Opposition thematisiert abermals CIA-Überflüge
Wien (pk) - Der Hauptausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union im Vorfeld des Europäischen
Rates am 15. und 16. Dezember gab am Dienstag (13. 12.) den Abgeordneten Gelegenheit, ausführlich über
Perspektiven, Ziele und Grundsätze der EU zu diskutieren. Im Mittelpunkt standen dabei die finanzielle Vorausschau
sowie das Thema der CIA-Überflüge und angebliche CIA-Geheimgefängnisse in Europa.
Die Abgeordneten waren sich darin einig, dass die finanzielle Ausstattung der EU nicht von der Frage der zukünftigen
Entwicklung der Union getrennt werden könne. Unisono wurde Kritik am so genannten "Briten-Rabatt"
geübt. Als notwendig für eine nachhaltige Entwicklung wurde die Förderung der ländlichen Entwicklung
erachtet. Während die ÖVP den Vorschlag der Luxemburgischen Präsidentschaft als eine gute Grundlage
für eine positive Lösung erachtete, brachte die SPÖ einen Antrag auf Stellungnahme ein, in dem sie
sich unter anderem abermals für eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, und damit eine Reduktion der unmittelbaren
Landwirtschaftsförderung, sowie für eine Umstrukturierung der Ausgaben zugunsten von Infrastruktur, Forschung
und Bildung aussprach. Dieser Antrag wurde von ÖVP, F und G abgelehnt. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel
bewertete die darin angeführten Forderungen grundsätzlich positiv, machte aber darauf aufmerksam, dass
man eine derartig langfristige Kursänderung nicht mit der kurzfristigen finanziellen Vorausschau junktimieren
könne. Sockelförderungen und Obergrenzen seien dezidiert von Großbritannien und Deutschland abgelehnt
worden.
Ein zentrales Thema stellten auch die CIA-Überflüge und die Verdachtsmomente hinsichtlich von CIA-Geheimgefängnissen
dar, wobei die Abgeordneten Josef Cap (S) und Peter Pilz (G) dem Bundeskanzler schwere Vorwürfe machten, sich
nicht für die Wahrheitssuche einzusetzen und dem amerikanischen Präsidenten einen Persilschein ausgestellt
zu haben. Bundeskanzler Schüssel reagierte darauf mit der Feststellung: "Ich habe ein sehr gutes Gewissen".
Er habe alles, was notwendig gewesen sei, angesprochen, auch jene Problembereiche, die die Grauzonen betreffen.
Er unterstütze die Untersuchung des Europarats und halte es für ein wichtiges Signal, dass Außenministerin
Condoleezza Rice sich der Mühe unterzogen habe, eine Woche lang in Europa die Haltung der USA zu erklären.
Er, Schüssel, habe den Eindruck, dass ihre Linie auch tatsächlich zu einer Klarstellung in der Administration
geführt hat. Er vertraue der amerikanischen Demokratie mehr als Vorverurteilungen in den Medien.
In diesem Zusammenhang brachten sowohl SPÖ als auch Grüne je einen Antrag auf Stellungnahme ein, die
ebenfalls keine Mehrheit fanden.
Die Abgeordneten beschlossen einhellig, während des kommenden Rates wieder ein "Feuerwehrkomitee"
einzurichten, um eine rasche Kontaktnahme mit dem Parlament während der Verhandlungen zu ermöglichen.
Zu den außenpolitischen Themen des kommenden Europäischen Rates berichtete Außenministerin Ursula
Plassnik, dass die Kommission Mazedonien den Kandidatenstatus gewähren wolle, ohne aber ein konkretes Datum
für den Beginn von Beitrittsverhandlungen zu nennen. Für Afrika werde erstmals eine Gesamtstrategie entwickelt
und dazu diene auch ein Treffen der Troika mit der Afrikanischen Union. Im Irak stehe der Wiederaufbau, die Stabilisierung
und die rechtsstaatliche Entwicklung im Vordergrund, und während der Ratspräsidentschaft werde Österreich
einen Sondervertreter entsenden.
