EU-Präsidentschaft im Fokus des Nationalrats  

erstellt am
22. 12. 05

Erklärung des Bundeskanzlers und Debatte
Wien (pk) - Die österreichische EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 war das zentrale Thema der Sitzung des Nationalrats am Mittwoch (21. 12.). An der Spitze der Tagesordnung stand eine Erklärung des Bundeskanzlers, an die eine Debatte anschloss.

In seiner Erklärung betonte Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL die Bedeutung der Einigung über das EU-Budget. Erstmals hätten 25 Staaten gemeinsam einen Kompromiss zum Finanzrahmen gefunden, was Planungssicherheit bis 2013 bedeute und die Handlungsfähigkeit der Union unterstreiche. Damit könne die Wiedervereinigung Europas abgesichert und fortgesetzt werden, Solidarität und faire Beteiligung an den Kosten der Erweiterung seien damit fixiert worden, sagte der Bundeskanzler. Die Forderung Österreichs nach einem "fair share" anlässlich der Diskussion um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seien nun Wirklichkeit geworden, denn mit der Verringerung des Britenrabatts um 10,5 Mrd. Euro würde Großbritannien 2013 100 % der Erweiterungskosten mittragen, abgerechnet die Kosten der Landwirtschaft. Das stellt laut Schüssel einen bleibenden Durchbruch dar.

Schüssel zeigte sich auch überzeugt davon, dass Europa moderner und wettbewerbsfähiger wird, zumal die Ausgaben für Forschung um 75 % steigen und die europäische Investitionsbank zusätzlich 10 Mrd. Euro zuschießt. Die Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raumes werden um 76 % steigen, informierte der Regierungschef, womit das europäische Lebensmodell mit seinen Eckpunkte gewahrt bleibe. Wenn auch die europäische Agrarpolitik reformiert gehöre, insbesondere durch Einbeziehung von Obergrenzen, so sichere es gesunde Nahrungsmittel und die Erhaltung des ländlichen Raumes.

Der Ausgabenrahmen für das EU-Budget sei auf 862 Mrd. Euro leicht angehoben worden, sagte Schüssel, es bleibe aber ein sparsames Budget. Die Zahlungen für Österreich lägen damit knapp unter 1 % der Wirtschaftsleistung, und das seien 140 Mrd. Euro weniger als die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte. Der Ausgabenrahmen gewährleiste dennoch die ausreichende Finanzierung der neuen Mitgliedsstaaten, so Schüssel. Sie werden rund 35 Mrd. Euro aus dem Budget erhalten, und das sei als ein gewaltiges europäisches Aufbauprogramm im Ausmaß des doppelten Volumens des ehemaligen Marshall-Plans für ganz Europa zu bewerten. Österreich profitiere von diesem Aufschwung enorm, da es Güter von rund 12 Mrd. Euro in die zehn neuen Mitgliedstaaten liefere und dort über einen Marktanteil von ca. 5 % verfüge. Die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS hätten auch herausgearbeitet, dass Österreich einen großen Anteil am Wirtschaftswachstum dieser Staaten lukrieren könne. Man rechne mit rund 1 Mrd. Euro, was dem Nettobeitrag entspreche. Österreichs Zahlungen in das EU-Budget seien daher eine sinnvolle Investition, sagte Schüssel.

Der Bundeskanzler ging in weiterer Folge auf die für Österreich positiven Aspekte des Budgets ein und unterstrich, dass die Rückflüsse für den ländlichen Raum von rund 3,1 Mrd. Euro praktisch ungekürzt blieben. Mit diesem, wie er es ausdrückte, europäischen Mittelstands-Programm würden unter anderem Umweltförderung, Berghüttenprogramme und andere touristische Projekte unterstützt. Da Österreichs Grenzregionen durch die bisherige Strukturförderung einen großen Aufschwung verbuchen konnten, würden diese Förderungen selbstverständlich geringer werden. Man habe aber eine Kompensation durch ein eigenes Grenzlandprogramm von 240 Mill. Euro erreichen können.

