ESA wählt Ziele für Asteroidenablenkungsmission "Don Quijote" aus  

erstellt am
28. 09. 05

Auf Empfehlung von Experten hat die ESA zwei Zielasteroiden für ihre Mission "Don Quijote" zur Ablenkung erdnaher Objekte (NEO) ausgewählt
Paris (esa) - „Don Quijote“ ist eine gegenwärtig vom Team für fortschrittliche Konzepte der ESA (ACT) untersuchte Mission zur Ablenkung von Asteroiden. Anfang dieses Jahres legte der aus bekannten einschlägigen Experten zusammengesetzte Beratungsausschuss für NEO-Missionen (NEOMAP) einen Bericht über die Auswahl der Ziele für Europas künftige Missionen zur Vorbeugung gegen Asteroideneinschläge vor, der die maßgeblichen Kriterien für die Auswahl darlegte und zwei Himmelskörper bestimmte, auf die diese weitgehend zutreffen. Die vorläufige Bezeichnung der beiden Asteroiden lautet 2002 AT4 und 1989 ML.

Mit diesen Vorgaben und der Unterstützung von Experten der Einrichtung für entwurfsbegleitende Fertigung (CDF) der ESA hat das ACT nun eine umfassende Beurteilung geeigneter Missionsarchitekturen, Startstrategien, Optionen für Antriebssysteme und Experimente abgeschlossen.

Das gegenwärtige Szenario sieht zwei Raumsonden auf getrennten interplanetaren Bahnen vor. Eine Sonde (Hidalgo) wird auf einen Asteroiden aufprallen, die andere (Sancho) wird bereits vorher beim Zielasteroiden ankommen, ihn einige Monate lang umkreisen und ihn dabei vor und nach dem Aufprall unter die Lupe nehmen, um Änderungen an seiner Umlaufbahn festzustellen.

Der Beginn der Industriestudien steht kurz bevor: Europäische Experten sollen verschiedene Lösungen für das Konzept einer kostengünstigen NEO-Vorläufermission vorschlagen. Damit wird ein erster Schritt in Richtung Abwehr von Asteroideneinschlägen gemacht – eine der wenigen Naturkatastrophen, die mit Hilfe unserer Technologie verhindert werden können.

Knapp verfehlt?
Während vorige Weihnachten aller Augen auf den Tsunami in Asien gerichtet waren, bereitete einer Gruppe von Wissenschaftlern etwas völlig anderes Sorge – ein drohender Asteroideneinschlag.

Am 19. Dezember 2004 wurde MN4, ein Asteroid von etwa 400 Meter Durchmesser, der nach seiner Entdeckung sechs Monate zuvor von der Bildfläche verschwunden war, wieder gesichtet. Nach der Bestimmung seiner Bahn wurde augenblicklich klar: Die Gefahr, dass er bei seinem nahen Vorbeiflug im Jahr 2029 die Erde rammen würde, war außergewöhnlich hoch. Diese Wahrscheinlichkeit verringerte sich bei weiterer Beobachtung nicht, und der Asteroid wurde dafür bekannt, dass er alle Rekorde auf den Einschlagrisiko-Skalen von Turin und Palermo – einem Maßstab für das Risiko von Asteroideneinschlägen in der Art der Richterskala für die Messung der Stärke von Erdbeben – schlug.

Erst als frühere Beobachtungen gefunden und seine Bahn genauer berechnet wurde, kam die Entwarnung. Der Himmelskörper würde nicht mit der Erde zusammenstoßen – zumindest nicht im Jahr 2029. Spätere Einschläge wurden trotz geringer Wahrscheinlichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Solange die Bahnen dieses Asteroiden und anderer erdnaher Objekte nicht besser verfolgt und, wenn nötig, Maßnahmen zu deren Abwehr ergriffen werden können, sind Prognosen äußerst schwierig.