Klubobmann Wilhelm Molterer (V) verlieh auch seiner Zufriedenheit darüber Ausdruck, dass in Hinblick auf die
Entschädigungsfrage der Ministerrat formal die Rechtssicherheit festgestellt hat. Damit sei ein Schlussstein
gesetzt, wie Molterer es ausdrückte, aber kein Schlussstrich gezogen worden. Man könne nun rasch mit
der Auszahlung beginnen. Dem schloss sich auch Abgeordneter Josef Cap (S) an. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel
kündigte erste A-Konto-Zahlungen noch vor Jahresende an und übermittelte den Abgeordneten den Dank von
Stewart Eizenstat.
Zwischen ÖVP und SPÖ entspann sich auch ein Disput über die Position der SozialdemokratInnen in
EU-Fragen. Klubobmann Molterer warf der Oppositionspartei vor, den Konsens in EU-Fragen zu verlassen und dies gerade
vor der österreichischen Ratspräsidentschaft und in einer wichtigen Phase der EU. Die SPÖ entziehe
sich damit der Verantwortung, so Molterer. Abgeordneter Josef Cap (S) konterte, man müsse darüber diskutieren,
wie die EU zukünftig gestaltet werde und mit welchen Mitteln man das Friedensprojekt, die Wettbewerbsfähigkeit
und die Sozialunion gewährleisten wolle. Was Konsens in der Europapolitik sei, könne nicht einseitig
von der ÖVP festgelegt werden. Er vermisse vor allem Vorschläge Österreichs zu diesen Fragen und
die Vorlage eines eigenen Konzepts zu einem zukünftigen Modell der EU. Abgeordneter Caspar Einem (S) beklagte,
dass sämtliche Vorschläge der Opposition von der Mehrheit niedergestimmt würden und betonte, dass
sich die SPÖ keinesfalls europapolitisch abgemeldet habe.
Schüssel: Der britische Vorschlag zum EU-Budget wäre eine Katastrophe für den ländlichen
Raum
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel leitete die Debatte mit einem kurzen Überblick über den Verhandlungsstand
zur finanziellen Vorausschau ein. Er bedauerte, dass es der Luxemburgischen Präsidentschaft im Juni dieses
Jahres nicht gelungen sei, Konsens zu erzielen, obwohl die Lösung in Reichweite gelegen sei. Der Vorschlag
sei bei 1,06 % Zahlungsverpflichtung und damit bei 1 % Zahlung gelegen. Österreich hätte damit zwar eine
erhöhte Zahlung akzeptiert. Doch eine Union der 25 sei eben teurer, und die Förderung des ländlichen
Raums mit 2,9 Mrd. € wäre sichergestellt gewesen. Darüber hinaus hätte es einen Grenzlandförderungsfonds
mit 50 Mill. € und zusätzliche 30 Mrd. € für Forschung und Entwicklung gegeben. Großbritannien,
Schweden und die Niederlande hätten aber ihre Zustimmung zu diesem Vorschlag Luxemburgs verweigert.
Der nunmehrige Entwurf der britischen Präsidentschaft finde jedoch bei keinem einzigen Land Zustimmung und
würde vor allem Österreich und Finnland aufgrund der geplanten Kürzungen für die Entwicklung
des ländlichen Raums besonders treffen. Schüssel verwendete in diesem Zusammenhang sogar das Wort "Katastrophe"
für den ländlichen Raum. Außerdem würde die Annahme des Konzepts eine Ungleichbehandlung der
Netto-Zahler bedeuten. Auch der Briten-Rabatt müsse schrittweise wegfallen, sagte Schüssel. Ein neuer
Vorschlag sei für morgen angekündigt, man kenne aber dessen Inhalt noch nicht. Schüssel sieht zwar
noch immer eine Chance für eine Einigung, stellte aber klar, dass, sollte es zu keiner Lösung kommen,
die Briten die Verhandlungen während der österreichischen und finnischen Präsidentschaft noch schwieriger
gestalten würden.
Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso habe sämtlichen Regierungschefs schriftlich sechs Punkte unterbreitet,
die er für eine gute Lösung als notwendig erachte: "ambition", zur Einhaltung der Lissabon-Strategie,
die eine entsprechende budgetäre Ausstattung erfordere; "fairness", wobei die Briten Konzessionen
machen sollten; "modernitiy", womit mehr Maßnahmen gemeint sind, um die Lissabon-Ziele zu erreichen;
"coherence" und "flexibility" und schließlich "value for money and proper management",
womit unter anderem auch eine größere Offenheit zum Input des Europäischen Parlaments gemeint ist.
Klubobmann Wilhelm Molterer (V) meinte, dass bei aller berechtigter Kritik die EU ein Erfolgsmodell darstelle und
in punkto Sicherheit, Wohlstandsvermehrung und Frieden keine alternativen Perspektiven vorhanden seien. Selbstverständlich
sei die Zukunft des Kontinents untrennbar mit der materiellen Ausgestaltung verbunden. Molterer erinnerte an den
gemeinsamen Entschließungsantrag vom 6. Juli 2005 zur finanziellen Vorausschau und bewertete den Vorschlag
Luxemburgs als eine gute Grundlage. Was seitens der Briten vorgelegt worden sei, sei jedoch in einigen Punkten
außerordentlich problematisch. Akzeptabel sei lediglich der finanzielle Rahmen, die Grenzlandförderung
und die Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Kritisch äußerte sich Molterer zum Umgang
der britischen Präsidentschaft mit dem Briten-Rabatt, womit eine Fairness der Lastenverteilung nicht gegeben
sei. Nachdem Kommissar Fischler in der Frage der ländlichen Entwicklung den richtigen Weg eingeschlagen habe,
soll nach Meinung der Briten nun die zweite Säule angetastet werden, womit eine nachhaltige Entwicklung extrem
gefährdet wäre.
Dem schloss sich sein Klubkollege Michael Spindelegger (V) an und meinte in Richtung des SPÖ-Antrages, es
sei jetzt nicht Zeit, alles wieder aufzuschnüren. Man müsse jetzt sämtliche Bemühungen daransetzen,
um zu einer Einigung zu kommen. Was die österreichische Präsidentschaft betrifft, so begrüßte
Spindelegger das Vorhaben, nationale Programme zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum zu verlangen.
Abgeordneter Caspar Einem (S) konnte die Aussage Molterers über das Erfolgsmodell insofern nicht teilen, da
die Menschen von Europa nicht nur Friedenssicherung erwarteten, sondern auch die soziale Absicherung. Die Wirtschaftspolitik
sei jedoch bislang nicht erfolgreich gewesen, woraus sich auch die Skepsis in der Bevölkerung erklären
lasse. Auch die Diskussion um die finanzielle Vorausschau richte schweren imagepolitischen Schaden an, da alle
nur ihre nationalen Egoismen bedienten und nicht das Projekt Europa im Vordergrund stehe. Er, Einem, sei sich dessen
bewusst, dass es notwendig ist, mehr Geld für zukunftsträchtige Projekte, Arbeitsplatzsicherung und Forschung
und Entwicklung auszugeben. Die Menschen müssten aber spüren, dass die Investitionen vernünftig
eingesetzt werden, sagte Einem. Auch das Solidarmodell innerhalb Europas soll weiterhin gestärkt werden, meinte
er. In Hinblick auf den ländlichen Raum stimmte er den Aussagen Molterers zu, er forderte auch den Abbau des
Briten-Rabatts und meinte, dass es gerade in dieser Phase notwendig sei, über faire Steuergesetzgebung, vor
allem über faire Unternehmenssteuern zu sprechen.
Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) bedauerte, dass die EU nach dem Scheitern in der Verfassungsfrage nun
offensichtlich auch im zweiten zentralen Bereich, nämlich in der finanziellen Vorausschau, keine Einigung
finden wird. Das wertete er als ein klares Zeichen dafür, dass die EU nun gefordert sei, grundsätzliche
Überlegungen zu einer Neuausrichtung anzustellen, und diese könne nur in Richtung der Konsolidierung
des Status quo gehen. Man könne nicht unvollständig dastehen und neue Ruinen dazukaufen, so Bösch.
