Österreichs EU-Politik  

erstellt am
20. 06. 05

Schüssel: Großbritannien muss Initiative zeigen
Wien (övp-pd) - Nach dem gescheiterten EU-Haushaltsgipfel hat Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die britische Regierung aufgefordert, sich für die europäische Einigung einzusetzen. Großbritannien, dessen Beharren auf dem sogenannten Briten-Rabatt bei den EU-Finanzen ein wichtiger Grund für das Scheitern eines Kompromisses war, übernimmt ab 1. Juli die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Dann könne es nicht "seinen Weg den anderen aufzwingen", sagte Schüssel am Samstag (18. 06.) in einem Interview in den ARD-"Tagesthemen".

Briten wollen ein anderes Europa
Hinter dem Konflikt beim Gipfel stünden unterschiedliche Ansichten über die langfristige Zukunft der EU: "Die Briten wollen ein anderes Europa. Sie wollen mehr ein marktwirtschaftlich orientiertes Europa, einen größeren Markt, keine vertiefte Union." Dies bedeute aber den Abschied vom "vom europäischen Sozial- und Wirtschaftsmodell, das uns gut getan hat, das die Bürger wollen und das uns stark gemacht hat." Schüssel sagte, man müsse der Gefahr ins Auge blicken, dass nun jeder gegen jeden kämpfe.

Österreich: ab Jänner 2006 Ratspräsidentschaft
Bei dem Brüsseler Gipfeltreffen sei "einiges an Porzellan zerbrochen worden". Schüssel wertete das Scheitern als "vergebene Chance". Er glaube nicht, dass man in drei, sechs oder neun Monaten "wesentlich gescheiter" sein werde. Der EU-Gipfel sei an der Blockade Großbritanniens, Schwedens und der Niederlande gescheitert. Schüssel warnte den britischen Premier Blair davor, in seinem künftigen Amt als EU-Ratsvorsitzender seinen nationalen Willen den anderen Mitgliedern aufzuzwingen. Der Vorsitz sei ein "Dienst an der Gemeinschaft". Er müsse versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu schaffen.
     
 Molterer: Rote Karte für neoliberalen Blair-Gusenbauer-Kurs
Erfahrene Europa-Politiker der SPÖ über Gusenbauer entsetzt
Wien (övp-pk) - Mit seinen Aussagen zum Ausgang des EU-Gipfels hat SPÖ-Parteichef Gusenbauer im Ö1-"Mittagsjournal" die Herkunft seines Anti-EU-Kurses kundgetan, so ÖVP-Klubobmann Mag. Wilhelm Molterer am Samstag (18. 06.). "Gusenbauer fährt keine eigenständige Europa-Linie, sondern segelt nur im populistischen Windschatten, des neoliberalen Toni Blair dahin, ohne dass er es merkt." Allen Warnungen zum trotz "torpedieren" die beiden Sozialisten die Idee einer "Wertegemeinschaft Europa, die die ökosoziale Marktwirtschaft als Konzept lebt und nicht einen reinen Wirtschaftsliberalismus verfolgt", so Molterer.

Dabei schlage Gusenbauer sogar die Kritik von erfahrenen Europa-Politikern wie Vranitzky, Androsch, Swoboda und zuletzt auch von Bundespräsident Fischer im "Standard"-Interview in den Wind, betonte der ÖVP-Klubobmann. Von "Entsetzen" über die "populistisch- opportunistische Übung" eines "rechts überholenden" Gusenbauer sei die Rede gewesen. Wie SPÖ-Bundesgeschäftsführer Darabos nach dieser "Roten Karte" für den SPÖ-Parteichef immer noch vom "richtigen Kurs" sprechen könne, sei ihm, Molterer, ein Rätsel.

"Die Antwort, die Europa jetzt braucht, heißt sicher nicht 'Vorwärts Genossen, wird müssen zurück', sondern die Antwort liegt in einer konsequent konstruktiven Europa-Linie, die den Bürgerinnen und Bürgern Nutzen und Schutz bietet. Das ist der Kurs von Wolfgang Schüssel, das ist der Kurs der ÖVP, das ist der Kurs für Europa", so Molterer abschließend.

