Antrittsrede der neuen Präsidentin Roth-Halvax bei BR-Sondersitzung
Wien (pk) - Überlegungen zur Stellung des Bundesrats im Rahmen seiner verfassungsmäßigen
Aufgaben, zur Reform der Länderkammer im Zuge der Verfassungsdiskussion im Anschluss an den Österreich-Konvent
und zu den Möglichkeiten eines Europa-Schwerpunkts waren die zentralen Themen der Antrittsrede von Bundesrats-Präsidentin
Sissy Roth-Halvax bei der Sitzung der Länderkammer. Roth-Halvax hat als vom niederösterreichischen Landtag
erstgereihte Bundesrätin mit Beginn des Jahres für das erste Halbjahr 2006 den Vorsitz in der Länderkammer
übernommen.
Roth-Halvax ersuchte die Bundesrätinnen und Bundesräte in ihrer Antrittsrede, mit ihr "in kollegialem
Einvernehmen" die Aufgabe der Ländervertretung in der Bundesgesetzgebung zu erfüllen. Da sich die
Zusammensetzung des Bundesrats nach jeder Landtagswahl ändern könne, zeige sich hier die Dynamik der
Demokratie in Österreich. Aus ihrer Erfahrung als Bürgermeisterin wisse sie, dass diese Dynamik auf der
Ebene der Gemeinden besonders stark wirksam sei. "Der Bundesrat erweist sich in dieser Dynamik geradezu als
Seismograph des politischen Lebens in unserem Staat", sagte die neue Präsidentin. Der Bundesrat ermögliche
zudem eine Form der Teilung der Gewalten innerhalb der Gesetzgebung.
Beide Kammern der Gesetzgebung seien Vertretungen des Volks, führte Präsidentin Roth-Halvax in ihrer
Antrittsrede weiter aus, wobei der Bundesrat besonders dem Föderalismus verpflichtet sei: "Der Bundesrat
ist als Länderkammer eine Selbstverständlichkeit unseres Bundesstaates." Die Mitglieder der Länderkammer
trügen Verantwortung sowohl als Volks- wie als Ländervertreter. Die beiden Aufgaben schlössen einander
nicht aus, betonte die Präsidentin, sondern ergänzten einander.
Im Bundesrat seien Parteien- und Bundesstaatlichkeit miteinander verbunden, sagte Roth-Halvax weiter. "Keine
soll die andere verdrängen, beide sollen einander ergänzen", unterstrich die Präsidentin, "damit
weder Parteipolitik auf Kosten der Länderinteressen stattfindet, noch die Länderinteressen das Gemeinwohl
des Gesamtstaates außer Acht lassen." Dies sei im Einzelfall nicht immer leicht, und oft werde der Bundesrat
in der Ausübung seiner Aufgaben durch den Koalitionspakt der jeweils regierungsbildenden Parteien behindert.
Die mangelnde Wirksamkeit sei daher nicht das Fehlen einer Zuständigkeit, sondern eine Behinderung von deren
Nutzung.
Roth-Halvax erinnerte in diesem Zusammenhang an das absolute Veto des Bundesrats gegen Änderungen der Länderkompetenzen
und an die politischen Kontrollrechte der Länderkammer mit Ausnahme der finanziellen Kontrolle, der Einsetzung
von Untersuchungsausschüssen und des Misstrauensvotums. Der Bundesrat habe wesentliche Zuständigkeiten,
man möge sie ihn auch ausüben lassen, damit nicht die Parteienstaatlichkeit auf Kosten der Bundesstaatlichkeit
gehe. Eine Verbesserung der Stellung des Bundesrats sei gleichwohl begrüßenswert. Es wäre in diesem
Sinn erstrebenswert, wenn das Zustimmungsrecht des Bundesrats sich auf alle Gesetze erstrecke, mit denen finanzielle
Belastungen der Länder verbunden sind, sowie um eine gleichberechtigte Mitwirkung beim Finanzausgleich erweitert
würde. Ausdrücklich sprach sich die neue Präsidentin für ein Stellungnahmerecht der Länderkammer
zu Nationalratsvorlagen am Beginn des Gesetzgebungsprozesses aus.
Entschieden wandte sich Roth-Halvax gegen Vorschläge, die Zahl der Bundesrätinnen und Bundesräte
zu vermindern sowie gegen die Ausübung der Bundesratsmandate durch Abgeordnete zu den Landtagen. Dies wäre
mit einem Verlust an Bürgernähe verbunden, argumentierte die Präsidentin, da die Arbeit der Bundesräte
nicht ausschließlich in den Ausschüssen und im Plenum stattfinde, sondern zum großen Teil im Kontakt
mit den Bürgerinnen und Bürgern. Auf den Bundesrat bezogene Änderungen der Verfassung sollten auf
jeden Fall vom Bundesrat selbst mit erarbeitet werden, plädierte Roth-Halvax.
Dem Bundesrat erginge es wie den Institutionen der EU: Die Bevölkerung wisse zu wenig Bescheid über Zuständigkeit
und Aktivität. Es gelte, über den Bundesrat hinaus die Chance zu nützen, zum Verfassungsbewusstsein
in Österreich und im integrierten Europa beizutragen. Gerade im Halbjahr des österreichischen EU-Vorsitzes
wäre ein solches Bemühen aktuell, betonte Roth-Halvax und begrüßte in diesem Zusammenhang
die geplante EU-Konferenz zum Thema Subsidiarität. Dies böte auch die Chance, in der Bevölkerung
die Akzeptanz für ein größer werdendes Europa zu heben.
Die Sitzung des Bundesrats findet auf Verlangen der Oppositionsparteien SPÖ und Grüne statt. Die Tagesordnung
dieser 730. Sitzung gibt den Ländervertretern Gelegenheit, über folgende Gesetzesbeschlüsse des
Nationalrates vom 6. und 7. Dezember 2005 zu entscheiden und gegebenenfalls Einspruch zu erheben:
Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005; Änderung des Arbeitsvertragsrechts- Anpassungsgesetzes samt begleitenden
Gesetzesänderungen; Änderung des Angestelltengesetzes; Urheberrechtsgesetz-Novelle 2005; Bundesgesetz
über die Durchführung von Volks-, Arbeitsstätten-, Gebäude- und Wohnungszählungen samt
begleitenden Gesetzesänderungen; Änderungen im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz; Änderung
des Volkszählungsgesetzes; 2. Schulrechtspaket 2005 und Hochschulgesetz 2005. |