Bösch ging davon aus, dass man auch in der Finanzierungsfrage verschiedene Geschwindigkeiten akzeptieren werden
müsse, und zwar als eine, wie er sagte, ganz natürliche Weiterentwicklung der Unionspolitik.
Sein Klubkollege Anton Wattaul forderte eine europäische Wirtschaftspolitik ein, um den Arbeitsmarkt zu schützen.
Auch Abgeordneter Peter Pilz (G) sah die EU in einer Krise, was seines Erachtens ein Hinweis darauf ist, dass es
in der EU nur eine mangelnde Demokratie gebe, Bürgerrechte und Ökologie zu wenig beachtet werden und
die Sozialunion kaum entwickelt sei. Die Frage sei nun, ob man eine Freihandelszone mit bestimmten Elementen politischer
Institutionen bleiben wolle, oder sich zu einem politischen, und damit auch demokratiepolitischen Gemeinwesen weiterentwickeln
wolle. Er kritisierte, dass man bei der finanziellen Vorausschau zu sehr auf die nationale Karte setze und dabei
völlig unsachgemäß über Bagatellbeträge streite. Es wäre daher höchst an der
Zeit, in der österreichischen Ratspräsidentschaft klare Perspektiven zu setzen, und eine hohe Qualität
der europäischen Gesetzgebung und Verwaltung durch eine ausreichende Finanzierung zu gewährleisten.
Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) schloss sich dem an und ortete im Streit um ein Finanzierungskonzept das Fehlen
einer Strategie, vor allem in ökologischer und sozialer Hinsicht. Die Lippenbekenntnisse der EuropapolitikerInnen
stünden in krassem Widerspruch zur praktischen EU-Politik, sagte er. Er wünsche sich, die Diskussion
über die so genannte "Tobin Tax" und einen globalen Marshall-Plan wieder aufzunehmen. Den Antrag
der SPÖ hielt er in vielen Punkten für überholt und teilte die Einschätzung des Bundeskanzlers
bezüglich des britischen Vorschlags zur ländlichen Entwicklung.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel unterstrich nochmals, dass in der finanziellen Vorausschau "der Hut brenne".
Die Kritik, die Regierungschefs dächten nur national und nicht europäisch, treffe auf ihn nicht zu. Er
habe immer versucht, an das Ganze zu denken, gleichzeitig aber legitime österreichische Interessen zu verteidigen.
Selbstverständlich sei eine Union der 25 teurer, sagte Schüssel, und Österreich habe als eines der
reichsten Länder auch mehr Lasten zu tragen. Die Fairness unter den Staaten müsse jedoch gewährleistet
bleiben. Daher seien Sonderregelungen wie der Briten-Rabatt für ihn unverständlich, denn Großbritannien
habe sich besonders für die Erweiterung eingesetzt und wolle sich nun nicht an den Kosten beteiligen. Daher
bedürfe es klarer Worte, gleichzeitig erfordere das Einstimmigkeitsprinzip auch, aufeinander zuzugehen. Was
Forschung und Entwicklung betrifft, so sprach sich der Bundeskanzler dafür aus, dass jedes Land jährlich
ein Zehntel Prozent mehr dafür ausgeben sollte, das wären 100 Mrd. € jährlich mehr für die
Forschung und wäre bedeutend mehr als zusätzliche 10 bis 20 Mrd. € mehr im EU-Budget.
Was die europäische Verfassung betrifft, so hielt Schüssel die inhaltliche Debatte für dringend
erforderlich, wofür man sich auch Zeit nehmen sollte. Eine endgültige Entscheidung über das weitere
Vorgehen erwartet sich der Bundeskanzler während der österreichischen Präsidentschaft nicht. Wahrscheinlich
werde man im nächsten Halbjahr eine so genannte Road-Map entwickeln, sagte er.
