Antrittsvorlesung von Dr. Franz Fischler an der
Universität Innsbruck
Innsbruck (universität) - Am Freitag (14. 10.) Abend hielt Dr. Franz Fischler seine Antrittsvorlesung
als Gastprofessur an der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie. Nach einer kurzen Einführung
in die Grundlagen der Europäischen Union referierte Fischler über die Rahmenbedingungen der drei „WWW“:
Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand.
Rektor Manfried Gantner würdigte in seiner Begrüßung Franz Fischler als einen großen Staatsmann
Österreichs und Tirols: „Er hat den Kontakt zu Tirol nie verloren. Er fördert mit seinem Engagement an
seiner Landesuniversität die Schwerpunktbildung und Positionierung unserer Alma Mater.“ Gantner sprach sich
in seiner Rede für eine Belebung des europäischen Forschungsraumes aus. Die Europäische Union hätte
sich mit der Lissabon Erklärung zu recht ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten
Wissensgesellschaft der Welt zu werden und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
zu erhöhen: „Die Ziele und die Erwartungen, die geweckt wurden, konnten bisher jedoch nur zu einem kleinen
Teil erfüllt werden.“ Die Forschungsquote Österreichs hätte sich in den letzten Jahren kontinuierlich
erhöht und liege derzeit bei 2,35 Prozent.
Der Organisator und Gastgeber, Prof. Anton Pelinka, Dekan der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie,
freut sich mit Franz Fischler eine Persönlichkeit begrüßen zu dürfen, die die empirische Sicht
der Wissenschaft um die reale Innenansicht ergänzt: „Mit Franz Fischler erhalten unsere Studierenden Einblicke
in den Bauch des Walfisches und können von seinem Wissen profitieren. Sie bekommen vermittelt wie politische
Prozesse in Wirklichkeit funktionieren.“
Der prominente Vortragende des Abends, Dr. Franz Fischler, beschäftigte sich in seiner Antrittsvorlesung mit
der Frage: „Worauf kommt es an, um die Europäische Union wieder auf Erfolgskurs zu bringen?“ In seinen einleitenden
Worten ging er auf die derzeitigen Strömungen in der Europäischen Union ein: Vereinigte Staaten von Europa,
nur Wirtschaftsgemeinschaft, Beibehaltung des Status Quo und auf die Idee einer großen Wirtschaftsgemeinschaft
mit einer kleineren exklusiven Gruppe von Ländern, die auf politischer Ebene zusammenarbeitet. Ein Verfechter
dieser Idee sei Frankreich: „Aber die EU darf nicht den Fehler machen, zu viel über eine „Base Line“ - den
Grundgedanken - von Europa zu diskutieren und auf die konkrete Politik für die Bevölkerung zu vergessen.“
Die Kluft zwischen Eurokraten und den Sorgen der Bevölkerung dürfe nicht größer werden. Ein
wichtiges Ziel der EU sei Wohlstand. Forschung und Entwicklung spielen für ihn in dieser Frage eine zentrale
Rolle.
Spitzenforschung kann anders organisiert werden
„In vielen Technologiebereichen sind die Forscherinnen und Forscher der Europäischen Union in der Welt führend.
Aber in der Spitzenforschung fällt die EU gegenüber den USA ab“, warnt Fischler. Diese Entwicklung spiegle
sich auch in den Hochschulrankings wieder. Dennoch hält Fischler fest: „Eine Eliteuniversität ist in
Österreich nicht notwendig. Forschungsexzellenz lässt sich in Zeiten des Internets auch anders organisieren
und realisieren.“ Fischler unterstützt daher den Vorschlag von Rektor Gantner von einer virtuellen Eliteuniversität.
Risikokapital ist ein knappes Gut
„Das Risikokapital in der Europäischen Union entspricht der Hälfte des Volumens in den USA“,
so Fischler. Durch das fehlende Risikokapital würde die Umsetzung von Forschungsergebnissen in der EU erschwert.
Auch die Einstellung zum Unternehmertum kritisiert Fischler: „Wenn in den USA ein Unternehmer Bankrott erklärt,
sagt man, er hat es wenigstens probiert und es ist weiter nicht schlimm. Wenn in Europa ein Unternehmer mit seiner
Firmenidee Schiffbruch erleidet, ist er für sein Leben abgestempelt. Am besten wäre überhaupt, er
würde auswandern.“ Daher sind die Initiativen der Universität Innsbruck mit eigenen Transfercentern wie
dem Center for Academic Spin-offs Tyrol, die WissenschaftlerInnen in die Selbständigkeit begleiten, zu begrüßen.
Forschungspolitik muss verstärkt werden
„Der Wohlstand eines Landes kann nur über eine sehr gute Forschung und Entwicklung sichergestellt werden“,
davon ist Fischler überzeugt. Die EU setzt daher sehr viele Akzente in der Forschungspolitik und –förderung.
