EU-Beitrittsverhandlungen mit Türkei und Kroatien  

erstellt am
04. 10. 05

 Bundeskanzler Schüssel: "Wichtige Punkte für künftige Erweiterungen fixiert"
Wien (bpd) - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel berichtete am Dienstag (04. 10.) nach dem Ministerrat über die Verhandlungen zu einem EU-Beitritt der Türkei, die gestern beendet wurden. "Wir haben vieles erreicht, und ich gratuliere der Außenministerin zu diesem hervorragenden Verhandlungsergebnis", betonte Schüssel. "Wir wollten, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beginnen. Für die Türkei ist ein europäischer Kurs wichtig. Es ist aber auch für die Europäische Union und somit für uns wichtig, wenn die Türkei sich in Richtung Europa orientiert."

Ebenso wesentlich sei aber bei den Verhandlungen die Einbeziehung Kroatiens gewesen: "Das haben wir erreicht. Es ist wichtig, dass man die Kroaten nicht zurücklässt. Sie sind jetzt in den Verhandlungsprozess integriert", so Schüssel. "Während der österreichischen EU-Präsidentschaft wird der Balkanraum ein zentrales Thema sein: die Zukunft Bosniens, die Entwicklung Serbien-Montenegros, die Kosovo-Frage, Mazedonien und Albanien werden diskutiert. Wenn jetzt mit Kroatien begonnen wird zu verhandeln, dann ist das das beste Beispiel, dass man etwas erreichen kann, wenn man einen guten Weg geht. Ich gratuliere der kroatischen Regierung und dem kroatischen Volk zu diesem Schritt."

"Wir haben weiters erreicht, dass die Aufnahmefähigkeit der Union eine Bedingung für die Aufnahme eines Kandidaten sein wird", erläuterte Schüssel. "Das ist jetzt ein neuer Kontext bei den Verhandlungen, nicht nur für die Türkei, sondern auch für alle künftigen Erweiterungsrunden." Bei jedem Kapitel müssten nun einstimmig die Verhandlungsposition als auch der erfolgreiche Abschluss eines Kapitels beschlossen werden. "Bereits im Dezember 2004 haben wir einige wichtige Punkte durchgesetzt, die jetzt erweitert werden konnten", so der Bundeskanzler.

"Für den Fall, dass die Union nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht bereit ist, wurde eine Alternative fixiert, die eine Alternative - "the strongest possible bond" - vorsieht", betonte Schüssel. "An den Kosten der Erweiterung müssen alle Mitgliedstaaten fair partizipieren, es darf also keine Sonderregelungen oder Rabatte geben."

Außenministerin Ursula Plassnik betonte, dass Beitrittsverhandlungen für die Türkei eine verstärkte Reformarbeit bedeuten würden, die den Menschenrechtsgruppen und Frauen zugute komme. Außerdem sei es wichtig, die europäische Öffentlichkeit in den Prozess mit ein zu beziehen und auf Ängste und Skepsis einzugehen, so die Außenministerin. Zum Beginn der Verhandlungen mit Kroatien sagte Plassnik, dass die Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, Kroatien ausdrücklich eine gute Kooperation bescheinigt habe.

 

 Gusenbauer: Regierung hätte rechtzeitig handeln müssen
"Ganz präzise Alternative" nun nicht im Verhandlungsmandat
Wien (sk) - "Wenn die Regierung Schüssel schon früher in den Gesprächen zwischen der EU und der Türkei eine privilegierte Partnerschaft als Alternative genannt hätte, hätte man sich viel erspart", hielt SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer am Montag (03. 10.) Abend im ZIB2-Interview fest. Die SPÖ habe bereits im letzten Jahr diese Variante eingefordert, die Regierung hätte sich damals jedoch geweigert, diese Forderung aufzugreifen. Beim nun getroffenen Kompromiss sei "vieles auf der Strecke geblieben", stellte Gusenbauer fest. Denn die auch von Kanzler Schüssel zum Schluss geforderte "ganz präzise Alternative" sei jetzt im Verhandlungsmandat nicht enthalten, vieles stehe noch "in den Sternen".

