Europa und Südafrika anbietet, ist Washington D.C. Das Programm
bietet den TeilnehmerInnen die Gelegenheit, Karriereoptionen auf dem Feld der internationalen Beziehungen zu prüfen,
aktuelle Fragen in der diplomatischen Welt zu diskutieren und die Komplexität bei der Formulierung nationaler
Politiken kennen zu lernen und zu erforschen. Im Rahmen ihres Europa-Programms besuchen die TeilnehmerInnen neben
Wien auch Budapest und Prag. In Österreich nist auch ein Besuch in Mauthausen vorgesehen.
Nach den TeilnehmerInnen der IMD werden weitere TeilnehmerInnen an ähnlichen Programmen im Rahmen ihrer Europatour
im österreichischen Parlament Station machen. So werden am 13. Juni rund 170 College-StudentInnen aus 20 bis
25 Ländern im Rahmen von "Global Young Leaders Summit" im historischen Sitzungssaal erwartet. Über
100.000 junge Menschen aus 50 Ländern haben dieses Programm bereits absolviert. Am 2. Juli werden 400 TeilnehmerInnen
des Programms "Global Young Leaders Conference" - ebenfalls College-StudentInnen - aus aller Welt im
Parlament erwartet. |