 

 Gusenbauer: Chance auf Erneuerung nutzen
"EU gibt zu viel Geld für das Falsche aus" - Kritik an Kanzler Schüssel
Wien (sk) - SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer plädierte am Samstag (18. 06.) in der Radioreihe "Im Journal zu Gast" dafür, das Scheitern des EU-Gipfels als Chance auf Erneuerung zu betrachten, die es zu nutzen gelte. "Die EU gibt zu viel Geld für das Falsche und zu wenig Geld für das Richtige aus", so Gusenbauer. Das Gebot der Stunde laute daher, die Milliarden-Förderung für die Agrarindustrie - mit Massentierhaltung, Überschussproduktion und Tiertransporten - einzuschränken und mehr Geld für Forschung, Wissenschaft, Bildung, Beschäftigung und Wachstum auszugeben.

"Es ist Zeit für einen Kurswechsel", so Gusenbauer. Die Agrarindustrie mit ihrer mächtigen Lobby in Brüssel, die auch die Landwirtschaft der Dritten Welt zerstöre, müsse eingeschränkt werden. Für die Agrarindustrie werde sieben mal so viel ausgegeben wie für Bildung und Wissenschaft; 40 Prozent der Mittel dienten der Befriedigung der Agrarlobby. "Das ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts das völlig falsche Signal", verwies Gusenbauer auf die Notwendigkeit, am internationalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Stattdessen müsse ein soziales Europa, ein Europa der Arbeitsplätze und des Wachstums - so wie es den ÖsterreicherInnen versprochen wurde - verwirklicht werden. Tatsächlich habe sich Europa in den letzten Jahren "unter tätiger Mithilfe der Regierung Schüssel immer weiter von diesem Ziel entfernt".

Es sei zwar schade, dass beim EU-Gipfel der notwendige Kurswechsel nicht herbeigeführt worden sei, so Gusenbauer. Allerdings: Das Scheitern des Gipfels sei eine "Schrecksekunde, die vielleicht heilsam ist" und zu einem Nachdenken anrege, was sie die Menschen von Europa erwarten.

Nun müsse eine Diskussion begonnen werden, was man alles in Europa ändern muss, damit man wieder die Zustimmung der Bürger bekommt. Österreich habe dabei eine "große Chance zum Gestalten". Einfach nur weiterzumachen, wie Kanzler Schüssel das geplant habe, stöße nicht auf Zustimmung der Bevölkerung. Man müsse die Menschen und ihre Befindlichkeiten ernst nehmen, denn wenn diese den Eindruck hätten, dass ihre Wünsche nicht wahrgenommen werden, würden sie das Projekt Europa nicht mehr mittragen.

Höhere Beiträge können nicht unser Ziel sein
Zur Diskussion über die Nettozahlerposition Österreichs sagte Gusenbauer: "Höhere Beiträge können nicht unser Ziel sein." Auch die Niederlande, Schweden und Großbritannien wollen nicht mehr zahlen, erinnerte Gusenbauer. "Vom österreichischen Bundeskanzler hat dazu man wenig gehört, außer, dass er bereit ist, mehr zu zahlen." Der SPÖ-Chef weiter: "Wir Österreicher wollen mitbestimmen, wofür unser Geld ausgegeben wird."

"Man hätte Tony Blair beim Wort nehmen sollen"
Man hätte den britischen Premierminister Blair beim Wort nehmen sollen, als er gemeint hatte, bei einer Ausgabenreform auf den Britenrabatt verzichten zu wollen, erklärte der SPÖ-Chef. "Das wäre eine gute Möglichkeit gewesen, zu einer sinnvollen Ausgabenverteilung zu kommen", so Gusenbauer. Die Staats- und Regierungschef hätten kein gutes Bild abgegeben, sie seien nicht imstande gewesen, einen Kurswechsel einzuleiten und ein Zeichen der Vertrauensbildung zu setzen.

Nächste Wahl wird eine Richtungsentscheidung - SPÖ will Nummer eins werden
Der SPÖ-Vorsitzende geht davon aus, dass die "Koalition der Sesselkleber" bis 2006 durchdienen werde - "sie eint die Angst vor dem Wähler". Die nächste Wahl werde jedenfalls zur Richtungsentscheidung zwischen dem "neoliberalen Kahlschlags-Kurs der ÖVP und dem Kurs der sozialen wirtschaftlichen Erneuerung Österreichs der SPÖ". Bei der Nationalratswahl wolle die SPÖ Nummer eins werden - mit einem Konzept, das den Menschen wieder Hoffnung für die Zukunft gibt. "Ich werde alles dazu tun, die Menschen zu überzeugen, dass die SPÖ besser regieren kann als die derzeitige Regierung."

