Der Bundesrat als Seismograph des politischen Lebens in Österreich  

erstellt am
26. 01. 06

Antrittsrede der neuen Präsidentin Roth-Halvax bei BR-Sondersitzung
Wien (pk) - Überlegungen zur Stellung des Bundesrats im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Aufgaben, zur Reform der Länderkammer im Zuge der Verfassungsdiskussion im Anschluss an den Österreich-Konvent und zu den Möglichkeiten eines Europa-Schwerpunkts waren die zentralen Themen der Antrittsrede von Bundesrats-Präsidentin Sissy Roth-Halvax bei der Sitzung der Länderkammer. Roth-Halvax hat als vom niederösterreichischen Landtag erstgereihte Bundesrätin mit Beginn des Jahres für das erste Halbjahr 2006 den Vorsitz in der Länderkammer übernommen.

Roth-Halvax ersuchte die Bundesrätinnen und Bundesräte in ihrer Antrittsrede, mit ihr "in kollegialem Einvernehmen" die Aufgabe der Ländervertretung in der Bundesgesetzgebung zu erfüllen. Da sich die Zusammensetzung des Bundesrats nach jeder Landtagswahl ändern könne, zeige sich hier die Dynamik der Demokratie in Österreich. Aus ihrer Erfahrung als Bürgermeisterin wisse sie, dass diese Dynamik auf der Ebene der Gemeinden besonders stark wirksam sei. "Der Bundesrat erweist sich in dieser Dynamik geradezu als Seismograph des politischen Lebens in unserem Staat", sagte die neue Präsidentin. Der Bundesrat ermögliche zudem eine Form der Teilung der Gewalten innerhalb der Gesetzgebung.

Beide Kammern der Gesetzgebung seien Vertretungen des Volks, führte Präsidentin Roth-Halvax in ihrer Antrittsrede weiter aus, wobei der Bundesrat besonders dem Föderalismus verpflichtet sei: "Der Bundesrat ist als Länderkammer eine Selbstverständlichkeit unseres Bundesstaates." Die Mitglieder der Länderkammer trügen Verantwortung sowohl als Volks- wie als Ländervertreter. Die beiden Aufgaben schlössen einander nicht aus, betonte die Präsidentin, sondern ergänzten einander.

Im Bundesrat seien Parteien- und Bundesstaatlichkeit miteinander verbunden, sagte Roth-Halvax weiter. "Keine soll die andere verdrängen, beide sollen einander ergänzen", unterstrich die Präsidentin, "damit weder Parteipolitik auf Kosten der Länderinteressen stattfindet, noch die Länderinteressen das Gemeinwohl des Gesamtstaates außer Acht lassen." Dies sei im Einzelfall nicht immer leicht, und oft werde der Bundesrat in der Ausübung seiner Aufgaben durch den Koalitionspakt der jeweils regierungsbildenden Parteien behindert. Die mangelnde Wirksamkeit sei daher nicht das Fehlen einer Zuständigkeit, sondern eine Behinderung von deren Nutzung.

Roth-Halvax erinnerte in diesem Zusammenhang an das absolute Veto des Bundesrats gegen Änderungen der Länderkompetenzen und an die politischen Kontrollrechte der Länderkammer mit Ausnahme der finanziellen Kontrolle, der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen und des Misstrauensvotums. Der Bundesrat habe wesentliche Zuständigkeiten, man möge sie ihn auch ausüben lassen, damit nicht die Parteienstaatlichkeit auf Kosten der Bundesstaatlichkeit gehe. Eine Verbesserung der Stellung des Bundesrats sei gleichwohl begrüßenswert. Es wäre in diesem Sinn erstrebenswert, wenn das Zustimmungsrecht des Bundesrats sich auf alle Gesetze erstrecke, mit denen finanzielle Belastungen der Länder verbunden sind, sowie um eine gleichberechtigte Mitwirkung beim Finanzausgleich erweitert würde. Ausdrücklich sprach sich die neue Präsidentin für ein Stellungnahmerecht der Länderkammer zu Nationalratsvorlagen am Beginn des Gesetzgebungsprozesses aus.

Entschieden wandte sich Roth-Halvax gegen Vorschläge, die Zahl der Bundesrätinnen und Bundesräte zu vermindern sowie gegen die Ausübung der Bundesratsmandate durch Abgeordnete zu den Landtagen. Dies wäre mit einem Verlust an Bürgernähe verbunden, argumentierte die Präsidentin, da die Arbeit der Bundesräte nicht ausschließlich in den Ausschüssen und im Plenum stattfinde, sondern zum großen Teil im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern. Auf den Bundesrat bezogene Änderungen der Verfassung sollten auf jeden Fall vom Bundesrat selbst mit erarbeitet werden, plädierte Roth-Halvax.

Dem Bundesrat erginge es wie den Institutionen der EU: Die Bevölkerung wisse zu wenig Bescheid über Zuständigkeit und Aktivität. Es gelte, über den Bundesrat hinaus die Chance zu nützen, zum Verfassungsbewusstsein in Österreich und im integrierten Europa beizutragen. Gerade im Halbjahr des österreichischen EU-Vorsitzes wäre ein solches Bemühen aktuell, betonte Roth-Halvax und begrüßte in diesem Zusammenhang die geplante EU-Konferenz zum Thema Subsidiarität. Dies böte auch die Chance, in der Bevölkerung die Akzeptanz für ein größer werdendes Europa zu heben.

Die Sitzung des Bundesrats findet auf Verlangen der Oppositionsparteien SPÖ und Grüne statt. Die Tagesordnung dieser 730. Sitzung gibt den Ländervertretern Gelegenheit, über folgende Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates vom 6. und 7. Dezember 2005 zu entscheiden und gegebenenfalls Einspruch zu erheben:

Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005; Änderung des Arbeitsvertragsrechts- Anpassungsgesetzes samt begleitenden Gesetzesänderungen; Änderung des Angestelltengesetzes; Urheberrechtsgesetz-Novelle 2005; Bundesgesetz über die Durchführung von Volks-, Arbeitsstätten-, Gebäude- und Wohnungszählungen samt begleitenden Gesetzesänderungen; Änderungen im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz; Änderung des Volkszählungsgesetzes; 2. Schulrechtspaket 2005 und Hochschulgesetz 2005.
     
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