Podiumsdiskussion im Wiener Haus der Industrie über den Beitrag der christlichen und jüdischen
Religion zu einem vereinten Europa
Wien (epd Ö) - Die anerkannten Kirchen in Europa haben eine "positive Einstellung"
zur europäischen Integration und wollen sich konstruktiv einbringen. Das bekräftigte der stellvertretende
Oberkirchenrat der Evangelisch-lutherischen Kirche, Hon.-Prof. Dr. Raoul Kneucker, bei einer Podiumsdiskussion
am Mittwoch (11. 01.) im Haus der Industrie in Wien. Die Politik sollte, so der frühere Sektionschef
im Wissenschaftsministerium, das Angebot der Kirchen nützen, gerade "wenn wir im März einem eigenartigen
Volksbegehren entgegengehen". Kneucker erinnerte an die rechtliche Fixierung und Anerkennung der religiösen
Pluralität in Europa. Durch die Zusammenarbeit bei Europafragen sei in den Kirchen ein "neuer ökumenischer
Geist" gewachsen. Die Kirchen hätten erlebt, dass Zusammenarbeit trotz der Differenzen möglich sei.
Zugleich hätten die Kirchen bemerkt, "dass sie nur dann Erfolg haben, wenn sie mit einer Stimme sprechen".
Krätzl: Geistliche Wurzeln entdecken
Europa werde leider oft auf ein innenpolitisches Wahlkampfthema reduziert, das "in populistischer Weise"
aufgegriffen werde, kritisierte der Wiener Weihbischof DDr. Helmut Krätzl von der Römisch-katholischen
Kirche. Er habe den Eindruck, dass "das Trennende stärker wächst als das Verbindende, dass der Vorteil
der gemeinsamen Schicksalsgemeinschaft weniger gesehen wird als der momentane eigene Nachteil". Krätzl
rief dazu auf, die geistlichen Wurzeln Europas neu zu entdecken und nicht nur den "kleinsten gemeinsamen Nenner
zu suchen". In der Öffentlichkeit habe die Kirche stark an Einfluss verloren, während sie in der
pluralen Gesellschaft ihre Aufgabe noch suche, analysierte der Weihbischof. Die Römisch-katholische Kirche
flüchte oft in sakrale Räume. Innerkirchliche Polarisierungen und neue Irritationen in der Ökumene
nannte Krätzl als weitere Problemfelder. Dem gegenüber stehen die weltweit anerkannten Friedensinitiativen
der Päpste. "Es darf nie um Kirche als Ziel gehen", warnte Krätzl, "sondern immer um Kirche
als Mittel, etwa für ein besseres Zusammenleben der Menschen." Die Einheit in Europa könne nur wachsen,
"wenn die Religionen das Bewusstsein bilden, das Politik und Wirtschaft nicht bilden können, ohne das
aber ein geeintes Europa nicht möglich ist". Gerade der großen Herausforderung der Integration
könne mit christlich-jüdischem Gedankengut begegnet werden.
"Liebe deinen Nächsten, er ist wie du" ist für Dr. Willy Weisz von der Israelitischen Kultusgemeinschaft
in diesem Zusammenhang die zentrale Botschaft. Erziehungsarbeit sei notwendig, um die Angst vor dem Anderen ebenso
wie den "Kantönli-Geist" abzubauen. "Ich fühle mich als Europäer mit österreichischer
Staatsbürgerschaft und stehe auch dazu", sagte Weisz, dem viel an Multikulturalität, aber wenig
an einem "Einheitsbrei" liegt.
Ein "praktisches Modell von Einheit in Vielfalt" sieht Bischofsvikar Dr. Nicolae Dura in den orthodoxen
Kirchen. Die europäische Einigung ist daher für die Orthodoxie eine "vertraute Aufgabe". Zu
verurteilen sei jede Form des Fanatismus und der Gewaltanwendung, Ziel sei ein "friedliches Zusammenleben
in gegenseitigem Respekt". Auch der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar trat dafür ein, dass sich
Kirchen und Religionen aktiv am Aufbau Europas beteiligen und ihre Versöhnungsarbeit einbringen. "Europa
braucht einen neuen Geist, eine neue Existenzgrundlage", sagte Dura. |