"Die Zustimmung der Bevölkerung zu unserem Projekt der Erneuerung wird täglich größer", erklärte Gusenbauer. Die SPÖ habe im vergangen Jahr alle Landtagswahlen, die EU-Wahl und die Bundespräsidentenwahl gewonnen und sie gewinne alle Gemeinderatswahlen. Auch für die drei anstehenden Landtagswahlen im Herbst zeigte sich Gusenbauer sehr optimistisch.

Im Rahmen seiner "Startklar"-Tour habe er bereits 56 Bezirke Österreichs besucht, ein Besuch der restlichen Bezirke werde folgen. Das habe noch nie zuvor ein Parteivorsitzender gemacht. "Ich werde am Ende der Tour die Möglichkeit gehabt haben, mit Tausenden Menschen über Sorgen und Anliegen zu reden."

 

Haider: Europa ist ins Koma gefallen
Idee der Gründerväter wiederbeleben: Europa als Staatenbund
Klagenfurt (bzö) - "Europa ist ins Koma gefallen", meinte Bündnisobmann Jörg Haider am Samstag (18. 06.) im Rahmen eines Alpe-Adria Festes in Völkermarkt zum Scheitern des EU-Gipfels. Damit sei man am Ende einer verhängnisvollen EU-Strategie angelangt, die mit dem Vertrag von Maastricht begonnen wurde.

Haider plädiert daher für die Wiederbelebung eines Europa als Freihandelszone im Rahmen eines Staatenbundes. "Das war die ursprüngliche Idee der Gründerväter dieses Europa, Jaques De Gaulle und Konrad Adenauer. Zu dieser Idee müssen wir wieder zurück. Europa muss jetzt den Retourgang einschalten", so der Bündnisobmann. Es gelte, die Regionen und deren grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu fördern und zu stärken und von der Intention eines, von Brüssel aus gesteuerten zentralistischen Superstaates abzurücken.

Das Scheitern des Gipfels hätte eben gezeigt, dass sich Europas Nationalstaaten nicht um ihre eigenen Interessen bringen ließen. Für Österreichs Politik sollten daraus auch die Lehren gezogen werden, denn zu oft sei man vor Europa bedingungslos in die Knie gegangen und hätte für andere die eigenen Anliegen über Bord geworfen. Auch bei den jetzigen Finanzverhandlungen habe sich das wieder gezeigt. Während das Bündnis Zukunft Österreich die Interessen unserer Heimat verteidigt habe, hätten andere den Widerstand gegen höhere Beiträge Österreichs sofort aufgegeben.

Der Bündnisobmann kündigte schließlich eine Klausur des "Bündnis Zukunft Österreich" an, welche sich schwerpunktmäßig der Zukunft Europas widmen werde und zum Ziel habe, eine neue Europa-Strategie zu entwickeln.

 

 Kickl verlangt gründliches Umdenken der EU
"Wenn so weitergewurstelt wird wie bisher, ist das europäische Projekt endgültig tot"
Wien (fpd) - "Negative Verfassungsreferenden, Verweigerung der direkten Demokratie in einigen Mitgliedsländern wie etwa Österreich, und jetzt das Scheitern des Brüsseler Finanzgipfels - wenn das bei den EU-Verantwortlichen nicht endlich alle Alarmglocken schrillen läßt, ist ihnen wirklich nicht mehr zu helfen", meinte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl am Samstag (18. 06.).

Kickl verlangte ein gründliches Umdenken der EU. "Wenn so weitergewurstelt wird wie bisher, ist das europäische Projekt endgültig tot." Nun erhalte die EU die Rechnung für die völlig überhastete Osterweiterung und ihre absurden Pläne wie der Aufnahme der Türkei. Alle Verantwortlichen müßten sich jetzt an einen Tisch setzen und einen Ausweg aus der Misere suchen. Dieser Ausweg könne aber auf keinen Fall über höhere Mitgliedsbeiträge oder eine Fortsetzung der Erweiterung führen. Für Österreichs Politiker müßten die österreichischen Interessen Priorität haben.

 

 Voggenhuber: EU-Gipfel war Sieg des Nationalismus über Europa
Die Idee der politischen Einigung Europas ist nun in Gefahr
Wien (grüne) -
"Die Krise ist auf alle zentralen politischen Bereiche übergesprungen, auf die Verfassung, die Finanzierung und die Erweiterung. Die Staats- und Regierungschefs haben sich in Landgrafenmanier eine Schlägerei geliefert, sind in ihre Hauptstädte zurück geflüchtet und nennen jetzt den Scherbenhaufen, den sie angerichtet haben Europa", kritisiert Johannes Voggenhuber, Europasprecher der Grünen am Samstag (18. 06.).