Im Hinblick auf die beachtliche Steigerung der Forschungsförderung merkte Schüssel an, dass man bisher noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe und die Bundesregierung Überlegungen anstelle, wie die Koordination optimiert werden könne. Grundsätzlich sei es möglich, aus diesem Titel rund 800 Mill. Euro bis 900 Mill.Euro zu erhalten. Der Bundeskanzler betonte auch, dass von den 30 Spitzenprojekten im Rahmen der transeuropäischen Netze 5 Projekte Österreich zugute kommen.

Schüssel verteidigte die Budgeteinigung und meinte, es gehe darum, fair und ehrlich miteinander umzugehen. Es seien fast alle österreichischen Parteien für die Erweiterung gewesen, und eine Rechnung, wo man weniger einzahle und mehr heraushole, sei nicht möglich. Er räumte ein, dass man mit einem Prozent der Wirtschaftsleistungen aller Staaten kein europäisches Budget erreichen könne, das auch die Probleme auf dem Arbeitsmarkt und im Forschungssektor löse. Das seien in erster Linie nationalstaatliche Aufgaben. Aber es sei notwendig, die Eigenmittel der Union, die auf ca. 10 % geschrumpft seien, zu stärken. Er habe daher während der österreichischen Präsidentschaft vor, diesem Thema einen Schwerpunkt zu widmen und die Sozialpartner zu einem Dialog mit den Mitgliedstaaten aufzufordern. Die Eigenmittelausstattung der Union müsse auch deshalb verbessert werden, da aus seiner Sicht eine Einigung der künftig 27 über ein Budget, das zum größten Teil aus nationalen Mitteln gespeist werde, kaum mehr möglich sein werde. Er habe in dieser Frage auch bereits bei den anderen Regierungschefs mehr Bewegung geortet.

Alles in allem sei daher der Kompromiss ein guter für Europa, sagte Schüssel und wies darauf hin, dass das nun vorliegende Verhandlungsergebnis besser sei als der Luxemburgische Vorschlag vom Sommer dieses Jahres, dem aber alle Parteien zugestimmt hätten.

Als Arbeitsschwerpunkte während der österreichischen Präsidentschaft nannte der Bundeskanzler folgende Punkte: die Umsetzung des Finanzkompromisses mit der Kommission und dem Europäischen Parlament; einen Frühjahrsgipfel zu Wachstum und Beschäftigung; die Beschäftigung mit dem 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung, wo man neue Akzente im Bereich der Gesundheitsforschung setzen wolle; die Frage der gemeinsamen Sicherheit, insbesondere die Zusammenarbeit im Krisenmanagement, die Stärkung der Friedensmacht Europas und die Zusammenarbeit im konsularischen Bereich. Schüssel maß auch dem Balkan eine besondere Bedeutung bei und unterstrich, wie sehr das politische Engagement mit den strategischen und wirtschaftlichen Interessen verbunden sei. Auch die Verfassungsdiskussion stelle einen weiteren Schwerpunkt dar, so Schüssel, wobei man mit der Kampagne "Europa hört zu" näher an die Menschen gehen wolle. Darüber hinaus kündigte er eine Subsidiaritätskonferenz nach Ostern an. Die österreichische Präsidentschaft werde sich bemühen, die Rolle eines ehrlichen Maklers und Vermittlers zu erfüllen, meinte Schüssel abschließend.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) meinte, offensichtlich gebe es über den Gipfel der Staats- und Regierungschefs unterschiedliche Wahrnehmungen und zitierte negative Schlagzeilen aus der internationalen Presse. Vor allem kritisierte Gusenbauer, dass die Budgeteinigung nichts an der bisherigen Ausgabenstruktur geändert habe. So würden 52 % der Agrarsubventionen 6 % der Agrarbetriebe zugute kommen, 53 % der kleinen europäischen Landwirte bekämen nur 4 % aus diesem Topf. So sehe seiner Meinung nach Gerechtigkeit nicht aus, meinte Gusenbauer.

