Paris (esa) - Viele Rätsel des geheimnisvollen Planeten Venus, dieses
heißen und nebelverhangenen Schwesterplaneten der Erde, harren ihrer Lösung, wenn Venus Express, die
nächste planetarische Mission der Europäischen Weltraumorganisation ESA am Mittwoch, den 26. Oktober
2005 gestartet wird.
An diesem Tag wird der Himmel über dem Kosmodrom Baikonur in Kasachstan vom Feuerschein der Triebwerke des
Sojus-Fregat-Trägers erleuchtet sein, der das wertvolle Raumfahrzeug ins All befördern soll.
Die Planeten unseres Sonnensystems stehen dann so, dass die Sonde auf einer optimalen Route zur Venus gelangen
kann. Nur alle neunzehn Monate steht die Venus so zur Erde, dass der Flug dorthin möglichst treibstoffeffizient
erfolgen kann. Um diese Gelegenheit zu nutzen, hat die ESA beschlossen, Venus Express während des nächsten
etwa einmonatigen „Startfensters” zwischen dem 26. Oktober 2005 und dem 24. November 2005 auf seine Umlaufbahn
zu befördern.
Wegen der Bewegung der Erde im Verhältnis zur Venus und infolge der Rotation der Erde um sich selbst wird
es jeden Tag nur wenige Sekunden geben, während derer ein Start möglich ist. Die erste Startmöglichkeit
besteht am 26. Oktober 2005 um 6.43 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) bzw. 10.43 Uhr Ortszeit.
Venus Express wird nur 163 Tage (etwas länger als fünf Monate) benötigen, um die Venus zu erreichen.
Mit dem Eintreffen dieses rein europäischen Raumfahrzeugs im Schwerefeld der Venus beginnt dann im April 2006
– mehr als 10 Jahre nach der letzten wissenschaftlichen Venus-Mission – ein neues Forschungskapitel.
Am Anfang der Reise steht der Start
Eines der weltweit zuverlässigsten Raumfahrzeugträger, die Sojus Fregat, wird Venus Express auf
den Weg zu ihrem Ziel bringen. Die Sojus wird von der europäisch-russischen Firma Starsem bereitgestellt und
besteht aus drei Hauptstufen mit der Fregat als zusätzlicher Oberstufe, an der Venus Express befestigt ist.
Die Einbringung der Sonde in ihre interplanetarische Flugbahn zur Venus verläuft in drei Phasen. Die erste
Phase umfasst die neun Minuten nach dem Start, in denen die Sojus-Rakete fast senkrecht von der Erde aufsteigt
und mittels ihrer drei Stufen, die nacheinander abgetrennt werden, auf eine Höhe von über 190 Kilometern
gelangt.
In der zweiten Phase wird der verbleibende Block aus Fregat und Venus Express in Richtung Osten auf eine Parkbahn
um die Erde einschwenken. Für dieses Manöver wird das Triebwerk der Fregat ein erstes Mal gezündet,
und zwar um 6.52 Uhr MESZ (4.52 Uhr GMT).
Um 8.03 Uhr MESZ, also eine Stunde und zwanzig Minuten nach dem Start und nach einer fast vollständigen Erdumrundung,
beginnt die dritte Phase. Während des Überflugs über Afrika wird das Fregat-Triebwerk zum zweiten
Mal gezündet, damit das Raumfahrzeug die Erdumlaufbahn verlassen und in ihre hyperbolische Flugbahn zur Venus
einschwenken kann.
Nach dieser zweiten Triebwerkszündung wird die Fregat durch einen Trennmechanismus von Venus Express abgestoßen,
denn der Träger hat seine Aufgabe nun erfüllt.
Eine erfolgreiche Weltraummission bedeutet viel Arbeit am Boden
Unmittelbar nach der Abtrennung von der Fregat um 8.21 Uhr MESZ wird Venus Express durch mehrere interne,
automatisch ablaufende Kommandos aus ihrem Ruhezustand erwachen, insbesondere durch die Aktivierung der Antriebs-
und Temperaturüberwachungssysteme, die Entfaltung der Solarflügel und Manöver zur Positionierung
im Weltraum.
Von diesem Moment an steht das Raumfahrzeug bis zum Ende der gesamten Mission unter der Kontrolle des ESA-Raumflugkontrollzentrums
(ESOC). Das Flugüberwachungs¬team koordiniert und leitet ein weltweites Netz von ESA-Bodenstationen und
Funkantennen, die regelmäßig mit dem Raumfahrzeug in Kontakt stehen.
In der Anfangsphase der Mission werden die Stationen in New Norcia (Australien) und Kourou (Französisch-Guayana)
im Wechsel mit Venus Express Kontakt aufnehmen. Die erste Gelegenheit, ein Signal zu empfangen und sich über
den Zustand des Raumfahrzeugs zu informieren, wird sich der Station in New Norcia etwa zwei Stunden nach dem Start,
bieten.
Sobald das ESOC Venus Express unter Kontrolle hat, wird das Raumfahrzeug in dieser frühen Phase vollständig
aktiviert. Zu den Manövern gehören auch zwei Zündungen seines Triebwerks, um etwaige durch die Trennung
von Fregat bedingte Bahnabweichungen zu korrigieren.
