Gusenbauer:
"Nutzen wir die neue Reformfreiheit"
"Startklar für eine neue Schule" - Gusenbauer ortet weitgehenden Bildungskonsens,
dem sich nur die ÖVP nicht anschließt
Wien (sk) - "Wir haben gemeinsam ein Jahr lang für die Beseitigung der 2/3-Hürde gekämpft",
sagte SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer am Montag (20. 06.) bei der Bildungskonferenz der SPÖ im
Parlament. Jetzt, nach dem Fall der Notwendigkeit der 2/3-Mehrheit bei den Schulgesetzen, "ist jede Ausrede
weggefallen und der Weg für sinnvolle Schulreformen frei". Gusenbauer präsentierte im weiteren den
Dreistufenplan seiner Partei, mit sofort wirksamen Reformen für das kommende Schuljahr, mittelfristigen Reformen
bis 2010 und langfristigen Plänen für die Zeit ab 2010. Im Zentrum stehen mehr individuelle Förderung
für die Kinder, mehr innere Differenzierung im Unterricht, ein massiver Ausbau echter Ganztagsschulen, die
Reform der Lehrerausbildung und die Hinwendung zu einer gemeinsamen Schule der Sechs- bis 15-Jährigen.
"Wir sind startklar für eine neue Schule. Die SPÖ hat viele Ideen, die die Schule aus ihrem Tief
nach PISA wieder befreien wird", sagte SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal, der die Konferenz moderierte.
Er betonte: "Unsere Kinder verdienen die beste Schule der Welt." Die Bildungskonferenz wird von SPÖ,
Parlamentsklub und Renner Institut veranstaltet. Neben SPÖ-Vorsitzendem Alfred Gusenbauer und Josef Broukal
nehmen SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser, die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl,
der Vorsitzende der Zukunftskommission Günther Haider sowie zahlreiche weitere ExpertInnen daran teil.
Besonders wichtig ist es dem SPÖ-Vorsitzenden auch, die Lehrer für die Schulreformen zu gewinnen: "Sie
sind unsere wichtigsten Bündnispartner beim Bau einer neuen Schule." Mit Nachdruck forderte Gusenbauer
"ein Ende des seit Jahren anhaltenden Lehrer-Bashings". Die SPÖ spricht sich für eine neue
Form der Ausbildung für alle pädagogischen Berufe aus. Von den Kindergarten-Pädadogen über
die Pflichtschullehrer bis hin zu den Lehrern an Gymnasien sollen alle eine universitäre Ausbildung machen.
Modernste Formen der Didaktik sollen im Unterricht angewendet werden; dabei sollten sich die Schulen auch offen
zeigen für Konzepte aus Alternativschulen, so Gusenbauer.
Der Dreistufenplan der SPÖ sieht für das kommende Schuljahr mehr individuelle Förderung und innere
Differenzierung vor. Sprachliche Frühförderung soll es an den Vorschulen geben und weiters die Schaffung
von Ganztagsschulplätzen, bauliche Adaptierung der Schulen für den Ganztagsbetrieb, Erstellen von Schulentwicklungs-
und -qualitätsprogrammen, weitere Schulversuche für die Gemeinsame Schule der 6- bis 15-Jährigen,
Einschränkung des Sitzenbleibens durch Kurssysteme in der AHS-Oberstufe, Qualitätsverbesserung in den
Berufsschulen und Öffnung der Berufsschulen auch für jene Jugendlichen, die keinen Lehrvertrag haben.
Die zweite Stufe im SPÖ-Stufenplan sieht vor: Schaffung von zusätzlich 100.000 echten Ganztagsschulplätzen,
Neuausrichtung der Lehrerausbildung für alle pädagogischen Berufe, verpflichtendes Vorschuljahr, Festlegung
von Bildungsstandards und externe Überprüfung, Senkung der PISA-Risikogruppe von derzeit 20 auf 10 Prozent
bis 2010. Und in der dritten Stufe, ab dem Jahr 2010, soll es ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen
geben und verschiedene Modelle einer Gemeinsamen Schule der 6- bis 15-Jährigen entwickelt werden.