Davon würde Österreich als Forschungsland profitieren: „Österreich ist auf einem sehr guten Weg.
In den vergangenen zehn Jahren haben Österreichs Forscherinnen und Forscher zehn Mal so viele Forschungsgelder
wie in den Jahren zuvor von der EU eingeworben. Österreich ist damit EU-weit Spitzenreiter.“ An der Universität
Innsbruck gibt es derzeit über 800 Drittmittelprojekte. Davon sind über 30 bereits EU-Projekte.
Lebenslanges Lernen wird nicht gelebt
„Die Kultur des Lebenslangen Lernens ist vielen Europäern fremd“, weiß Fischler: „Wenn jemand mit 35
Jahren im Technologiebereich tätig ist, der sich schnell weiterentwickelt und verändert, und für
zwei Jahre aussetzt, um sich weiterzubilden und sein Wissen zu vermehren, der wird nach diesen zwei Jahren keine
Stelle mehr finden.“ Jährlich würden zudem 800.000 Dienstverhältnisse in Österreich aufgelöst:
„Für diese Menschen müssen Weiterbildungsangebote geschaffen werden, damit diese Zeit sinnvoll genützt
werden kann.“ Ältere Menschen hätten derzeit zudem klare Nachteile am Arbeitsmarkt. Generell hält
Fischler fest: „Das EU-Problem der alternden Bevölkerung wird zurzeit zu sehr vernachlässigt.“ Es brauche
ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um den Konsequenzen dieser Entwicklung vorzubeugen: Längere Lebensarbeitszeit,
die Lasten im Sozialsystem müssten neu verteilt und die sozialen Dienste müssten ausgebaut werden.
Junge Generation hat Glauben in die Politik verloren
„Das Vertrauen in die Politik ist vor allem bei jungen Menschen gesunken. Sie setzen mit der Erhöhung
der privaten Vorsorge mehr Vertrauen in den internationalen Kapitalmarkt als in die nationalstaatlichen Sozialsysteme“,
erläutert Fischler. Um die junge Generation wieder ins Boot zu holen, plädiert Fischler für ein
neues Regieren: „Die Bevölkerung muss mehr in die Entscheidungen der Politik direkt eingebunden werden.“ Dies
gelte vor allem für die EU.
Steuerharmonisierung nicht in allen Bereichen
„Es müssen Unterschiede in den Steuersystem der Mitgliedsländer bestehen bleiben“, erklärte Fischler.
Im Bereich der Verbrauchssteuern sei eine Harmonisierung sinnvoll, aber „wenn wir den schwachen Regionen ihren
Spielraum in der Steuerpolitik nehmen, dann können sich diese Staaten nicht entwickeln und gegenüber
den wirtschaftlich starken Ländern nicht aufholen.“ Eine Kumulierung der Steuer- und der Förderpolitik
sei erfolgversprechend. Ein gutes Beispiel für diese Strategie sei Irland: „Die Hälfte des Erfolges Irlands
ist auf die Förderungen der EU zurückzuführen, aber die andere Hälfte hat dieses Land seiner
innovativen Unternehmensbesteuerung zu verdanken.“
Was soll Europa realisieren?
In der österreichischen EU-Präsidentschaft wird die Problemstellung zu lösen sein, wie sich
die EU künftig finanziert: „Wir dürfen nicht die Frage stellen, wie viel darf Europa kosten, sondern,
was soll dieses Europa realisieren.“ Der EU steht derzeit ein Vierzigstel des Geldes der Mitgliedstaaten zur Verfügung.
Fischler mahnt daher in diesem Zusammenhang mehr politische Ehrlichkeit ein: „Die EU kann mit ihren finanziellen
Mitteln keine EU-weite Arbeitsmarktpolitik betreiben. Die Mittel sind begrenzt. Dies betrifft auch den Ausbau der
Infrastruktur.“ Grundsätzlich müssen die reichen Ländern mit den armen Solidarität üben
und nicht umgekehrt. Europa müsse sich künftig auch vom Image des „Quotenkillers“ für Medien verabschieden:
„Die EU müsse mehr ernstgenommen werden und der Europäische Gedanke mehr gelebt werden“, so Fischler
abschließend.
Franz Fischler zeichnete ein sehr differenziertes Bild der Europäischen Union und wird im Wintersemester 2005/06
an der LFU Innsbruck als Gastprofessor lehren. Unter den zahlreichen Festgästen bei der Antrittsvorlesung
waren u.a. Landestagspräsident Prof. Ing. Helmut Mader, Dr. Bruno Wallnöfer, Vorstand der Tiroler Wasserkraft
AG und Georg Willi, Landessprecher der Grünen in Tirol. |