Besonderer Ausschuss geht in medias res der Verfassungsreform
Wien (pk) - Die Mitglieder des Besonderen Ausschusses zur Vorbereitung des Berichts des Österreich-Konvents
(III-136 d.B.) einigten sich am Dienstag (08. 11.) teils einhellig, teils mit Vorbehalten darauf, wie der
Themenbereich "Verfassungsbereinigung" weiter behandelt werden soll. Der betreffende Antrag sieht vor,
dass der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Karl Korinek sowie Universitätsprofessor Ewald Wiederin
und Sektionsleiter Georg Lienbacher in Zusammenarbeit mit dem Vorbereitungskomitee dem Besonderen Ausschuss schriftliche
Unterlagen zu folgenden Fragestellungen vorlegen sollen:
So wurde beschlossen, die Tabellen über die mehr als tausend Bestimmungen, die im Verfassungsrang stehen,
zu aktualisieren und den kompletten Bestand des formellen Bundesverfassungsrechts mit Datum 31.12.2005 darzustellen.
Darüber hinaus soll eine Zusammenstellung jener Vorschriften im Verfassungsrang, die außer Kraft gesetzt
werden können, mit entsprechender Begründung erfolgen.
Als weiteres Ziel der Verfassungsbereinigung wurde festgelegt, dass für Bereinigungen der Bundesgrenzen und
der Grenzen innerhalb des Bundesgebietes ein eigener Tatbestand geschaffen wird, der solche ohne Bestimmungen im
Verfassungsrang ermöglicht (Art. 2 und 3 B-VG). Derzeit sind nämlich dafür sowohl Änderungen
der betreffenden Landesverfassungen als auch des B-VG notwendig. Darüber hinaus soll es im Zuge der Verfassungsbereinigung
jedoch keine Verfassungsänderung geben.
Hinsichtlich der Übertragung von Hoheitsrechten im Art. 9 Abs. 2 B-VG wurde vereinbart, dass die Verfassungsbereinigung
kein Präjudiz für die Anwendbarkeit von 15a-Verträgen darstellt.
Bei multilateralen Verträgen (Art. 50 B-VG) setzt sich der Ausschuss zum Ziel, Staatsverträge, die zur
Selbstabänderung ermächtigen, ohne Verfassungsbestimmungen abschließen zu können. Unter den
Fraktionen von ÖVP und SPÖ besteht Konsens, dass Nationalrat und Bundesrat bei Abschluss eines derartigen
Staatsvertrages ein Vorbehalt zugestanden wird. Der freiheitliche Klub macht seine Zustimmung von der näheren
Ausgestaltung des Vorbehalts abhängig, die Grünen von der Einführung der Pflicht zur Unterrichtung
des Nationalrates.
Zur Erörterung anderer Fragen wie der Regelung von weisungsfreien Verwaltungsbehörden, der bundesstaatlichen
Kompetenzverteilung, der Grundrechte, der Amtshilfe etc. wird eine Arbeitsgruppe der vier Fraktionen eingesetzt.
Auf der Basis der von Korinek, Wiederin und Lienbacher ausgearbeiteten Vorschläge soll dann der Verfassungsdienst
ersucht werden, einen Textvorschlag auszuarbeiten. Korinek und Lienbacher betonten in diesem Zusammenhang, dass
bei der Formulierung aller Punkte das Vieraugenprinzip zwischen Arbeitsgruppe und Verfassungsdienst gelten und
man selbstverständlich die Vorschläge ausreichend begründen werde. Wiederin wies darauf hin, dass
man sich bei der Bereinigung jener Punkte, die quantitativ und qualitativ von Bedeutung sind, auf einen breiten
Konsens stützen müsse.
Verfassung soll neu strukturiert werden
Grundlage für den Antrag stellte ein Zwischenbericht der drei genannten Experten an den Ausschuss
dar, der nicht nur kurz auf die wichtigsten Punkte des Ausschusses 2 des Konvents "Legistische Strukturfragen"
eingeht, sondern auch konkrete Vorschläge zur Verfassungsbereinigung unterbreitet.