Er gab zu, dass die Erweiterung der Union zusätzliche Finanzmittel beanspruche, die Bereitschaft zur Solidarität könne es aber nur bei einer fairen Verteilung geben. ArbeiterInnen zahlten beispielsweise dreimal so viel für die europäische Erweiterung als englische Adelige. Europa brauche daher einen Kurswechsel, um aus der Sinnkrise herauszukommen, sagte Gusenbauer. Die soziale Schieflage in Europa müsse korrigiert werden, es bedürfe endlich wirksamer Maßnahmen gegen das Steuerdumping und fairer Arbeitsbedingungen. Der SP-Klubobmann forderte auch eine europäische Lösung in der Frage des Hochschulzuganges.

Die Denkpause zum Verfassungsvertrag sollte man dazu nützen, neue Ideen einzubringen, meinte er und betonte abermals die Notwendigkeit eines Richtungswechsels in Richtung einer Sozialunion. Die Herausforderungen werde man nur bewältigen können, wenn man endlich effiziente Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung schaffe und die Entscheidungen transparent mache. "Neben Freiheit braucht Europa auch Gerechtigkeit", schloss Gusenbauer.

Abgeordneter Mag. MOLTERER (V) warf seinem Vorredner "billigen Populismus" vor. Während der Bundeskanzler Verantwortung trage, flüchte sich in einer wichtigen Phase die ehemals staatstragende Partei SPÖ in puren Populismus. In anderen Ländern werde die Ratspräsidentschaft als eine nationale Aufgabe verstanden, die SPÖ habe aber das Angebot zur Mitwirkung abgelehnt. Molterer hegte auch die Befürchtung, die Gewerkschaft könne die Präsidentschaft dazu missbrauchen, um Stimmung zu machen.

Österreich sei auf die Präsidentschaft gut vorbereitet, merkte Molterer an, und das sei auch vom ehemaligen Bundeskanzler Vranitzky, von der EU-Abgeordneten Maria Berger und von Bundespräsident Fischer bestätigt worden. Selbstverständlich, so Molterer, müsse man heikle Fragen offensiv angehen. Dazu gehörten Initiativen für Wachstum und Beschäftigung, insbesondere im Bereich der Klein- und Mittelbetriebe, dazu gehörten aber auch Akzentsetzungen im Rahmen der Sicherheitskooperation und einer Neudefinition des Subsidiaritätsprinzips.

Für Molterer stellt die Finanzeinigung ein faires Ergebnis dar, das eine solide Zukunftsgrundlage für die EU und Österreich biete. Auch der Bundespräsident habe den Kompromiss als "angemessen" bezeichnet. Ein jährlicher Nettobeitrag von 860 Mill. Euro pro Jahr bedeuteten für jede Person 9 Euro pro Monat oder 30 Cent pro Tag, und das sei für Frieden, Sicherheit und Wohlstand nicht zuviel. Als Vergleich führte Molterer die Mittel für die Wohnbauförderung in der Höhe von 2,5 Mrd. Euro und jene für die ÖBB mit 4,4 Mrd. Euro an. Molterer zeigte sich auch zufrieden über die Sicherung der Mittel für die ländliche Entwicklung, die Tony Blair ursprünglich um 40 % kürzen wollte. Er kritisierte in diesem Zusammenhang die SPÖ, die eine Reduktion um 50 % vorgeschlagen hatte, was besonders den Mittelstand und die Bergbauern getroffen hätte. Damit dokumentiere die SPÖ ihre Doppelzüngigkeit, sagte Molterer und zitierte ein SP-Schreiben aus dem Burgenland, worin man sich für mehr Zuwanderung aussprach.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) bezeichnete die Ergebnisse der Beratungen über das europäische Budget als einen tragbaren Kompromiss, mit dem man leben werde können. Der österreichische Bruttobeitrag zum EU-Budget sei akzeptabel, ein Echauffieren über dessen Höhe sei vollkommen unangebracht, er gehe sogar davon aus, dass dieser Beitrag vielleicht noch zu niedrig sei, denn wer eine erweiterte Union wolle, der müsse sich darüber im Klaren sein, dass dies eben auch etwas koste. Immerhin sei Österreich eines der reichsten Länder in der EU, und dieser Umstand bringe eben auch Verantwortung mit sich, zumal Österreich von dieser Erweiterung ja auch entsprechend profitiere.

