Was (Fliegen)männchen zu Männchen macht  

erstellt am
03. 06. 05

Forscher am Wiener Institut IMBA konnten beweisen, daß ein einziges Gen für das komplexe Sexualverhalten bei männlichen Fruchtfliegen verantwortlich ist
Wien (universität) - Auch die unscheinbare Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) hat in Liebesdingen einiges zu bieten. Ist ein Männchen zur Paarung entschlossen, so umwirbt es das Weibchen in einer genau festgelegten Abfolge von Verhaltensweisen. Es verfolgt die empfängnisbereite Fliege, betastet sie mit den Vorderbeinen und “singt” sogar ein Liebeslied, das durch Vibration der Flügel hervorgerufen wird. Schliesslich berührt es den Genitalbereich mit dem Mundwerkzeug. Ist das Weibchen ausreichend stimuliert, so akzeptiert es die Avancen und lässt die Kopulation zu.

Fliegenmännchen umwerben nur Weibchen, niemals andere Männchen, und Fliegenweibchen zeigen keinerlei Balzverhalten. Was einleuchtend klingt, veranlasst Forscher zu intensivem Nachfragen: Wie ist die Entwicklung derart komplexer angeborener Verhaltensweisen bei Tieren gesteuert? Gibt es, ähnlich wie bei der Ausbildung von körperlichen Merkmalen, übergeordnete Gene, die wie molekulare Schalter wirken und die Weichen für männliches bzw. weibliches Verhalten stellen? Sind also Instinkte genetisch programmiert?

Daß der Neurobiologe Barry Dickson und seine Doktorandin Ebru Demir vom Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) die Antwort im Fortpflanzungsverhalten der Fruchtfliege suchten, hat mehrere Gründe. Drosophila ist ein Lieblingsorganismus der Genetiker und entsprechend gut erforscht, leicht zu halten und hat zahlreiche Nachkommen. Die Strategien, die der Fortpflanzung dienen, sind bei männlichen und weiblichen Individuen sehr unterschiedlich, und sie sind einem starken Selektionsdruck ausgesetzt. Im Lauf der Evolution sollten sich daher Gene durchgesetzt haben, die erfolgreiche Verhaltensweisen fest im Gehirn verankern.

Vom Gen “fruitless” (fru) ist bereits seit einigen Jahren bekannt, daß es eine wichtige Rolle im geschlechtsspezifischen Sexualverhalten der Fliegen spielt. Männliche und weibliche Individuen tragen unterschiedliche Versionen des Gens. Schaltet man fru experimentell aus, so stört man das Fortpflanzungsverhalten empfindlich. Barry Dickson und seinem Team gelang es, in Fruchtfliegen wahlweise die männliche bzw. weibliche Version von fru zu erzeugen, bei ansonsten völlig unveränderter Gen-Ausstattung. Männchen mit der weiblichen Variante unterlassen daraufhin das Balzverhalten und verlieren ihre sexuelle Orientierung.

Wesentlich spektakulärer ist das Ergebnis, wenn weibliche Fliegen mit der männlichen Genversion ausgestattet werden. Sie beginnen, andere Weibchen zu verfolgen und nach männlichem Verhaltensmuster zu umwerben. Dabei zeigen sie das komplette Repertoire des Balzens in der adäquaten zeitlichen Reihenfolge. Auch Männchen, die weibliche Sexualduftstoffe verströmen, werden auf diese Weise umgarnt. Die männliche Form des fru Gens ist also nicht nur notwendig, sondern sogar ausreichend, um bei Fliegen männliches Sexualverhalten hervorzurufen.

Mit dieser aufsehenerregenden Beobachtung können die Forscher erstmals demonstrieren, daß ein komplexes angeborenes Verhaltensmuster durch die Funktion eines einzigen Gens ausgelöst wird. Dickson und Demir schlussfolgern, daß Schaltgene auch im Bereich der Verhaltensentwicklung existieren und daß fru eines davon ist.

Die Arbeit der beiden Wissenschaftler erscheint als Cover-story in der kommenden Ausgabe der Zeitschrift CELL (3. Juni 2005). Eine zweite Publikation der Arbeitsgruppe Barry Dicksons im selben Heft ergänzt die Ergebnisse. Petra Stockinger und Kollegen weisen darin nach, daß das fru-Gen in etwa 2% der Nervenzellen des Fliegengehirns aktiv ist. Diese Nervenzellen bilden ein Geflecht, das sowohl in männlichen als auch in weiblichen Fliegenhirnen zu finden ist. “Es ist daher sicher nicht zielführend, die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Individuen in der Feinstruktur des Gehirns zu suchen”, folgert Barry Dickson.

Barry Dickson
Barry J. Dickson wurde 1962 in Melbourne geboren. Er studierte Mathematik und Biologie und promovierte 1992 bei Ernst Hafen in Zürich. 1998 kam er nach Wien, wor er fünf Jahre lang eine Arbeitgruppe am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) leitete. Seit dem Jahr 2003 ist Dickson Senior Scientist am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA). Mit Beginn des Jahres 2006 wird er die wissenschaftliche Leitung des IMP übernehmen.

IMP-IMBA Research Center
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, kombiniert Grundlagen- und angewandte Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin. Interdisziplinär zusammengesetzte Forschergruppen bearbeiten funktionsgenetische Fragen, besonders in Zusammenhang mit der Krankheitsentstehung.

Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) betreibt in Wien molekularbiologische Grundlagenforschung im internationalen Firmenverband Boehringer Ingelheim.

Zwischen IMP und IMBA bestehen enge Kooperationsbeziehungen. Unter dem Namen “IMP-IMBA Research Center” greifen die beiden Institute auf eine gemeinsame Infrastruktur im wissenschaftlichen und administrativen Bereich zu. IMP und IMBA sind Mitglieder des Campus Vienna Biocenter

Informationen: http://www.imba.oeaw.ac.at
     
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