Am Beginn des Besonderen Ausschusses ging Karl Korinek näher auf die Ergebnisse des Ausschusses 2 des Österreich-Konvents
ein. Neben der Vorlage einer Liste möglicher Themen, die eine Verfassung regeln soll, habe der Ausschuss einen
Vorschlag für eine neue Verfassungsstruktur vorgelegt. Dieser gehe von einem "relativen Inkorporationsgebot"
aus, das heiße, das zersplitterte Verfassungsrecht möglichst in einer zentralen Urkunde zusammenzuführen.
Demnach seien drei Arten von Verfassungsrecht vorgesehen: die Verfassungsurkunde selbst mit dem Kern der Verfassung;
weiters so genannte "Verfassungstrabanten", womit eine Reihe von Verfassungsgesetzen und Staatsverträgen
gemeint ist, die in der Urkunde ausdrücklich genannt werden und somit Bestandteil der Verfassung sein sollten;
schließlich ein Verfassungsbegleitgesetz, das rein technische Bestimmungen enthält. Für bestimmte
Gesetze, wie zum Beispiel das Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates oder das Unvereinbarkeitsgesetz, gebe
es die Idee eines so genannten "Verfassungsausführungsgesetzes", für die eine Zweidrittelmehrheit
notwendig sein soll, erläuterte Korinek.
Ein wesentlicher Teil der Arbeit sei der Analyse des Bestands des Verfassungsrechts gewidmet gewesen. Dazu seien
mehr als 1.000 Bestimmungen diskutiert worden, wobei bei einzelnen Punkten, die im Zusammenhang mit Vorschriften
des B-VG stehen, auf diesen Konnex hingewiesen wurde. Davon seien insbesondere die bundesstaatliche Kompetenzverteilung
und der Grundrechtsschutz betroffen. Darüber hinaus, so Korinek, seien einzelne materielle Fragen des Verfassungsrechts
erörtert worden.
Zu den übrigen Bestimmungen seien im Ausschuss Vorschläge zur Bereinigung gemacht worden, und zwar entweder
in Form der Aufhebung oder der Beseitigung des Verfassungsrangs. In gleicher Weise habe man mehrere hundert Verfassungsbestimmungen
in Staatsverträgen behandelt. Konkret hätten die Vorschläge die Übertragung von Hoheitsakten
und die Voraussetzungen, Staatsverträge abzuschließen und abzuändern, sowie die Regelung der Bundes-
und Landesgrenzen betroffen.
Grenzbereinigungen rechtlich vereinfachen
Der gegenständliche Zwischenbericht enthält darüber hinaus Empfehlungen für die weitere
Vorgangsweise, worüber es dann im Ausschuss eine ausführliche Diskussion gegeben hat. Grundsätzlich
wurden die Vorschläge als richtig und akzeptabel erachtet. In diesem Sinn zustimmend äußerte sich
vor allem Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V). Abgeordneter Peter Wittmann (S) teilte deren Auffassung,
forderte jedoch, die Ergebnisse jeweils auch dem Vorbereitungskomitee zu unterbreiten. Ähnlich positiv argumentierte
Abgeordneter Herbert Scheibner (F), der die Wichtigkeit des Inkorporationsgebots unterstrich, um es in Zukunft
zu erschweren, einfachgesetzliche Materien in den Verfassungsrang zu heben. Abgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek
(G) legte vor allem Wert auf die Begründung für die geplante Aufhebung von Bestimmungen, denen keine
inhaltliche Bedeutung mehr zukommen soll.
In der Frage der verfassungsrechtlichen Regelung der Staats- und Landesgrenzen kam es im Ausschuss zu einer detaillierten
Debatte. Der Vorschlag der Experten lautet, die Änderung der Bundesgrenzen und Grenzbereinigungen innerhalb
des Bundesgebietes so zu gestalten, dass keine Änderung des B-VG mehr notwendig ist, sondern die Zustimmung
der betroffenen Länder beziehungsweise übereinstimmende Gesetze oder Verträge des Bundes mit den
betroffenen Ländern genügen sollen. Eine verfassungsgesetzliche Regelung im B-VG und in den Ländern
soll nur mehr dann erforderlich sein, wenn Veränderungen im Bestand der Länder oder eine Verminderung
der Rechte der Länder vorgesehen sind. Dem stimmten grundsätzlich die Abgeordneten Baumgartner-Gabitzer
(V), Peter Wittmann (S), Herbert Scheibner (F) sowie der Experte der SPÖ Johannes Schnizer zu. Abgeordnete
Eva Glawischnig-Piesczek (G) sprach daraufhin das Verhältnis zu den 15a-Verträgen an. Karl Korinek führte
auf Grund einer Frage der Abgeordneten Baumgartner-Gabitzer (V) näher aus, dass man unter einer Grenzbereinigung
etwa den Neuverlauf wegen einer Flussbegradigung verstehen könnte. Eine Grenzänderung stelle hingegen
einen qualitativen Sprung dar.