Kritik übte Gusenbauer an der ÖVP, der er vorhält, dass sie die neuen Möglichkeiten zu Schulreformen
nicht nutzt. So sei das jüngst im Ministerrat beschlossene "Schulpaket" doch bestenfalls ein "Jausenpackerl".
Das darin enthaltene Angebot für mehr Nachmittagsbetreuung ist nach Ansicht von Gusenbauer wenig weitgehend
und bürokratisch. Es bietet eben nicht, wie von der SPÖ gefordert, den verschränkten Unterricht,
sondern sei reine Nachmittagsbetreuung; die finanziellen Lasten würden im Wesentlichen auf die Gemeinden abgewälzt.
Außerdem kritisierte Gusenbauer, dass damit nicht neue Lehrer am Nachmittag beschäftigt werden dürfen,
da nur Lehrer mit einer Lehrverpflichtung am Vormittag eingesetzt werden dürfen.
Die SPÖ werde jedenfalls alle ihre parlamentarischen Möglichkeiten nutzen, um das mangelhafte Paket der
Regierung zu verbessern, kündigte Gusenbauer an. Er sieht die Vorlage der Regierung aber auch als Beleg dafür,
dass die ÖVP "an echten Reformen nicht interessiert ist". Wenn es in dem Tempo weitergehe, würden
die Empfehlungen der Zukunftskommission frühestens in 50 Jahren umgesetzt sein, so Gusenbauer. "Die ÖVP
kann mit der gewonnenen Freiheit nichts anfangen", es brauche offenbar eine SPÖ-geführte Regierung,
die bereit ist, die Chancen für die Bildungsreform auch zu nutzen, betonte Gusenbauer.
Generell ortet Gusenbauer einen weitgehenden Bildungskonsens - dem sich nur die ÖVP nicht anschließt.
So sind zuletzt in Oberösterreich die Sozialpartner in ihrem Bildungsdialog zu folgenden Ergebnissen gekommen:
verpflichtende Frühförderung ab dem 5. Lebensjahr, mehr Individualförderung, Rechtsanspruch auf
ein ganztägiges Schulangebot, mehr Eigenverantwortung für die Schulen sowie eine zeitgemäße
Ausbildung der LehrerInnen. Der SPÖ-Vorsitzende verweist auch auf den Erfinder und internationalen Koordinator
von PISA, Andreas Schleicher, mit dem er vor kurzem zu einer Diskussion zusammengekommen war. Schleicher ziehe
die gleichen Schlüsse aus den PISA-Ergebnissen wie die SPÖ, betonte Gusenbauer.
Bei zehn konkreten Maßnahmen sieht Gusenbauer eine klare Übereinstimmung mit dem PISA-Erfinder:
- Österreich darf sich nicht am Mittelmaß messen, sondern muss Ehrgeiz zeigen und mit der Spitze mithalten.
- Die Entscheidung für ein schlechtes Bildungssystem ist zugleich die Entscheidung für den materiellen
Abstieg.
- Reformen müssen sofort angegangen werden. Wir dürfen keine Zeit verlieren.
- Orientieren wir uns bei den Reformen an den erfolgreichen PISA-Ländern. Wir müssen nicht alles neu
erfinden. Länder wie Finnland zeigen uns vor, wie es gehen kann.
- Österreich muss von seinem stark selektierenden Schulsystem wegkommen. Weniger Chancen und soziale Armut
werden vererbt und durch das österreichische Schulsystem verstärkt. Statistisch gesehen geht ein Mädchen
aus der Stadt, dessen Eltern Akademiker sind, mit einer Wahrscheinlichkeit von 86 Prozent auf ein Gymnasium. Ein
Bub, der auf dem Land lebt und dessen Eltern einen Pflichtschulabschluss haben, besucht nur mit einer Wahrscheinlichkeit
von 7 Prozent das Gymnasium. (Quelle: Institut für Familienforschung)
- Schule braucht mehr Freiraum. Finnland etwa hat sehr wenige detaillierte Vorgaben, aber dafür klare Vorstellungen,
was die Kinder am Ende der Schule wissen müssen.