Die Frage, die sich jetzt stelle, sei: Wer übernimmt Verantwortung? "Eines ist klar: Europa muss sich erstens aus der Geiselhaft der nationalen Regierungen und Bürokratien befreien und eine supranationale politische Ordnung errichten, damit eine demokratisches Europa entsteht. Europa muss zweitens aus einem Vehikel zu einer politischen Ordnungsmacht der Globalisierung werden, damit ein soziales Europa entsteht. Anders wird der Nationalismus, die Seuche dieses Kontinents, niemals besiegt werden. Ein Europa nämlich, dass mit der Demokratie und der sozialen Frage in Konflikt gerät, kann nicht gelingen und wird von den Bürgerinnen und Bürgern nicht akzeptiert werden", so Voggenhuber.

Sowohl bei der Debatte um die Verfassung als auch bei der Erweiterung habe man die Frage der Finalität Europas ausgespart. Diese Frage nach dem endgültigen Ziel der Europäischen Einigung könne jetzt nicht mehr länger verdrängt werden. In allen politischen Feldern zeige sich das unausgesprochene Ringen zwischen einem Europa als bloßem Binnenmarkt versus einem Europa als politischem Gemeinwesen. "Die Regierungschefs haben gezeigt, dass sie nicht imstande sind, eine große europäische Debatte über die Zukunft Europas zu initiieren oder zu führen", so Voggenhuber.

"Die Ausweg aus dem Scheitern der Regierungschefs ist die Parlamentarisierung des Einigungsprozesses. Das Europäische Parlament (EP) und die nationalen Parlamente müssen sich nun der Frage des Ziels der politischen Einigung stellen", so Voggenhuber. Das EP müsse ein Initiator dieser großen europäischen Debatte werden und das EP und die nationalen Parlamente müssen sich ihrer eigentlichen Aufgabe als Volksvertretungen und Verfassungsgeber besinnen. Nötig sein ein Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Gewerkschaften und NGOs usw. über die finale Frage, das endgültige Ziel Europas.

"Es muss Schluss sein, mit der nationalistischen Käseglockenmentalität", so Voggenhuber. Europa sei ein Versprechen, dass vor exakt 60 Jahren am Abgrund von Auschwitz gegeben worden sei und der Inhalt dieses Versprechens war die Überwindung des Nationalismus. "Dieses Versprechen ist nach wie vor uneingelöst und die nationalen Regierungen haben sich als endgültig unfähig erwiesen, es einzulösen", so Voggenhuber.

 

Leitl sieht "Waterloo der Nationalisten"
Nationale Egoismen enttäuschen Hoffungen der Europäer
Wien (pwk) - "Die Nationalisten haben das Misstrauen der Bürger über die derzeitige Europa-Politik leider voll bestätigt", kommentiert der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Christoph Leitl, am Samstag (18. 06.) das Scheitern der Finanzverhandlungen beim EU-Gipfel. Dass sich die europäischen Staatschefs in Brüssel weder auf eine klare zukunftsorientierte Linie bei der Ratifizierung der EU-Verfassung noch auf ein künftiges mehrjähriges Budgetprogramm einigen konnten, sei letztlich "ein Waterloo der Nationalisten". Denn diese seien mit ihren Egoismen daran gescheitert, die "Hoffnungen der Menschen, welche diese mit der Idee Europa verbinden, zu erfüllen. Sie haben die europäischen Bürger mit Kleinkrämerei enttäuscht, eine große Chance verspielt und die politische Krise der EU vergrößert."

Die Bürgerinnen und Bürger Europas, so Leitl, erwarten von der EU vermehrte Anstrengungen, um das Wirtschafts- und Jobwachstum anzukurbeln und die Lebensqualität im zunehmenden Globalisierungsprozess zu sichern: "Dafür brauchen wir eine europäische Gemeinschaft, die diesen Namen auch verdient. Rein nationale Politik ist dafür zu schwach, weil sie diese Probleme nicht lösen kann. Und auch die Wirtschaft braucht eine starke europäische Politik als Partner im Globalisierungsprozess, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können."

Der Wirtschaftskammer-Präsident fordert nach dem politischen Desaster beim EU-Gipfel einen "raschen Neubeginn, an dem wir Österreicher mitwirken werden und müssen. Wir haben ab heute mit der Arbeit an einem Europa zu beginnen, welches die Existenzen der Bürger sichert und für die Menschen kein bürokratischer Apparat und unverständlich, sondern von ihnen gewünscht ist."
     
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