Soll Parlament vom Abschluss aller Staatverträge unterrichtet werden?
Einen strittigen Punkt bildete der Vorschlag, Staatsverträge, die zur Selbstabänderung ermächtigen,
ohne Zustimmung des Nationalrates beziehungsweise des Bundesrates abschließen zu können. Der von den
Experten vorgelegte Zwischenbericht enthält dazu den Klammerausdruck, "es sei denn, dass sich der Nationalrat
oder der Bundesrat dies vorbehält". Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) zeigte sich damit einverstanden
und plädierte dafür, den Zusatz nicht als Klammerausdruck, sondern als Nebensatz zu formulieren. Diese
Auffassung teilte auch Abgeordneter Peter Wittmann (S), der jedoch zusätzlich eine Berichtspflicht einforderte.
Im Gegensatz dazu lehnte Abgeordneter Herbert Scheibner (F) den Klammerausdruck insgesamt aus praktischen Überlegungen
ab, da für die Befassung des Nationalrates oder des Bundesrates oft die Frist nicht eingehalten werden könne.
Ihm gehe es nicht darum, die Rechte des Parlaments zu beschneiden, sondern er wolle eine vernünftige Lösung
erzielen, sagte Scheibner. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Korinek hielt dazu fest, er erachte diese
Bestimmung als eine Notbremse. Auf den Einwand von Bundesrat Peter Böhm (F), dass die Änderung derartiger
Verträge durchaus auch substantiell sein könnte, erwiderte der Verfassungsexperte Ewald Wiederin, die
Praxis zeige, dass es sich immer nur um technische Änderungen handle. Auch der Experte der SPÖ Johannes
Schnizer hielt das Vorbehaltsrecht des Parlaments für wichtig, um entscheiden zu können, ob es sich tatsächlich
nur um technische Änderungen handelt.
Uneinigkeit herrschte auch in Bezug auf eine etwaige Berichtspflicht, die nach Abschluss der Diskussion nur mehr
als "Unterrichtungspflicht" bezeichnet wird. Der Vorsitzende des Konvents Franz Fiedler hatte darauf
aufmerksam gemacht, dass man sich im Präsidium des Konvents darauf geeinigt habe, von "Unterrichtung"
des Nationalrats und Bundesrats zu sprechen und die Geschäftsordnungen nähere Bestimmungen regeln sollen.
Abgeordnete Baumgartner-Gabitzer und Maria Theresia Fekter (beide V) hielten eine solche "Unterrichtungspflicht"
für nicht notwendig und überzogen, da dies ihrer Ansicht nach nicht der Rechtsbereinigung dienen würde.
Im Gegensatz dazu beharrten die Grünen auf die Festlegung einer solchen Unterrichtungspflicht als eine essentielle
Ergänzung zum neuen Art. 50 Abs. 2a. Nationalratspräsident Khol meinte dazu, die Berichtspflicht habe
nichts mit der Rechtsbereinigung zu tun und sei eine Frage, wie man Außenpolitik gestalte.
Grundsätzlich vertrat Khol zusammenfassend die Auffassung, die im Zwischenbericht vorgeschlagene Formulierung
entspreche nicht dem Ziel des Besonderen Ausschusses. Grundsätzlich müssten Nationalrat und Bundesrat
für den Fall schwerwiegender Änderungen Vorbehalte gegen den Abschluss von Staatsverträgen zugestanden
werden. In diesem Sinne wurde dann auch der Antrag formuliert, wobei die Bedenken der Grünen und der Freiheitlichen
berücksichtigt wurden. |