Auszüge aus der Rede der Außenministerin anlässlich des Europaforums Wachau/Stift
Göttweig
Göttweig (bmaa) – (…) „Mit dem mehrheitlichen Nein der Franzosen und Niederländer
zum europäischen Verfassungsvertrag haben wir einen Warnschuss gehört, der ganz Europa angeht. Neben
vielen innenpolitischen Motiven und Abrechnungen bringen diese beiden Volksentscheide auch ein Unbehagen zum Ausdruck,
das die Sorgen und Ängste vieler Europäer spiegelt“, sagte Außenministerin Plassnik am Samstag
(04. 06.) in ihrer Rede vor dem Europa-Forum Wachau in Stift Göttweig.
(…)„Nur wenn wir uns dieser Mühe gewissenhaft unterziehen, werden wir auch für alle 25 Mitgliedsstaaten
den richtigen Weg aus der Situation finden können, vor der wir heute stehen. Daher gilt jetzt vor allem die
Devise: Hände weg vor übereilten Schlussfolgerungen über das weitere Schicksal des europäischen
Verfassungsvertrags.
Mit technokratischen Reparaturvorschlägen werden wir nur dem europäischen Zorn Vorschub leisten. Was
wir hingegen brauchen, ist eine neue europäische Aufmerksamkeit nach innen. Gerade als überzeugte Europäer
dürfen wir uns vor dieser Arbeit nicht drücken!
Auch die positiven Abstimmungsergebnisse müssen ernst genommen werden. Immerhin repräsentieren sie in
etwa die Hälfte der EU-Bevölkerung.“
(…) „Klar ist, dass in dieser Frage kein Mitgliedstaat für andere entscheiden kann. Österreicher sind
Österreicher, Franzosen Franzosen, Engländer Egländer, Aufrufe zu einem sofortigen Ratifikationsstopp
sind daher eine unzulässige Bevormundung anderer Mitgliedstaaten.
Hinter uns liegen – sieben Monate nach der Unterzeichnung des Verfassungsvertrags – die Zustimmung des Europäischen
Parlaments, drei nationale Referenden und neun parlamentarische Genehmigungsverfahren. Vor uns nach jetzigem Stand
sieben Volksabstimmungen und sechs parlamentarische Genehmigungsverfahren. Völkerrechtlich gesehen bedarf
der Verfassungsvertrag der Annahme durch als 25 EU-Mitgliedstaaten. Und alle 25 müssen über denselben
Text befinden.
Sie sehen, worauf ich hinaus will. Es gibt hier keine einfache Lösung. Europa steht vor einer großen
Bewährungsprobe.“
(…) „Auch die gut gemeinten Aufforderungen, jetzt den Verfassungsvertrag in Einzelteile zu zerlegen und in einem
Sonderverfahren quasi als „Verfassung light“ in Kraft zu setzen, sind realitätsfremd.“
(…) „Der Erweiterungsprozess ist der beste Beweis für unsere Fähigkeit, uns immer wieder an neue Rahmenbedingungen
anzupassen. Aber es ist wichtig, dass diese Anpassung gewissenhaft und behutsam durchgeführt wird. Denn der
europäische Integrationsprozess kann nur erfolgreich sein, wenn er ein Wir-Gefühl entstehen lässt.
Der Wiederaufbau Europas ist noch nicht abgeschlossen: Vor fünf Jahren hat die Europäische Union allen
Ländern des westlichen Balkans eine Beitrittsperspektive eingeräumt. Dabei hat sie auch die Voraussetzungen
formuliert, die für alle Kandidatenstaaten gelten und bei denen es keine Abstriche geben darf: den Respekt
für alle Kopenhagener Kriterien, die Bereitschaft, die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen umzusetzen
und mit den anderen Staaten ihrer Region zusammenzuarbeiten.“
(…) „Ich freue mich, dass heute auch mein türkischer Amtskollege Gül unter uns ist. Wie immer sich das
neue Kapitel, welches wir im Verhältnis zwischen der Türkei und der europäischen Union aufschlagen,
konkret gestalten wird: Ich bin überzeugt, dass Österreich zu jenen EU-Staaten gehören wird, dessen
bilaterale Beziehungen zur Türkei besonders eng sein werden.“ |