Eine neue Technologie erlaubt es, den Vorgang der Zellteilung im lebenden Organismus in Echtzeit
zu beobachten
Wien (oeaw) - Wissenschaftler am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) konnten
auf diese Weise einen bisher unbekannten Mechanismus beschreiben, der asymmetrische Zellteilungen und Stammzelldifferenzierung
kontrolliert.
Nach wie vor sind zahlreiche therapeutische Hoffnungen mit dem Einsatz von Stammzellen verknüpft. Sowohl in
der Grundlagenforschung als auch in der angewandten medizinischen und pharmazeutischen Forschung bemühen sich
daher Wissenschaftler, möglichst viele Aspekte dieses ganz besonderen Zelltyps zu verstehen. Die Arbeitsgruppe
um Jürgen Knoblich am IMBA, dem Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften, ist auf diesem Weg nun ein gutes Stück weitergekommen. Das Forscherteam stellt die jüngsten
Ergebnisse in der kommenden Ausgabe des Wissenschaftsjournals Cell vor (Erscheinungsdatum 9.9.2005, advance online
Publikation am 1.9.2005).
Asymmetrische Zellteilung
Ein zentrales Ereignis im Lebenszyklus von Stammzellen ist die sogenannte asymmetrische Zellteilung. Dieser Vorgang
führt dazu, dass aus der Stammzelle zwei unterschiedliche Tochterzellen hervorgehen: eine spezialisierte (=differenzierte)
Zelle und eine weitere Stammzelle (=proliferierende Zelle), die sich unbegrenzt teilen kann. Die differenzierte
Zelle erfüllt in der Folge bestimmte Aufgaben, etwa innerhalb eines Organs. Die Stammzelle liefert weiterhin
Nachschub für neue Zellen und verändert sich dabei praktisch nicht.
Diesen Ablauf in seiner subtilen Balance zu verstehen, ist das Anliegen von Jürgen Knoblich, der seit 2004
als Senior Scientist am IMBA forscht. Bisher hatten er und seine Mitarbeiter sich auf einen bereits länger
bekannten Mechanismus konzentriert. Dabei werden bestimmte Proteine innerhalb der Zelle verlagert, bevor diese
sich zu teilen beginnt. Die einseitige Verteilung von Zellinhaltsstoffen hat zur Folge, dass die beiden Tochterzellen
unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Dieser Vorgang der asymmetrischen Zellteilung ist im Detail charakterisiert
und verstanden. In den letzten Jahren häuften sich jedoch Hinweise darauf, dass es daneben noch einen anderen
Weg geben muss, der ungleiche Tochterzellen aus Stammzellen entstehen lässt.
Lebende Zellen unter dem Mikroskop
Das IMBA-Team untersucht asymmetrische Zellteilung im Nervensystem von Fruchtfliegen. Die Forschungsergebnisse
lassen sich meist auf den Menschen übertragen, denn die molekularen Mechanismen sind im Lauf der Evolution
fast unverändert beibehalten worden. Eine neue Methode erlaubt es den Forschern seit kurzem, den Zellen bei
der Teilung direkt zuzusehen. Die “live imaging” Technologie nutzt fluoreszierende Proteine, mit denen Zellen im
intakten Organismus markiert und an einem konfokalen Mikroskop in Echtzeit betrachtet werden können.
Neuer Mechanismus entdeckt
Unter Einsatz dieser innovativen Technologie konnten die Forscher nun einen bisher unvermuteten Mechanismus beobachten,
der Zellen zur asymmetrischen Teilung befähigt. Bei diesem Vorgang kommt es zu einer grundlegenden Umstellung
des Zellstoffwechsels mit weitreichenden Folgen. Normalerweise reagieren Zellen auf Signale aus ihrer Umgebung
mittels Rezeptoren, die an der Zelloberfläche verankert sind. Diese Rezeptormoleküle werden, nach Empfang
eines Signals, im Inneren der Zelle umgebaut und nach einem Recyclingprozess wieder an die Zelloberfläche
zurückgeschleust. Der neu entdeckte Mechanismus ist dadurch charakterisiert, dass eine der beiden Tochterzellen
diesen Recyclingapparat vorübergehend abstellt und die beteiligten Moleküle abbaut -. also “Müllverbrennung
statt Recycling”.
Vorerst sind die beschriebenen Vorgänge im Nervensystem der Fliege beobachtet worden. Asymmetrische Zellteilungen
sind auch beim Menschen nachgewiesen. Man hat sie in der Haut, im Muskel- und Nervengewebe und im Auge beobachtet.
Ob der neu entdeckte Mechanismus ebenfalls im menschlichen Körper abläuft, wollen die Forscher als nächstes
herausfinden. Die Beschäftigung damit ist jedenfalls nicht rein akademsich. Asymmetrische Zellteilungen spielen
unter anderem bei der Tumorentstehung eine Rolle. Von der genauen Kenntnis der molekularen Abläufe erhoffen
sich die Wissenschaftler daher nicht nur neue Aufschlüsse über die Teilung und Entwicklung von Stammzellen,
sondern auch über die Entstehung von Krebs.
Die Arbeiten wurden mit Mitteln des Schweizer Nationalfonds, des Boehringer Inhelheim Fonds und des Wissenschaftsfonds
FWF gefördert.
IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
kombiniert Grundlagen- und angewandte Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin. Interdisziplinär zusammengesetzte
Forschergruppen bearbeiten funktionsgenetische Fragen, besonders in Zusammenhang mit der Krankheitsentstehung.
Ziel ist es, das erworbene Wissen in die Entwicklung innovativer Ansätze zur Prävention, Diagnose und
Therapie von Krankheiten einzubringen.
IMP- IMBA Research Center
Zwischen dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP), das 1988 von Boehringer Ingelheim
gegründet wurde, und dem seit 2003 operativen Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (IMBA) wurde eine enge Forschungskooperation vereinbart. Unter dem Namen “IMP-IMBA
Research Center” greifen die beiden Institute auf eine gemeinsame Infrastruktur im wissenschaftlichen und administrativen
Bereich zu. Die beiden Institute beschäftigen insgesamt über 300 Mitarbeiter aus 30 Nationen und sind
Mitglied des Campus Vienna Biocenter. |