Beklagenswert sei aber, dass man ein halbes Jahr gebraucht habe, um diesen Kompromiss zu erzielen, was kein gutes Licht auf Europa werfe. Er hoffe, dass die österreichische Präsidentschaft Angebote mache, die für das Europäische Parlament interessant sind, um das Projekt Europa voranzubringen. Hier habe er aber bislang noch recht wenig gehört, was diesbezügliche Pläne der Regierung anbelange. Gefordert sei die österreichische Präsidentschaft auch auf außenpolitischem Gebiet, brauche es doch Antworten auf das untragbare Verhalten der USA in menschenrechtlicher Hinsicht.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) forderte von der Opposition ein, sie möge Ideen und Initiativen in die Präsidentschaft einbringen, denn diese bedeute Verantwortung für das gesamte Land. Der Budgetentwurf der EU sei ein durchaus guter Kompromiss, mit dem man leben könne, zumal, wenn man die diesbezüglichen Kosten mit den Kosten jener Länder vergleiche, die nicht der Union angehörten.

Darüber hinaus habe der Gipfel jedoch keine Erfolge erzielt. Europa stecke nach wie vor in einer tiefen Krise, die man nicht übersehen dürfe. Gesundbeten oder Wegschauen seien die falschen Strategien, vielmehr sei es notwendig, Wege aus dieser Krise zu finden. Man habe in der Vergangenheit Fehler gemacht, die nun korrigiert werden müssten. Es brauche konstruktive Lösungen, die nur in neuen Ansätzen bestehen könnten. Europa brauche mehr Bürgernähe und müsse sich dem demokratischen Willen stellen, zudem sei eine verständliche Sprache vonnöten. Auch müsse man sich überlegen, wo die Grenzen dieser Union liegen sollen und gegebenenfalls interessante Alternativen für jene Staaten entwickeln, die noch nicht Mitglied der Union werden können. Schließlich setzte sich der Redner mit europäischen Sicherheitsfragen auseinander.

Vizekanzler GORBACH zeigte sich froh darüber, dass eine Einigung zustande kam, weil damit Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt wurde. Dies stärke das Vertrauen der Bürger in die Union, und so sollte auch für die österreichische Präsidentschaft das Ziel sein, den Bürgern zu signalisieren, dass in Europa "etwas weitergeht". Sodann äußerte sich das Regierungsmitglied über aktuelle Tendenzen in der Forschungs- und Entwicklungspolitik, wo der Redner für Österreich optimistische Perspektiven ortete. Man dürfe bei aller Kritik auf das Positive nicht vergessen, mahnte Gorbach. Die österreichische Regierung werde jedenfalls keine Anstrengungen unversucht lassen, dem europäischen Projekt zu neuen Erfolgen zu verhelfen, schloss der Vizekanzler.

Abgeordneter Dr. CAP (S) vermisste politische Markierungen im Bericht des Bundeskanzlers, was die Frage stelle, welche politische Rolle der Kanzler im nächsten halben Jahr einnehmen wolle. Es gebe in der EU 30 Millionen Arbeitslose, doch das komme in der Rede des Kanzlers ebenso wenig vor wie irgendwelche Vorschläge zu Arbeits- und Sozialpolitik. Der Kanzler möge die Sorge und Nöte der Bürger zur Kenntnis nehmen und seine Politik auf die Bedürfnisse der Menschen abstellen, forderte Cap.