CIA-Überflüge und mögliche Geheimgefängnisse: Opposition kritisert Schüssel
Von der Opposition wurden auch die CIA-Überflüge und die möglichen Geheimgefängnisse in Europa
thematisiert. Abgeordneter Josef Cap (S) kritisierte den Bundeskanzler scharf, dieser habe Präsident Bush
gegenüber "ängstlich" gewirkt. Als künftiger Ratspräsident wäre es seine Pflicht
gewesen, dieses Thema klar anzusprechen, zumal die EU eine Wertegemeinschaft sei, sagte Cap.
Ähnlich die Kritik des Abgeordneten Peter Pilz (G), der meinte, hier gehe es um eine Nagelprobe, nämlich
darum, ob Europa einig und selbstbewusst die Fundamente der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte und der Demokratie
auch gegenüber Bedrohungen von außen schütze. Schüssel sei aber nicht in der Lage gewesen,
diese Prinzipien klar gegenüber seinem amerikanischen Gastgeber zu vertreten und habe einen "blamablen
politischen Auftritt" geliefert. Er habe bedauerlicher Weise keinerlei politische Erklärung abgegeben,
dass die Verletzung dieser Prinzipien und auch der strafrechtlichen Normen in keinem Fall geduldet würden.
Der Europarat, der sich auf die Arbeit von Human Rights Watch stützt, habe erklärt, die Verdachtsmomente
in der CIA-Affäre würden sich erhärten. Die transatlantische Zusammenarbeit könne nur dann
funktionieren, sagte Pilz, wenn Menschenrechte und Verfassung respektiert werden.
Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) hielt aus seiner Sicht fest, die EU habe ihr Verhältnis den USA
gegenüber zu überprüfen. Es sei legitim, die Vorfälle genau zu prüfen, und der Bundeskanzler
habe auch klar darzulegen, dass die EU über die von den USA gewählte Vorgangsweise eine andere Ansicht
hat. Selbstverständlich habe man Maßnahmen gegen den Terrorismus zu setzen, diese müssten aber
völkerrechtlich gedeckt sein.
Abgeordneter Michael Spindelegger verteidigte den Bundeskanzler und meinte, der Besuch bei Präsident Bush
habe eine wichtige Klarstellung durch die USA gebracht. Dies sei auch von Bundespräsident Fischer so interpretiert
worden. Es gebe viele Spekulationen, sagte Spindelegger, konkrete Vorwürfe sei man bislang schuldig geblieben.
In Österreich bestehe Konsens darüber, jegliche Art von Folter, jede menschliche Misshandlung und Menschenrechtsverletzung
strikt zu verurteilen, und in diesem Sinne hätten auch alle vier Parlamentsparteien am 11. November dieses
Jahres einen gemeinsamen Entschließungsantrag verabschiedet.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel betonte, er habe alles Notwendige angesprochen und vertraue der amerikanischen
Demokratie. Der Fall von 2003 habe nichts mit der aktuellen Geschichte zu tun, sondern sei ordnungsgemäß
angemeldet geworden. Die Zivilfirma habe aber nicht gewusst, dass man eine diplomatische Clearance benötige,
und das sei ein administratives Fehlverhalten gewesen, wofür sich die USA auch entschuldigt haben. Grundsätzlich
hielt Schüssel die Arbeit von Geheimdiensten für wichtig, da diese bereits viele Anschläge verhindert
hätten. Europa müsse gemeinsam mit Amerika gegen den Terrorismus vorgehen, denn man habe es mit einem
völlig neuen Bedrohungsbild zu tun, auf das man sich im Rahmen der Rechtsordnung einstellen müsse.
Nachdem der Bundeskanzler von Abgeordnetem Einem auf die Dienstleistungsrichtlinie und seine Aussage vom 24. Oktober
in London angesprochen worden war, bestätigte der Bundeskanzler, dass er zu diesen Aussagen stehe und für
die Einbeziehung der Sozialpartner eintrete.
Kandidatenstatus für Mazedonien?