Dass nach dem Abschluss der Beitrittverhandlungen mit der Türkei noch das Volk befragt wird, ist aus Sicht des SPÖ-Vorsitzenden eine "unehrliche Vorgangsweise", damit wolle die Regierung Verantwortung abschieben. Gusenbauer betonte, dass er auf jeden Fall für die Abhaltung einer Volksabstimmung sei. Aber richtig wäre es gewesen, bereits vor der Aufnahme von Verhandlungen das Volk zu befragen. Wie überhaupt in dieser Frage seitens der Bundesregierung ein "ehrlicherer und offener Umgang" notwendig gewesen wäre. Heute sei es nur mehr um Schadenbegrenzung gegangen, "es ging darum, zu retten, was zu retten ist".

Dass Außenministerin Plassnik erreicht habe, dass die Briten auf den Briten-Rabatt verzichten, davon könne nicht die Rede sein. Denn der Briten-Rabatt gelte auf jeden Fall bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Türkei der EU beitritt. "Das ist sicher keine gute Lösung", so Gusenbauer. Denn das Ziel müsse sein, dass der Briten-Rabatt bereits viel früher abgeschafft wird, so Gusenbauer abschließend.

 

 Scheuch skeptisch über Verhandlungskompromiss
Wien (bzö) - Skeptisch zeigte sich BZÖ-Bündnissprecher DI Uwe Scheuch über den am Montag (03. 10.) Abend kolportierten Verhandlungskompromiss in Sachen türkischer EU-Verhandlungen. "Wir sind immer für ergebnisoffene Verhandlungen eingetreten, weil das die ehrlichere und fairere Vorgangsweise gegenüber der Türkei darstellt. Was sich jetzt abzeichnet, deutet aber daraufhin, dass Außenministerin Plassnik dem Druck der EU nachgegeben hat", so Scheuch in einer ersten Reaktion.

Jedenfalls hätte es Österreich bis zuletzt in der Hand gehabt, einen konsequenten Kurs in der Türkei-Frage zu fahren. "Nun liegt der Ball bei Bundeskanzler Schüssel und Außenministerin Plassnik. Sie werden es den Österreicherinnen und Österreichern erklären müssen, wenn sie ihr Verhandlungspouvoir nicht ausgeschöpft haben", so Scheuch abschließend.

 

Strache: FPÖ fordert Volksabstimmung
Auch Neutralität und EU-Verfassung sollen Thema sein
Wien (fpd) - "Es handelt sich um eine billige Schmierenkomödie, die VP-Kanzler Schüssel beim Thema EU- Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgeführt hat", sagt FPÖ-Obmann HC Strache.

"Aus wahltaktischen Gründen hat Schüssel Widerstand gegen die EU-Linie vorgegaukelt, um unmittelbar nach der Entscheidung in der Steiermark wie ein Stück Holz umzufallen Der Kanzler hat sich damit persönlich blamiert und Österreich lächerlich gemacht. Es ist jedoch angesichts der Tatsache, dass 85 Prozent der Österreicher gegen den EU-Beitritt der Türkei sind, unerlässlich, dass eine Volksabstimmung zu diesem Thema gemacht wird.

'Das Recht geht vom Volk aus", heißt es in der Österreichischen Bundesverfassung und nicht von Brüssel oder Schüssel. Dieser täte gut daran, wieder Bodenhaftung zu bekommen und auf die Meinung der Bevölkerung zu hören. Die Menschen haben nämlich ein gutes Gespür dafür, was richtig und was falsch ist. Man braucht Österreich also weder vom Ballhausplatz noch aus Brüssel zu erklären, was gut für das Land ist und was nicht. Der EU-Beitritt der Türkei ist falsch und wird von einer großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt", erklärt Strache.

"Die FPÖ wird der Bevölkerung sicher nicht in den Rücken fallen, sondern auf einer Volksabstimmung bestehen. Wie einst Prinz Eugen will ich entschieden für die Sicherheit und die Zukunft des österreichischen Volkes und insbesondere der Wiener Bevölkerung auftreten, die durch die enorme Zuwanderungswelle nach dem Beitritt am meisten zu leiden hätte", stellt Strache klar. 