Nicht umsonst spreche der Kanzler nicht mehr von einem europäischen Sozialmodell, von einer "Sozialunion", vielmehr gehe es offenbar darum, gemäß dem Neoliberalismus den Schröpfkurs der letzten Jahre fortzusetzen, beklagte Cap. Es brauche mehr Verteilungsgerechtigkeit, und das gelte auch für die Landwirtschaft. Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit müssten Mittelpunkt der Politik sein, monierte der Redner. Der Kanzler solle Stellung beziehen und seine Pläne offen darlegen, schloss Cap.

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) bezeichnete den Budgetkompromiss als ein Signal der Handlungsfähigkeit der Union. Österreichs Beitrag dazu sein angemessen, er teile in dieser Hinsicht die Einschätzungen des Bundespräsidenten zu diesem Thema, zumal Fischer gesagt habe, die Interessen Österreichs seien sehr gut vertreten worden.

Hinsichtlich der österreichischen Präsidentschaft gebe es allgemein hohe Erwartungen, man müsse dabei aber am Boden der Realität bleiben. Die Mitglieder der Regierung seien keine Zauberkünstler, sie werden aber wichtige Impulse einbringen und gerade auf arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischem Gebiet entsprechende Schwerpunkte setzen, die Vorbildwirkung für Europa haben werden, zeigte sich der Redner überzeugt.
   

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) meinte, sie könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass nach Meinung der Regierung der einzige Sinn und Zweck der EU in einer Wirtschaftsunion bestehe. Doch die EU sei nicht allein ein Wirtschaftsprojekt, es sei auch ein soziales, ökologisches und kulturelles Projekt, in dem es um Frieden und Menschenrechte gehe. Vor diesem Hintergrund vermisse sie entsprechende Initiativen der Regierung, vor allem in Osteuropa, wo man etwa den Jugendlichen erst vermitteln müsse, was Europa überhaupt bedeuten solle. In diesem Zusammenhang forderte die Rednerin eine Abschaffung der Visapflicht für Jugendliche und Studierende.

Eine europaweite Einführung einer Devisentransaktionssteuer wäre eine weitere wichtige Initiative, meinte die Rednerin, die diesbezüglich auch einen eigenen Entschließungsantrag einbrachte. Zudem sollten die Menschenrechte Kern der Politik der EU sein, den man gegenüber den USA und Russland stets offensiv vertreten solle.

Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) hielt fest, dass der Beitrag Österreichs erheblich höher als bisher sei, während der Rückfluss gleich bleibe. Ob dies ein Vorteil für Österreich sei, müsse sich erst noch herausstellen. Niemand werde etwas gegen die EU haben, wenn dort eine vernünftige Politik mit Hausverstand gemacht werde. Dies sei gegenwärtig nicht der Fall, weshalb eine grundlegende Änderung der Politik der Union in wichtigen Fragen erforderlich sei, und darin bestehe die Aufgabe der österreichischen Präsidentschaft. Es gebe viele Herausforderungen, denen man sich stellen müsse. Die begangenen Fehler dürften nicht wiederholt werden, vielmehr brauche es ein bürgernahes Europa, das die Bedürfnisse der Bürger Ernst nimmt und danach handelt. Europa müsse ein Europa der Völker und der Bürger werden, meinte Bösch, der sich schließlich für eine Konsolidierungsphase in der EU aussprach, ehe man über weitere Erweiterungsschritte nachdenke. Besondere Probleme sah Bösch hinsichtlich eines Beitritts der Türkei. Es sei legitim, im Fall der Türkei die "Stopp-Taste" zu drücken, wenn dort zum Beispiel "Demonstrationen niedergeknüppelt" oder Schriftsteller vor Gericht gestellt werden, nur weil sie öffentlich ihre Meinung sagen. Der Bundeskanzler müsse daher im nächsten Halbjahr alles daran setzen sicherstellen, dass es nicht zu Verhandlungen über den Beitritt der Türkei kommt, forderte Bösch. Außerdem müssten zu all diesen Fragen nationale Volksabstimmungen durchgeführt werden.