In internationalen Fachkreisen ist man sich weitgehend einig, dass nun eine Lösung greifbar ist. Missionen wie die ESA-Mission „Don Quijote“ könnten ein Mittel zur Einschätzung der Bedrohlichkeit erdnaher Objekte und zur Ergreifung konkreter Maßnahmen zu deren Ablenkung von ihrem Kollisionskurs mit der Erde liefern.

Für jeden guten Auftritt muss jedoch geprobt werden. Um auf eine Gefahr dieser Art vorbereitet zu sein, sollten unsere Geräte zunächst an einem harmlosen Asteroiden getestet werden. „Don Quijote“ wäre die erste Mission, die einen solchen Versuch unternimmt. Die große Frage war: Welcher Asteroid und wie soll er beschaffen sein?

Die Suche nach dem perfekten Ziel
Unter den so genannten NEOs finden sich eine verwirrende Fülle vieler verschiedener Objekte, weswegen die Auswahl der im Hinblick auf eine Gefahreneindämmung wichtigsten physikalischen Parameter keine leichte Aufgabe ist. Die NEOMAP-Wissenschaftler haben sich jedoch dieser Herausforderung gestellt und im Februar 2005 der ESA Auswahlkriterien für Asteroiden, an denen Bahnablenkungsmanöver ausprobiert werden könnten, empfohlen.

Hier würde wahrscheinlich manch einer fragen, ob ein solches Manöver, wie es im Rahmen der Mission „Don Quijote“ geplant ist, nicht auch ein Risiko für die Erde darstellt. Welche Folgen hätte ein Fehlschlag? Würden dadurch nicht im Gegenteil Probleme geschaffen statt gelöst?

Die Antwort der Wissenschaftler weltweit lautet: Nein. Selbst ein gewaltiger Einschlag eines schweren Raumfahrzeugs auf einem kleinen Asteroiden würde diesen nur unwesentlich von seiner Bahn abbringen. Die Bahnveränderung ist voraussichtlich so geringfügig, dass man bei der Mission „Don Quijote“ zwei Sonden benötigt: ein Projektil und eine Sonde zur Messung des Aufschlags, wobei letztere die von der Erde aus gar nicht messbaren Veränderungen der Bahnparameter des Objekts aufzeichnen soll.

Die potentiellen Ziele können jedoch auch unter Umgehung aller Risiken ausgewählt werden, indem überprüft wird, inwiefern sich die Entfernung zwischen der Umlaufbahn des Asteroiden und der der Erde im Laufe der Zeit verändert. Solange der Zielasteroid nicht zu den so genannten „Erdkreuzern“ gehört, wie etwa die NEOs in der „Amor“-Klasse (deren sonnennächster Punkt deutlich über eine AE entfernt liegt), würde ein Bahnablenkungsmanöver für die Erde keine Gefahr darstellen.

Andere die Bahnparameter des anvisierten Asteroiden betreffende Aspekte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, vor allem die Änderung der Bahngeschwindigkeit, die die Sonde erreichen muss, um ihr Ziel einzuholen – eine Differenz, die von den Physikern auch „Delta-V“ genannt wird. Dieser Wert sollte möglichst gering sein, um den Treibstoffverbrauch der Sonde zu minimieren und kostengünstigere Trägerraketen nutzen zu können, jedoch auch hoch genug, um die Sonde für eine Reihe unterschiedlicher Ziele einsatzbereit zu halten.

Aufgrund der Anforderungen an die Navigation und die Messungen der Bahnablenkung gestaltet sich die Auswahl des Zielasteroiden äußerst schwierig. Wichtige Faktoren wie Form, Dichte und Größe sind oft kaum bekannt. Damit aber eine Sonde einen Asteroiden umrunden kann, muss zur Navigationssteuerung zunächst sein Schwerefeld bekannt sein. Zur Ausrichtung des Projektils hingegen braucht man Angaben über den Massenschwerpunkt des Objekts.

