Unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln sind nach wie vor ein "schwarzer Fleck"
in der Wissenschaft
Witten / Herdecke (universität) - Die Nebenwirkungsrate von Arzneimitteln hat sich in den letzten
30 Jahren kaum verringert, so die Wittener Lehrstuhlinhaberin für Klinische Pharmakologie, Prof. Dr. Petra
Thürmann. Leidtragende seien vor allem ältere Menschen und Kinder, bei denen die Rate unerwünschter
Nebenwirkungen von Arzneien besonders hoch sei, so die Wissenschaftlerin, die zugleich Geschäftsführerin
des HELIOS Research Centers ist.
Dass besonders sehr kleine Kinder von Nebenwirkungen betroffen sind, führt die Pharmakologin auf fehlende
Forschung zurück: "Die Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln werden nur an Erwachsenen getestet,
nicht aber an Kindern." Die landläufige Ansicht, man müsse bei Kindern nur anders dosieren, sei
nicht haltbar, so Thürmann. "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Wir benötigen deshalb zum Teil
auch andere Medikamente, die auf den im Wachstum begriffenen Organismus abgestimmt sind."
In eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen hat Thürmann zusammen mit Prof. Dr. Wirth (Kinderklinik HELIOS
Klinikum Wuppertal) und Dr. Nicoletta von Laue erschreckende Zahlen ermittelt: Litten im Durchschnitt der deutschen
Bevölkerung etwa zehn Prozent an Arzneinebenwirkungen, so falle die Rate bei Kindern noch höher aus.
Ganz besonders stark von Nebenwirkungen betroffen seien Säuglinge unter einem Jahr: In dieser Gruppe seien
18 Prozent bei einem Aufenthalt in der Klinik von Nebenwirkungen betroffen. Bei der Gruppe der 1-5-jährigen
seien es immerhin noch 11 Prozent. "Mit solch hohen Zahlen und vor allen Dingen diesem Altersunterschied hatten
wir nicht gerechnet", erklärt die Forscherin. Neben dem gelegentlich lebensbedrohlichen Schaden für
die Betroffenen verlängert sich die Liegezeit in Hospitälern durchschnittlich um 1,9 bis 4,6 Tage, so
eine US-amerikanische Untersuchung.
Auch bei Erwachsenen ergibt sich, laut einer Untersuchung Thürmanns, ein hohes Risiko, an unerwünschten
Nebenwirkungen zu leiden: "Bis zu 20 Prozent aller stationären Aufnahmen werden auf Nebenwirkungen und
Komplikationen zurückgeführt", so ein Projektbericht aus dem Jahr 2004. Schätzungen von Experten
zufolge sterben in Deutschland pro Jahr zwischen 8 - 25.000 Menschen an den Folgen unerwünschter Nebenwirkungen,
von denen 25-30 Prozent vermeidbar gewesen wären.
Thürmann fordert, dass besser erforscht werden müsse, wie Arzneien bei Kindern wirken. Hier klaffe in
der Forschung ein "schwarzes Loch." Kinderkliniken sollten sich zusammenschließen, um gezielt nach
Nebenwirkungen zu forschen. Was die Nebenwirkungen bei Erwachsenen angeht, müssten Klinikträger und Ärzte
ebenfalls umdenken: "Es gehört zu einem guten Qualitätsmanagement in einer Klinik, dass man sich
nicht nur über Röntgenbefunde unterhält, sondern über auffällige Erscheinungen, die sich
bei der Anwendung bestimmter Arzneien und Arzneikombinationen ergeben haben." Dringend verbesserungsbedürftig
seien auch die Kommunikationsstrukturen zwischen den Kliniken und den niedergelassenen Ärzten.
Einen Beitrag zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit leisten die im Arzneimittelgesetz neu implementierten
"Pharmakovigilanzzentren", die Leitung dieser Zentren ist an der Universität München (Prof.
Dr.Hasford) und am Lehrstuhl für KlinischePharmakologie der UWH angesiedelt. |