Am 28. Oktober wird die erst vor kurzem eingeweihte Bodenstation Cebreros in Spanien mit ihrer 35-Meter-Antenne
eine aktive Rolle innerhalb des Bodenstationnetzwerks übernehmen und Daten vom ESOC an das Raumfahrzeug weiterleiten.
Während des Anfluges und auch nach Erreichen des Schwerefelds der Venus wird Cebreros wichtigster Datenknoten
zwischen dem ESOC und Venus Express sein.
Der Anflug zur Venus
Während des 163 Tage dauernden Fluges zur Venus wird die Sonde ca. 400 Mio. Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit
im Verhältnis zur Sonne von etwa 28 Kilometern pro Sekunde zurücklegen. Nach der anfänglichen Phase
der Inbetriebnahme wird das Raumfahrzeug nun einen ruhigen Flug absolvieren, für den abgesehen von Routineüberprüfungen
der Subsysteme und wissenschaftlichen Instrumente sowie etwaigen geringfügigen Korrekturen der Flugbahn keine
besonderen Manöver vorgesehen sind.
Spannend wird es erst wieder am 6. April 2006, wenn die Sonde am Ende ihrer Anflugphase ein heikles Bremsmanöver
durchführen muss, um sich vom Schwerefeld der Venus “einfangen” zu lassen. Das Einschwenken in die Umlaufbahn
um die Venus erfordert sehr viel Energie. Das Haupttriebwerk muss dementsprechend fast 51 Minuten lang gezündet
werden.
Durch dieses Manöver wird das Raumfahrzeug auf einer hochelliptischen Umlaufbahn von dem Planeten eingefangen,
wobei der der Venus-Oberfläche am nächsten liegende Punkt der Bahn etwa 250 km über dem Nordpol
und der am weitesten entfernt liegende Punkt in 350.000 km Höhe ungefähr über dem Südpol liegen
wird.
Am Ende dieser 10-tägigen Einbringung in die Venus-Umlaufbahn wird das Haupttriebwerk der Sonde erneut gezündet.
Nach mehreren kleineren Bahnkorrekturen wird sich Venus Express etwa sechs Tage später auf seiner endgültigen
operativen Umlaufbahn befinden. Es handelt sich dabei um eine elliptische, 24-stündige Polar-Umlaufbahn in
250 km bis 66.000 km Höhe über der Venus-Oberfläche.
Schon bei der Einbringung in die Venus-Umlaufbahn könnten sich erste Gelegenheiten für wissenschaftliche
Beobachtungen bieten. Die eigentliche wissenschaftliche Phase beginnt jedoch erst am 4. Juli 2006, wenn die Inbetriebnahme
der Sonde und ihrer Instrumente abgeschlossen ist.
Die sieben Bordinstrumente von Venus Express ermöglichen völlig neue Analysen der dichten und rätselhaften
Venus-Atmosphäre, deren enge Wechselwirkungen mit der Oberfläche auch Rückschlüsse auf die
Eigenschaften, den Zustand und die Entwicklung des gesamten Planeten ermöglichen.
Venus Express ist nahezu identisch mit seinem Zwilling Mars Express, wurde jedoch an die heißen und rauen
Bedingungen im Venus-Orbit angepasst. Gebaut wurde die Sonde von EADS Astrium, Toulouse (Frankreich), das als Hauptauftragnehmer
mit industriellen Partnern aus ganz Europa zusammen gearbeitet hat. Von der Planung bis zum Start des Raumfahrzeugs
vergingen weniger als vier Jahre. Damit ist Venus Express bisher die am schnellsten gebaute wissenschaftliche Sonde
der ESA.
Nach Fertigung und Erprobung des Raumfahrzeugs wird die Industrie auch während des Missionsbetriebs weiterhin
als Kooperations- und Konsultationspartner des ESA-Projektteams für Venus Express (unter Führung des
Projektleiters), wie auch des Bodenkontrollteams für Venus Express (unter Leitung des Flugbetriebsmanagers)
einbezogen sein.
Wenn am 4. Juli 2006 die eigentliche wissenschaftliche Phase beginnt, wird der Venus Express-Projektleiter die
Verantwortung für die Mission an den Venus-Express-Missionsleiter der ESA übergeben, der dem Venus-Express-Forschungszentrum
(VSOC) im Europäischen Weltraumforschungs- und
-technologiezentrum der ESA (ESTEC) in den Niederlanden vorsteht. Das VSOC übernimmt gemeinsam mit dem Projektwissenschaftler
und den Hauptexperimentatoren der Instrumente die Routineplanung für die wissenschaftlichen Beobachtungen.
Die Investitionen der ESA für die Mission Venus Express belaufen sich auf etwa 220 Mio. Euro. Dieser Betrag
beinhaltet die Kosten für Entwicklung, Start und Betrieb des Raumfahrzeugs sowie 15 Mio. Euro für die
Entwicklung wissenschaftlicher Instrumente und die Unterstützung mehrerer Forschungsinstitute (Hauptexperimentatoren)
beim Bau der Instrumente. Venus Express gehört zurselben Missionsfamilie wie Rosetta und Mars Express, sodass
die Entwicklungskosten aufgeteilt werden konnten. |