Außenministerin Ursula Plassnik berichtete, dass die Europäische Kommission beabsichtige, Mazedonien
den Kandidatenstatus zu gewähren, ohne aber ein konkretes Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen
zu nennen. Dies werde von Österreich unterstützt, sagte sie, da der Balkan eine große Bedeutung
für die Stabilität Europas habe. Es gehe darum, eine richtige Balance zwischen Ermutigung und Ansporn
zu finden und die Länder des Westbalkans schrittweise an die EU heranzuführen.
Abgeordneter Caspar Einem (S) teilte zwar prinzipiell die Auffassung, dem Westbalkan eine Beitrittsperspektive
geben zu müssen, hinsichtlich der hohen Arbeitslosigkeit und der Skepsis der Bevölkerung der Erweiterung
gegenüber, sei die Kommission seiner Meinung nach nicht gut beraten, mit einem neuen Erweiterungsvorschlag
aufzuwarten.
Die Außenministerin verteidigte den Plan der Kommission und meinte, zu strategischen Überlegungen gehöre
auch die Rolle der EU in Europa selbst, insbesondere auch auf dem Balkan. Sie teile nicht den "Einfrierungs-Approach"
der SPÖ. Plassnik wies darauf hin, dass auch das Vertrauen in das rechtsstaatliche Vorgehen Kroatiens gerechtfertigt
gewesen sei. Europa ohne Grenzen könne und werde es nicht geben, aber die Staaten des westlichen Balkans seien
Europa und daher an die EU heranzuführen. Mazedonien stelle überdies ein Erfolgsprojekt in dieser Region
dar. Bundeskanzler Schüssel wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Österreich von der Erweiterung
enorm profitiert habe und die Exporte in die neuen Länder um 1,5 Mrd. € habe steigern können. Auch in
Rumänien und Bulgarien sei Österreich der größte Investor, und daher habe man in der Erweiterung
auch eine strategische Chance zu sehen.
Die weitere Diskussion
In der zweiten Diskussionsrunde zeigte sich Abgeordneter Werner Fasslabend (V) von den Ausführungen des SPÖ-Klubobmanns
Cap persönlich betroffen. Gerade dem Bundeskanzler, der sich in den verschiedensten Bereichen stark für
Menschenrechtsfragen einsetze, auf eine "kleinliche Art an das Bein zu pinkeln", sei seiner Auffassung
nach wirklich beschämend. Angesichts der schwierigen Phase, in der sich die EU momentan befinde, sollte im
Hauptausschuss eine andere Art von Diskussion geführt werden. Österreich übernehme zum zweiten Mal
den Vorsitz in der Union und habe die Chance, tatsächlich einzugreifen und Weichenstellungen vorzunehmen.
Es gelte nun, einen neuen Schwung in die EU hineinzubringen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen
wieder aufzubauen. Eine baldige Lösung wünschte er sich auch in der Frage der Dienstleistungsrichtlinie.
Hier habe Europa eine der wenigen "endogenen Möglichkeiten", um die Wirtschaft im Binnenmarktraum
anzukurbeln, war der Redner überzeugt. Für wichtig erachtete es Fasslabend - ebenso wie sein Fraktionskollege
Franz Eßl - dass die Mittel für die ländliche Entwicklung abgesichert werden, weil damit auch die
europäische Lebensart eng verbunden sei.
Abgeordneter Peter Pilz (G) ging noch einmal auf die außen- und sicherheitspolitischen Schwerpunkte der kommenden
österreichischen Präsidentschaft ein und kritisierte in diesem Zusammenhang, dass kein einzig wirklich
neues Projekt geplant sei. Was Südosteuropa und vor allem den Kosovo anbelangt, so hätte Österreich
als Nicht-Nato-Mitglied die Möglichkeit, sich für eine gemeinsame europäische Führung einzusetzen.
Bezüglich der Aussage von Schüssel zum angesprochenen CIA-Flug beharrte der G-Mandatar auf seiner Meinung,
dass dieser sehr wohl illegal war; dies könne auch in den Listen der Human Rights Watch-Organisation nachgelesen
werden.