 

 Van der Bellen: Regierung hat Porzellan zerschlagen
Skepsis über österreichische Türkei-Verhandlungsführung
Wien (grüne) - "Die Frage muss erlaubt sein: Hat es sich aus österreichischer Sicht tatsächlich gelohnt, 24 Mitgliedsstaaten vor den Kopf zu stoßen, um ein Ergebnis zu erreichen, dass im Wesentlichen bereits vorher festgestanden ist?", äußert der Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, Skepsis über den Sinn der österreichischen Türkei- Verhandlungsführung. "Die Bundesregierung hat für einige geänderte Text-Akzentuierungen Porzellan zerschlagen. Die Frage ist, welchen Preis Österreich beim Transit oder bei möglichen EU-Geldern für unsere Universitäten zu bezahlen hat. Es besteht die Gefahr, dass Österreich bei diesen zentralen Interessen unter die Räder kommt, da wir bei diesen Themen auf die Unterstützung von Bündnispartnern unter den 24 anderen EU-Mitgliedsstaaten angewiesen sind", so Van der Bellen.

"Es ist zweckmäßig, dass die Aufnahmefähigkeit der EU stärker als bisher betont wird. Gleichzeitig ist es eigentlich eine Trivialität, dass nicht nur die Türkei Bedingungen zu erfüllen hat, sondern selbstverständlich auch die Union auch auf ihre eigene Aufnahmefähigkeit Bedacht nehmen muss", so Van der Bellen weiter. "Unterm Strich" könne man mit dem Ergebnis leben. "Nach monatelangen Diskussionen ist klar: Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind eröffnet. Die Verhandlungen werden ungeachtet dessen schwierig sein und vermutlich mindestens zehn Jahre, wenn nicht länger dauern. Ob sie zu einem Beitritt führen, ist aus heutiger Sicht ungewiss."
   

Leitl verlangt, EU-Reform nach innen voranzutreiben
Dank Regierung Ehrlichkeit gegenüber dem Partner Türkei - Sicherheitsnetz für Bürgersorgen geknüpft
Wien (pwk) - Wenn sich jetzt Europa zu einer Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entschlossen hat, ist es zugleich ein Gebot der Stunde, die EU-Reformen nach innen entscheidend voranzutreiben, verlangt der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Christoph Leitl: Einerseits sei nun der politische Dialog über einen EU-Beitritt von Kroatien und der Türkei eröffnet, der auf die Sorgen der Menschen in Europa Rücksicht nimmt: "Es ist nicht zuletzt dem konsequenten Einsatz der österreichischen Regierung zu verdanken, dass die EU für die Türkei-Verhandlungen ein Verhandlungsmandat vereinbart hat, welches auch auf die Bedenken der Menschen in Europa eingeht. Das Sicherheitsnetz für die Sorgen der Menschen ist in den Bedingungen der Beitrittsverhandlungen definiert." Andererseits müsse sich jetzt die EU zu einer nach innen starken und nach außen handlungsfähigen Institution weiterentwickeln, wobei vor allem bei Wachstum, Sicherheit und Arbeitsplätzen die Wünsche der Bürger und Bürgerinnen zu erfüllen sind.

Nunmehr, so Leitl, sei gewährleistet, dass die Türkei bei einem etwaigen Scheitern der Beitrittsverhandlungen "nicht im Abseits steht, sondern die Chance auf eine enge Partnerschaft mit der EU hat. Auch aus Ehrlichkeit gegenüber dem Partner Türkei, die Europa leider lange vermissen hat lassen, ist es daher nur recht und billig, dass die Aufnahmefähigkeit der EU ein entscheidendes Kriterium der Verhandlungen ist." Der WKÖ-Präsident gibt aber zu bedenken: "Auch wenn das Reiseziel definiert worden ist, ist offen, ob es auch tatsächlich erreicht wird."