Bundesministerin Dr. PLASSNIK stellte hinsichtlich der Beratungen über die EU-Finanzvorschau zunächst klar, dass sich Schüssel immer "im Kern des Verhandlungsteams eingebracht" hat. Mit dem neuen Budget sei es wirklich gelungen, die beiden Komponenten Solidarität und Sparsamkeit miteinander in Einklang zu bringen. Nun gehe es darum, die interinstitutionelle Vereinbarung mit dem Europäischen Parlament herzustellen. Insgesamt müssen 40 Umsetzungsverordnungen ausgearbeitet werden, damit die Staaten rechtzeitig ihre Budgetmittel in Anspruch nehmen können.

Was den österreichischen EU-Vorsitz im nächsten Halbjahr angeht, so sei die "Ausgangslage sehr anspruchsvoll". Als primäres Ziel habe man sich gesetzt, das Vertrauen der Bürger in das wiedervereinte Europa zu gewinnen. Deshalb müsse es mehr Klarheit über den zukünftigen Kurs der EU in einer Reihe von wichtigen Punkten geben und mehr Schwung in die Wirtschaft gebracht werden. 2005 war eine Art "Dürre- oder Fastenjahr", räumte Plassnik ein, aber sie hoffe, dass Österreich dazu beitragen wird, einen Stimmungswechsel herzustellen. Natürlich könne Österreich kein Wunderheiler sein, denn es sei lächerlich zu glauben, dass ein einzelnes Land alle offenen und großen Fragen lösen kann. Dennoch war sie überzeugt davon, dass wichtige Impulse gesetzt werden können, damit im Team und in enger Kooperation mit den anderen Ländern Lösungen, zum Beispiel beim Thema Verfassungsvertrag, gefunden werden können. Österreich werde sich aber auch nicht hinter dem "Vorsitzsessel verstecken" und heimische Interessen vergessen; denn Erfolge für Europa sind auch Erfolge für Österreich, unterstrich die Ressortchefin.

Eine sehr gute Zusammenarbeit gebe es mit dem finnischen Vorsitzteam, führte Plassnik weiter aus, es wurde bereits ein 58 Seiten umfassendes Arbeitsprogramm erstellt. Die Schwerpunkte reichen dabei von einer Anti-Bürokratisierungsinitiative, der Verbesserung des Verbraucherschutzes, Programmen für die Gesundheit von Frauen bis zu Erhaltung der biologischen Vielfalt. Der Abgeordneten Lunacek gegenüber stellte sie klar, dass sie sich sehr wohl für die nun gefundene Regelung bezüglich Mazedonien eingesetzt habe. Es war nicht einfach, aber schließlich habe man eine vernünftige und maßvolle Lösung erreicht, von der ein Signal der Ermutigung ausgeht. Mazedonien wurde der Kandidatenstatus zugestanden, ohne dass damit aber ein Datum für die Aufnahme von Verhandlungen verbunden ist. Generell sei die Region Südosteuropa ein zentrales Anliegen von Österreich, stellte die Außenministerin mit Nachdruck fest. Ein weiterer außenpolitischer Schwerpunkt sei der Schutz der Bürger; hier werde noch viel zu leisten sein.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) drückte zunächst seinen Respekt gegenüber dem großen Engagement der Außenministerin in europäischen Angelegenheiten aus. Er habe allerdings den Eindruck, dass die Regierung noch nicht wirklich verstanden habe, worin das eigentliche Problem besteht. Wenn man nämlich will, dass die Bürger wieder mehr Vertrauen in das europäische Projekt haben, dann sollte das Sozialmodell in Europa wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. Viele Bürger haben nämlich nicht das Gefühl, das sie fair behandelt werden. Sehr deutlich sehe man das etwa bei den Förderungen für die Landwirtschaft, wo die Großgrundbesitzer die Hälfte der Mittel bekommen, während die Masse der kleinen Bauern mit 4 % des Agrarbudgets abgespeist wird, zeigte Einem auf. Außerdem vermisse er, dass sich die Regierung für Mindeststandards für die Arbeitnehmer einsetzt.

