Zukünftige Erweiterungen ohne Verfassung nicht möglich
Straßburg (europarl) - Die Verfassung soll nach Ansicht des Europäischen Parlaments im
Laufe des Jahres 2009 in Kraft treten. Mit ihr würde die EU ein neues Maß an Offenheit, Pluralismus
und demokratischer Legitimität erreichen. Die politischen Probleme und die institutionellen Mängel würden
ohne Verfassung weiter bestehen und sogar zunehmen. Auch wäre ohne die Verfassung "das Gelingen dieser
und zukünftiger Erweiterungen gefährdet".
In dem Bericht von Johannes VOGGENHUBER (GRÜNE/EFA, AT) und Andrew DUFF (ALDE/ADLE, UK) machen die Abgeordneten
deutlich, dass der derzeit geltende Vertrag von Nizza "keine zukunftsfähige Grundlage für die Weiterführung
des europäischen Integrationsprozesses bildet". Mit Nizza sei es nicht möglich, nach dem Beitritt
von Bulgarien und Rumänien die EU erneut zu erweitern.
Die Abgeordneten treten nach wie vor für eine "konstitutionelle Lösung" ein. Ohne diese werde
es der Union nicht möglich sein wird, "von ihren Bürgern Unterstützung zu erwarten, die Impulse
der Integration beizubehalten und ein glaubwürdiger Partner in globalen Fragen zu werden". Es könne
derzeit nur ein Teil der Reformen mittels Änderung der Geschäftsordnung oder durch interinstitutionelle
Vereinbarungen eingeführt werden. Dazu gehören u. a. die Themen Transparenz der Gesetzgebung im Rat,
Einführung einer Art von Bürgerinitiative, umfassende Verwendung der sog. "Brücken-Klauseln"
in den Bereichen Justiz und Inneres sowie eine bessere Einbeziehung der nationalen Parlamente.
Mit Blick auf die sog. Reflexionsphase, die vom Europäischen Rat nach dem Scheitern der Verfassungsreferenden
in Frankreich und den Niederlanden beschlossen wurde, macht das Parlament konkrete Vorschläge, wie diese Zeit
des Nachdenken genutzt und gestaltet werden kann. Nötig sei es, das Verfassungsprojekt auf der Grundlage einer
breiten öffentlichen Debatte über die Zukunft der europäischen Integration wieder in Gang zu bringen.
Ein Dialog ohne politische Ziel dürfe jedoch nicht "von oben verordnet" werden - dies sei "nebulös,
ja sogar zwecklos und löst erhöhte Skepsis unter den europäischen Bürgern aus". Nicht
nur alle EU-Institutionen, sondern auch die nationalen und regionalen Parlamente, die Gebietskörperschaften,
die politischen Parteien, die Sozialpartner, die Zivilgesellschaft, der Bereich der Wissenschaft und die Medien
müssten sich deshalb an der Debatte beteiligen.
Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente sollen gemeinsam sog. "Parlamentarischen Foren"
ausrichten, um die Debatte in Gang zu setzen. Ein erstes interparlamentarisches Forum soll im Frühjahr 2006
stattfinden und eine begrenzte Zahl von vorrangigen Fragen zur Zukunft Europas und zur "Governance" der
Union ermitteln, die dann im Rahmen späterer Foren und in der Debatte in der breiten Öffentlichkeit erörtert
werden sollten. Zu den vorrangigen Fragen gehören u.a.: Was ist das Ziel der europäischen Integration?
Welche Rolle sollte Europa in der Welt spielen? Wie sieht angesichts der Globalisierung die Zukunft des europäischen
Sozial- und Wirtschaftsmodells aus? Wie definieren wir die Grenzen der Europäischen Union? Wie stärken
wir Freiheit, Sicherheit und Recht? Wie finanzieren wird die Union?
Zudem regt das Parlament an, auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene eine große Zahl öffentlicher
Sitzungen und Mediendebatten über die Zukunft Europas - sog. "Bürgerforen" - zu veranstalten.
Die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft werden nachdrücklich aufgefordert, sich an
diesen Debatten zu beteiligen.
Sich selbst verpflichtet das EP, in Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten eine führende Rolle im europäischen
Dialog zu spielen, insbesondere durch die Veröffentlichung von "Europapapieren" zu jedem der großen
Themen der Union, die als gemeinsame europäische "Schablone" für die nationalen Debatten verwendet
werden können.
Ein positives Ergebnis der Reflexionsphase bestünde nach Auffassung des Parlaments darin, "dass der derzeitige
Text beibehalten werden kann". Dies wäre allerdings nur möglich, wenn damit wichtige Maßnahmen
verknüpft würden, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und zu überzeugen.
Schließlich begrüßen die Abgeordneten die Pläne der österreichischen Ratspräsidentschaft,
einen Fahrplan für die Reflexionsphase sowie für die Zukunft des Ratifizierungsprozesses allgemein vorzulegen. |