Dass die EU nun auch Beitrittsverhandlungen mit Kroatien beginnt, sei auch dem Einsatz von Außenministerin Plassnik zu verdanken: "Für die österreichische Wirtschaft, den größten Auslandsinvestor Kroatiens, ist das ein Erfolg."

Nachdrücklich pocht Leitl darauf, dass die EU interne Reformen durchführen muss, um ihrerseits fit für die Erweiterung zu sein. "Um ein globaler player zu werden, bedarf es einer klaren Vertiefungsstrategie in Richtung europäischer Bundessstaat. Dazu gehört auch eine rasche Einigung in der Finanzierungsfrage ebenso wie Notwendigkeit, einen Ausweg aus der Verfassungskrise zu finden." Höchste Priorität müssten Wachstum und Beschäftigung in Europa haben: "Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen die Sorgen der Menschen um ihre Arbeitsplätze ernst nehmen. Wir brauchen einen koordinierten Masterplan für Innovation, Qualifikation und Kooperation. Nur mit einem höheren Wirtschaftswachstum können wir die Zahl der Arbeitslosen in Europa nachhaltig senken." Kroatien ist für Österreich mit einem Marktanteil von 8 Prozent ein erweiterter Heimmarkt. "Sektoren wie der Bau, der Groß- und Einzelhandel entwickeln sich dort gerade zu boomartig. Durch die EU-Integration Kroatiens werden wir davon überproportional profitieren", prognostiziert Leitl. 2004 stiegen die Ausfuhren nach Kroatien um 18,1 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro, die Einfuhren nahmen sogar um 45,2 Prozent auf 583,8 Mill. Euro zu. Der Handelsüberschuss von zirka 635 Mill. Euro zählt zu den höchsten, den Österreich im Außenhandel überhaupt erzielt. Aus Sicht der Wirtschaft bietet eine noch engere Anbindung der Türkei an die EU ebenfalls sehr gute Chancen. Die Ausfuhren in die Türkei haben sich seit der Wirtschaftskrise des Jahres 2001 fast verdoppelt (plus 88 Prozent) und lagen 2004 bei 791 Millionen Euro. Die Handelsbilanz ist ausgeglichen.
   

Industrie begrüßt Aufnahme der Gespräche mit Kroatien
Chancen und Rechtssicherheit für österreichische Betriebe verbessern sich durch Beitrittsperspektive weiter
Wien (PdI) - Die Industriellenvereinigung (IV) begrüßt die Aufnahme der EU- Beitrittsverhandlungen mit Kroatien in der vergangenen Nacht als „Meilenstein beim Zusammenwachsen des zentral- und osteuropäischen Wirtschaftsraumes“. "Wir hoffen, dass die Verhandlungen gut verlaufen und baldestmöglich zu einem positiven Ergebnis führen", so IV-Generalsekretär Mag. Markus Beyrer heute, Dienstag. Kroatien sei für heimische Unternehmen ein wichtiger Markt, Österreich führe in Kroatien bei den ausländischen Investitionen, betonte der Generalsekretär. Ein EU-Beitritt werde die ausgezeichneten bilateralen Wirtschaftsbeziehungen weiter vertiefen.

"Mit der Perspektive eines baldigen EU-Beitritts verbessern sich die Chancen für österreichische Unternehmen und vor allem die Rechtssicherheit beträchtlich“, so Beyrer. Es sei allen zu gratulieren und danken, die sich für die Aufnahme der Verhandlungen erfolgreich eingesetzt haben. Die IV arbeite seit Jahren an der Unterstützung und der Intensivierung der wirtschaftlichen Kontakte nach Kroatien. Mit einem bilateralen Kooperationsabkommen sind die IV und der kroatische Industrieverband HUP bereits seit 1997 Partner. „In Zukunft werden wir unseren kroatischen Schwesterverband natürlich noch stärker in die Mitteleuropa-Kooperation der IV mit unseren tschechischen, slowakischen, ungarischen und slowenischen Partnern einbinden“, sagte Beyrer.
 
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