Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945
Wien (wienmuseum) - Ein Hauch von Leichtigkeit, flott gekurvtes Espresso-Design, Träume in Glas
und Neon. Waren die fünfziger Jahre in Österreich wirklich so schwungvoll? Oder waren sie geprägt
von Biederkeit, einem restriktiven Kulturklima und einem obsessiven Streben nach Stabilität?
Die damals entstandenen Bauten sind Zeitzeugen dieser Ambivalenz: Sie sind "moderat modern", d.h. sie
greifen die aktuellen Tendenzen in der internationalen Architektur auf, ohne die Zeitgenossen mit allzu radikalen
Entwürfen vor den Kopf zu stoßen. Nach 1945 ging es um schnellen Wiederaufbau, möglichst ohne Diskussionen,
die den gesellschaftlichen Konsens hätten gefährden können. Die Devise lautete: Verlässlichkeit
statt Risiko, Sparsamkeit statt Großzügigkeit.
"Wenn es einen typischen Stil der Wiederaufbau-Ära und eine architektonische Handschrift des offiziellen
Österreich gibt, dann ist es eine zurückhaltende und angepasste Moderne – redlich, solid und funktional",
so Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums. Mit dieser, im heutigen Stadtbild oft "unsichtbaren", weil
unbeachteten Architektur ging die nachfolgende Generation hart ins Gericht. "Doch gerade die nicht revolutionäre,
sondern eher nüchterne Architektur der fünfziger Jahre kann erst von der heutigen Generation, fünf
Jahrzehnte nach ihrer Entstehung, anerkannt und vorurteilsfrei bewertet werden", so Judith Eiblmayr und Iris
Meder, die Kuratorinnen der Ausstellung "Moderat Modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945",
mit der das Wien Museum im Gedenkjahr 2005 einen weiteren Akzent setzt.
Eine Schlüsselfigur der Baukultur nach 1945: Erich Boltenstern
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein Architekt, der wie kein anderer die "moderate Moderne"
repräsentiert: Erich Boltenstern (1896-1991). Er war einer der meistbeschäftigten Gestalter und Planer
seiner Zeit, sein Ringturm für die Wiener Städtische Versicherung, das erste "echte" Hochhaus
in Wien, wurde vor genau fünfzig Jahren fertig gestellt und symbolisierte damals den Aufbruch in die Moderne.
Im gleichen Jahr 1955 fand die glanzvolle Eröffnung der Staatsoper statt, deren Wiederaufbau ebenfalls Boltenstern
geleitet hatte. Hier manifestierten sich gestalterische Zurückhaltung und großkoalitionäre Kompromissbereitschaft.
In der Ausstellung "Moderat Modern" werden erstmals Pläne, Zeichnungen und Fotos aus dem Nachlass
Erich Boltensterns gezeigt, ergänzt durch Schlaglichter auf Ringstraßen-Bauten anderer Zeitgenossen,
etwa Oswald Haerdtl oder Carl Appel. Ein eigenes Kapitel ist dem zur Zeit wieder diskutierten Kahlenberg-Restaurant
gewidmet, einem bedeutenden Frühwerk Boltensterns, das vor genau 70 Jahren eröffnet wurde. Originalmöbel
sind zu einer fünfziger Jahre-Lounge gruppiert und vermitteln ebenso Zeitfeeling wie die längst abgerissenen
Firmenpavillons auf dem Wiener Messegelände, die in der Ausstellung mit Plänen, Fotos und einem Modell
dokumentiert werden. Oswald Haerdtls legendärer Pavillon für Felten & Guilleaume gilt als eine Ikone
der österreichischen Nachkriegsmoderne.
Bis 29. Jänner 2006, Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr
Mittwoch, 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr; 24. und 31. Dezember 2005: 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr
25. Dezember 2005 und 1. Jänner 2006 - geschlossen
Bis 20. November 2006 zeigt die Wiener Städtische parallel im Atrium die Schau "Ringturm 55/05 - Die
Konzernzentrale der Wiener Städtischen Versicherung. Wirtschaftsgeschichte - Sozialgeschichte - Stadtgeschichte". |