Mailaths Rede zur Beisetzung von Simon Wiesenthal  

erstellt am
26. 09. 05

"Ein großer Humanist, unbestechlich in seiner Suche nach Wahrheit"
Wien (rk) - Simon Wiesenthal, am Dienstag in Wien verstorben, wurde am Freitag (23. 09.) um 11.00 Uhr MESZ in Israel in Herzliya- Pituah beigesetzt. Kulturstadtrat Andreas Mailath- Pokorny war als Vertreter der Stadt Wien zu den Begräbnisfeierlichkeiten nach Israel gereist.

Seine Rede zur Beisetzung von Professor Simon Wiesenthal im Wortlaut:

"Simon Wiesenthal war Ehrenbürger der Stadt Wien - einer Stadt, in der er gelebt, gearbeitet hat und gestorben ist.

Als Vertreter dieser Stadt möchte ich ihm heute auf diesem seinen letzten Weg den Respekt und die Anerkennung der Stadt erweisen. Eine Anerkennung, die er lange, lange nicht hatte, weil er unbestechlich war, vor allem was Gerechtigkeit und Wahrheit anbelangt. Wenn er heute als Gewissen der Stadt und der Nation und weit darüber hinaus gepriesen wird, wenn er als Ingenieur der Erinnerung, als moralische Instanz gewürdigt wird, so wird ihm spät auch menschliche Ehre zuteil.

Mit vollem Recht. Denn schließlich hat er - anfangs gegen heftigen Widerstand - versucht, Menschen - vielleicht auch der ganzen Menschheit - Würde wieder zu geben, indem er nach der Wahrheit geforscht hat. Und wenn eine große österreichische Schriftstellerin, Ingeborg Bachmann, häufig zitiert wird mit dem Satz, "Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar", so war Simon Wiesenthals Lebenserfahrung diesbezüglich zumindest eine widersprüchliche. Viele haben sich gegen die Wahrheit gewährt, viele haben sie zu verschleiern versucht.

Wer ihn in seinem kleinen Büro in der Wiener Innenstadt besucht hat, wer ihn nach seinem Rat und nach seiner Meinung, nach seinem Urteil gefragt hat, was ich die Ehre hatte, einige Male tun zu dürfen, wird einen freundlichen, bestimmten, unbestechlichen, präzisen und kenntnisreichen Menschen in Erinnerung haben. Eine Sorte von Mensch, die es so selten gibt: Hart in der Sache, verbindlich im Ton.

Was er aber für Wien, für Österreich, für die Menschheit getan hat, geht weit über eine Person hinaus: Den Opfern ihr Recht zurück zu geben, bei den verdrängenden Überlebenden die Wahrheit einzumahnen, das Vergessen als Volkskrankheit zu therapieren.

Die Stadt Wien hat ihrem Ehrenbürger viel zu verdanken. Er hat uns gelehrt, uns in den Spiegel schauen zu können und Verantwortung zu übernehmen. Er hat uns den grundlegenden Unterschied zwischen Recht und Rache beigebracht. Jenen Unterschied, der letztlich die menschliche Zivilisation bestimmt. Sein Wirken hat der Zivilisation nach dem Holocaust wieder ein menschliches Antlitz verliehen. Er war ein großer Humanist und wird durch sein Tun weiter leben.
     
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