Asteroiden gibt es in allen erdenklichen Varianten, in Bezug auf ihre Zusammensetzung herrschen jedoch zwei Hauptgruppen vor. Unsere noch sehr dürftigen Kenntnisse über die Häufigkeit der verschiedenen Asteroidentypen unter den erdnahen Objekten lassen immerhin darauf schließen, dass der nächste für uns gefährliche Asteroid voraussichtlich eher ein „C-Typ“ als ein „S-Typ“ sein wird. Die Oberfläche der C-Typen ist dunkler und ihr Spektrum zeichnet sich durch Kohlenstofflinien aus, während die S-Typen heller sind und ihre Spektren denen von Silikaten ähneln. Die Oberflächeneigenschaften des Zielasteroiden, insbesondere der Anteil des von ihm reflektierten Lichts, sind für die Navigation während der Schlussphase des Projektilanflugs von Bedeutung. Je heller das Objekt, desto leichter kann es anvisiert werden. Für einen ersten Versuch sollte jedoch kein allzu leichtes Ziel ausgewählt werden.

Die Wahl der ESA fiel auf die Asteroiden 2002 AT4 und (10302) 1989 ML. Sie stellen den besten Kompromiss zwischen sämtlichen – teilweise gegensätzlichen – Auswahlkriterien dar. Die Entscheidung, welches der beiden Missionsziele letztendlich von den Sonden Sancho und Hidalgo angeflogen wird, dürfte 2007 gefällt werden.

Eine neue Herausforderung für „Don Quijote“
Die Phase der internen Missionsstudien für „Don Quijote“ ist mittlerweile abgeschlossen, und es liegt nun an der Industrie, geeignete Entwurfskonzepte vorzulegen. Die ESA hat die europäischen Raumfahrtunternehmen aufgerufen, ihre Entwürfe einzureichen, von denen die vielversprechendsten gegen Ende des Jahres ausgewählt werden. Anfang 2006 dürften dann zwei Teams ihre Arbeit zur Bewertung dieser Technologiedemonstrationsmission aufnehmen. Wenn deren Ergebnisse ein Jahr später feststehen, wird die ESA den endgültigen, zur Durchführung freigegebenen Entwurf auswählen und „Don Quijote“ kann sich auf seinen Ritt zum Asteroiden machen.

„Don Quijote“ ist eine Erprobungsmission für ein Bahnablenkungsmanöver an einem erdnahen Objekt und beruht ganz auf herkömmlichen Raumfahrzeugtechnologien. Sie soll zwei Sonden umfassen, von denen eine (Hidalgo) mit einer im Vergleich zum Asteroiden sehr hohen Geschwindigkeit auf diesem aufschlagen und die andere (Sancho) bereits vorher das Objekt erreichen und sowohl vor als auch nach dem Aufschlag in seiner Nähe bleiben soll, um Abweichungen der Bahnparameter sowie allgemeine Eigenschaften des Asteroiden aufzuzeichnen.

Der Asteroid 2004 MN hat nun eine offizielle Bezeichnung, (99942) Apophis, erhalten. Seit den jüngsten, unter Verwendung des Doppler-Effekts vom puertoricanischen Radioteleskop Arecibo aus durchgeführten Radaruntersuchungen gilt die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Einschlags von Apophis auf der Erde als äußerst gering, wenn sie auch nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann. Im Jahr 2029 wird sich der Asteroid unserem Planeten so nahe wie kein anderes zuvor beobachtetes Objekt dieser Größe nähern und in einer Entfernung von etwa 32 000 km an der Erde vorbeifliegen, was die Bahnhöhe des geostationären Orbits, auf dem sich das Gros der Telekommunikations- und Wettersatelliten befindet, deutlich unterschreitet. Der Asteroid wird dann selbst mit bloßem Auge sichtbar sein. Weitere Radarbeobachtungen sind für 2013 geplant.

Die beiden Zielasteroiden der Mission „Don Quijote“, 2002 AT4 und (10302) 1989 ML, stellen für unseren Planeten keine Gefahr dar.
     
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