Das Niveau der Reden der SPÖ-Mandatare sei "im Keller angelangt" und dies sei nicht akzeptabel, erklärte Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V). Er machte darauf aufmerksam, dass Bundeskanzler Schüssel in seiner Rede die Fragen der Beschäftigung und des Wirtschaftswachstums als oberste Ziele angeführt hat. Hinsichtlich der Finanzvorschau erinnerte Spindelegger daran, dass es im EU-Hauptausschuss intensive und wichtige Diskussionen mit dem Bundeskanzler und der Außenministerin gegeben hat. Abgeordneter Gusenbauer, der im Plenum immer große Reden zur EU hält, habe es aber niemals der Mühe wert gefunden, an diesen Ausschusssitzungen teilzunehmen. Er sei jedenfalls der Auffassung, dass ein tauglicher Kompromiss gefunden wurde, da die wesentlichen Forderungen von österreichischer Seite (EU-Beitrag, Förderung der ländlichen Entwicklung und der Grenzregionen, Reduktion des Britenrabatts) erfüllt werden konnten.

Abgeordneter Dr. PIRKLHUBER (G) wies auf die aktuelle Eurobarometer-Umfrage hin, die in ganz Europa eine deutliche Zunahme der Skepsis belege. Es sei daher kein Populismus, wenn man die Sorgen und Ängste der Bürger ernst nehme, hielt er seinem Vorredner entgegen. Bemerkenswert sei auch, dass sich fast zwei Drittel der Befragten einen Verfassungsvertrag, d.h. einen Ordnungsrahmen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, für notwendig erachten. Der Nationalstaat sei keine Lösung mehr für drängende Probleme wie etwa die steigende Arbeitslosigkeit oder ökologische Katastrophen, war Pirklhuber überzeugt. Deshalb sei es auch so wichtig, in welcher Weise sich Österreich im Rahmen der Ratspräsidentschaft einbringen wird. Es müssen ernsthafte Projekte angegangen werden, forderte er, denn "blumige Bekenntnisse" allein seien zu wenig. Neue Impulse erwarte er sich insbesondere hinsichtlich der erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes. Außerdem müsse ein klares Atomenergie-Ausstiegsszenario vorgelegt werden. Schließlich brachte er einen Antrag betreffend Verzicht auf Gentechniksaatgut und Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts der gentechnikfreien Regionen ein.

Abgeordneter DI SCHEUCH (F) befasste sich in seiner Wortmeldung schwerpunktmäßig mit dem Budgetkompromiss, dessen Ergebnis er eher kritisch betrachte. Er wolle aber nicht "in das populistische Horn der SPÖ hineinblasen", weil es sich dabei - ebenso wie im Fall der Umbenennung des Schwarzenegger-Stadions in Graz - um reine Parteipolemik handle. Richtig sei, dass der Britenrabatt um zwei Milliarden Euro reduziert wurde, räumte er ein. Aber es stimme auch, dass den Engländern noch immer 6 Milliarden Euro jährlich an Rabatt gewährt wird. Hier hätte man vielleicht mehr herausholen können, gab er zu bedenken. Was die Förderungen für die Landwirtschaft betrifft, so gehe es nicht nur um zugesagten Mittel, sondern es müssten gänzlich neue Ansätze gefunden werden.