Er höre es gern, wenn sich der SPÖ-Mandatar Einem heute für mehr Mittel für die Landwirtschaft
ausspricht, aber der vorliegende Antrag gehe in eine andere Richtung, erklärte Abgeordneter Fritz Grillitsch
(V). Außerdem gebe es Aussagen von Vertretern der SPÖ, wo eine Kürzung der Agrargelder um 50 %
gefordert werde. Man solle sich vor Augen halten, dass derzeit nur 0,4 % der Budgets für die Landwirtschaft
ausgegeben werden. Wenn man auch diesen Betrag noch kürzen wolle, dann hätte dies nicht nur sehr negative
Auswirkungen für die Bauern, sondern auch für die Konsumenten, warnte Grillitsch.
Er halte es für legitim, darüber zu diskutieren, ob die Mittel für die Landwirtschaft effizient
eingesetzt werden und ob sie wirklich ihr Ziel erreichen, hielt Abgeordneter Josef Cap (S) seinem Vorredner entgegen.
Derjenige sei der wahre Vertreter der Bauern, der sich dafür einsetze, dass das Geld die kleinen Landwirte,
die Biobauern etc. und nicht die agro-industriellen Komplexe bekommen, meinte er. Auch in der Frage des Beitritts
der Westbalkanländer, die, langfristig gesehen, sicher einmal der EU angehören werden, mache es Sinn
zu hinterfragen, zu welchem Zeitpunkt einem Land der Beitrittskandidatenstatus verliehen werden soll und ob die
Aufnahmefähigkeit der EU dies zulasse. Generell vermisste Cap ein "Gestaltungskonzept" von Seiten
der österreichischen Bundesregierung. Es sei nicht klar, wie die Außenpolitik in dieser Frage genau
aussehe und wo die Grenzen des Erweiterungsprozesses liegen.
Abgeordnete Petra Bayr (S) erkundigte sich nach der Afrikastrategie der EU. Insbesondere interessierte sie sich
dafür, ob darin auch die Richtlinie zur Entwicklungszusammenarbeit der Kommission vom 22. November einfließen
werde und ob ein eigenes multilaterales Finanzierungsinstrument der EU geplant sei.
Abgeordneter Anton Wattaul (F) gab zu bedenken, dass sich die meisten Bürger unter Ausdrücken wie "Lissabonstrategie"
nichts vorstellen können. Wenn man die EU den Menschen näher bringen wolle, dann sollte man aussagekräftigere
und verständlichere Ausdrücke verwenden, plädierte er.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel stimmte mit Abgeordnetem Wattaul darin überein, dass Begriffe wie "Lissabonstrategie"
wirklich kein Mensch verstehe. Es wurde schon öfters darüber diskutiert und er hoffe, dass in dieser
Frage einmal eine Lösung gefunden wird.
Was den Bereich Landwirtschaft angeht, so seien in der letzten Zeit einige spektakuläre Umstrukturierungen
vorgenommen worden, zeigte Schüssel auf. So sei die "klassische Landwirtschaft" um 8 Mrd. € (minus
5 %) gekürzt worden; diese Mittel seien von der ersten Säule in die zweite Säule umgeschichtet worden.
Im Gegensatz dazu habe man die Forschungsgelder massiv erhöht, es gebe jährliche Steigerungsraten von
7,5 %, hob der Bundeskanzler hervor.
Für ein äußerst negatives Signal würde er es erachten, wenn man Mazedonien den Kandidatenstatus
verweigere, führte der Bundeskanzler weiter aus. Gerade dieses Land, wo unter EU-Führung ein möglicher
Bürgerkrieg verhindert werden konnte, sollte wenigstens mit einer europäischen Perspektive belohnt werden.
Das sei nicht nur für Mazedonien, sondern für die gesamte Region von großer Bedeutung, war er überzeugt.
Was einen späteren Beitritt betrifft, so denke er, dass angesichts von knapp zwei Millionen Einwohnern die
Frage der Aufnahmefähigkeit der Union nicht das größte Problem darstellen wird. |