- Wir brauchen strategische Bildungsziele. Dabei dürfen wir auch eine Überprüfung nicht scheuen;
Kontrollängste sind abzulegen.
- Verstärkung der individuellen Förderung. Für einen konstruktiven Umgang mit dem Verschiedenen.
- Investitionen in die Bildung sind eine strategische Finanzierung. Gesellschaft und Wirtschaft zahlen einen
sehr hohen Preis für mangelnde Bildung.
- Das beste Schulsystem ist nicht notwendigerweise auch das teuerste. Wie wir sehen, ist es auch möglich,
ein unzureichendes Schulsystem zu hohen Kosten zu haben.
Gusenbauer abschließend: "Nutzen wir die neue Reformfreiheit nach dem Fall der Zweidrittel-Hürde.
Das Bild einer neuen Schule wird immer präziser. Wir wollen möglichst rasch dahin kommen, dieses Bild
auch zu verwirklichen."
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Amon: Gusenbauer soll Bildungspolitik den Bildungspolitikern überlassen
Wien hat höchsten Anteil an Nachhilfestunden
Wien (övp-pk) - Die heutige Bildungskonferenz der SPÖ habe deutlich bloßgestellt,
was vom SPÖ-Vorsitzenden in Sachen Bildungspolitik zu erwarten sei: "Außer Polemiken nichts gewesen",
konstatierte ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon am Montag (20. 06.). Die Worte Alfred Gusenbauers hätten
klargemacht, dass die SPÖ "bildungspolitisch völlig abgedankt hat", was für eine vormals
staatstragende Partei mehr als enttäuschend sei. "Es wäre gut, wenn der SPÖ-Vorsitzende die
Bildungspolitik den Bildungspolitikern überlassen würde, anstatt die eigentlich gute Gesprächsbasis
durch unqualifizierte Wortmeldungen zu vergiften", so Amon.
Während Gusenbauer noch von 100.000 Ganztagsschulplätzen bis 2010 träume, würde unter Bildungsministerin
Elisabeth Gehrer bereits im nächsten Schuljahr die Zahl von 60.000 Tagesbetreuungsplätzen erreicht. "Wir
schaffen flächendeckend flexible Angebote und haben darüber hinaus die erforderlichen Finanzmittel bereits
sichergestellt", betonte der ÖVP- Bildungssprecher. Die SPÖ verharre hingegen weiterhin in einer
"Fundamentalopposition, die sie nicht nur als nicht regierungsfähig, sondern auch als nicht oppositionsfähig
entlarvt".
Zu behaupten, dass die Neuordnung des Förderunterrichts, wie sie gerade passiere, auf die in Österreich
zu hohen Nachhilfekosten keinen Einfluss haben werde, beweise die blanke Unkenntnis des SPÖ- Vorsitzenden
in Bildungsfragen. "Gusenbauer sollte sich vielleicht lieber einmal die Frage stellen, warum der Anteil an
Nachhilfestunden gerade in Wien am höchsten von allen Bundesländern ist", so Amon. Der SPÖ-Vorsitzende
möge so ehrlich sein, und sich damit befassen, ob diese Tatsache nicht vielleicht mit der verfehlten Bildungspolitik
der SPÖ in der Bundeshauptstadt zu tun habe, "wo mit aller Gewalt Hauptschulen zerschlagen werden und
in den AHS-Unterstufen das ideologische Modell der undifferenzierten Gesamtschule verwirklicht wird, die überall
auf der Welt bereits als falsches Modell erkannt wurde", sagte der ÖVP-Bildungssprecher.
Wenn das die Bildungspolitik sei, die die SPÖ wolle, "tun die Österreicherinnen und Österreicher
gut daran, nicht - wie es derzeit in Deutschland geschieht - darauf zu warten, bis man die Sozialdemokraten abwählen
kann, sondern sie erst gar nicht zu wählen", schloss Amon. |