Die Gewerkschaftsbewegung werde sich von keiner Partei oder Regierung daran hindern lassen, für ein soziales Europa einzutreten, stellte Abgeordneter VERZETNITSCH (S) gegenüber Klubobmann Molterer eingangs fest. Es könne nicht so sein, dass auf der einen Seite die großen Konzerne immer höhere Gewinnen machen, andererseits aber das Problem der Arbeitslosigkeit der Politik überlassen wird. Könne man wirklich von Wohlstand sprechen, wenn zurzeit 32 Millionen Menschen in Europa eine Arbeit suchen? Von der Industriellenvereinigung hört man wieder, dass Lohnkürzungen in Österreich unvermeidbar seien, kritisierte Verzetnitsch. Es sei auch nicht im Sinne der Arbeitnehmer, wenn man die Neuordnung der Dienstleistungen dafür benutzen möchte, keine einheitlichen Standards zu schaffen. Verzetnitsch brachte daher einen Entschließungsantrag ein, in dem gefordert wird, dass derzeitige Richtlinienentwurf zurückgezogen wird.

Abgeordneter Dr. GRILLITSCH (V) warf dem SPÖ-Vorsitzenden Gusenbauer, der ständig mit Vorschlägen hinsichtlich der Kürzung der Agrarmittel agiere, vor, "einen sehr schlechten Zugang" zum ländlichen Raum und den bäuerlichen Menschen zu haben. Es werde ihm sicher nicht gelingen, die Bauern auseinander zu dividieren. Außerdem gab er zu bedenken, die von Schüssel vorgeschlagene Betriebsgrößendegression bei den Marktordnungszahlungen von den Sozialdemokraten Schröder und Blair abgelehnt wurden. Österreich unterscheide sich zudem wesentlich von Europa, da im Inland bereits 40 % der Mittel für die zweite Säule, also für konkrete Projekte, eingesetzt werden. Ein von ihm eingebrachter Entschließungsantrag beinhaltete die Forderung, die Bundesregierung solle sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen soll, dass die EU-Kommission autonome Eigenmittelquellen, wie zum Beispiel eine Steuer auf Devisentransaktionen, prüfen soll.

Abgeordnete SBURNY (G) hielt es für inakzeptabel, dass jegliche EU-Kritik von Seiten der Opposition als "Miesmacherei" abgetan wird. Es sei legitim, wenn von der Bundesregierung verlangt wird, Arbeitsmarkt- und Umweltthemen sowie die Verfassungsfrage in das Zentrum der österreichischen Präsidentschaft zu stellen. Richtig sei, dass Österreich in erster Linie vom EU-Beitritt profitiere. Dennoch gehe es vielen Menschen schlechter als noch vor einigen Jahren, gab Sburny zu bedenken. Der Grund dafür sei, dass auf nationaler Ebene eine Umverteilungspolitik in die falsche Richtung betrieben wurde, merkte sie kritisch an. Sie frage sich auch, wie die FPÖ von der ÖVP als ernsthafter Koalitionspartner in Erwägung gezogen werden kann, zumal Strache ein EU-Austrittsvolksbegehren anstrengt.

Die heutige Debatte habe gezeigt, wie unterschiedlich die Vorstellungen der einzelnen Parteien über den zukünftigen Kurs der EU sind, erklärte Abgeordneter BUCHER (F). Nicht verständlich sei ihm die Haltung der SPÖ-Redner, die vor allem die Nettozahlungen und die Agrarförderungen kritisierten. Man solle dabei jedoch nicht vergessen, dass das EU-Budget der letzten sieben Jahre maßgeblich vom früheren Bundeskanzler Klima mitbestimmt wurde. Zudem müsse die SPÖ endlich einmal begreifen, dass es einen internationalen Wettbewerb gibt und nur ein starkes, geeintes Europa den Herausforderungen gewachsen ist. Wenn man bedenke, dass Österreich bereits die Hälfte des gesamten Umsatzes am EU-Markt mache, dann sei ein Anteil von 0,34 % angemessen. Bucher brachte noch eine Vier-Parteien-Antrag betreffend die antisemitischen Äußerungen des iranischen Präsidenten ein.

Bei der Abstimmung wurden der V-F-Entschließungsantrag betreffend Prüfung der Einführung einer Steuer auf Devisentransaktionen mehrheitlich und der Vierparteien-Antrag einstimmig angenommen; die Anträge der Opposition verfielen alle der Ablehnung.
     
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