Fotografierte Architektur auf Ansichtskarten 1919
– 1939
Wien (hoch.2wei) - Sie wurden zu Milliarden verschickt, waren billig und schafften es in zwei
Tagen durch ganz Europa: vor mehr als 100 Jahren war die Postkarte - 1869 in Österreich und ein Jahr später
in Deutschland offiziell eingeführt - das schnellste aller Kommunikationsmittel. Jede Schule, jeder Bahnhof,
jedes öffentliche Gebäude hatte seine Ansichtskarte, und so wurden auch die revolutionären neuen
Bauten, die vom Bauhaus oder dem Werkbund geprägt waren, auf Postkarten abgebildet.
Gerade die Architekten waren es, die zusammen mit den Fotografen die Karte als günstiges Werbemedium entdeckten.
Die Karten trugen das Bild vom "Neuen Bauen" in die ganze Welt. Eher zufällig und unbemerkt entstand
so in der Zwischenkriegszeit der größte Bilderschatz der Moderne in Deutschland, ein einzigartiges Archiv
der europäischen Fotografie- und Architekturavantgarde.
Die Ausstellung "Moderne Grüsse". Fotografierte Architektur auf Ansichtskarten 1919 - 1939, die
vom 14. März bis 20. April 2006 im Grossen Kassensaal als Sonderausstellung des im Oktober 2005 neu eröffneten
WAGNER:WERK Museum Postsparkasse zu sehen ist, zeigt eine Auswahl von 180 Bauten aus 29 deutschen Städten
von Stuttgart über Berlin bis nach Dresden. Diese einmalige Präsentation ausgewählter Ansichtskarten
mit weltberühmten, historischen Motiven der Moderne aus der Privatsammlung des Designers Bernd Dicke liefert
damit einen authentischen Überblick über eine "Epoche zwischen Luxus und Arbeitslosigkeit".
Nachtlokale, Wohnhäuser, Großsiedlungen, Kaufhäuser, Schulen, Verwaltungsgebäude, Fabriken
oder Ausflugslokale fungieren als architektonische Spiegelbilder der Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts
und spannen den Bogen zwischen der Uniformität von Vorstadtsiedlungen und dem Glamour von Art déco-Bars.
Vertreten sind namhafte Architekten wie Erich Mendelsohn, Le Corbusier, Mies van der Rohe, J.J.P. Oud, Hans Scharoun,
Gustav Adolf Schneck, Wilhelm Riphahn oder Peter Behrens.
Ergänzend zu den Postkarten präsentiert die Ausstellung auch Designbeispiele und Originalobjekte wie
Leuchten, Beschläge und Möbel des Bauhauses sowie einige "vintage prints" (frühe Abzüge)
bedeutender Architekturfotografen.
Eine klare Form und Farbgebung und eine neue Sachlichkeit prägt die Architektur der zwanziger und dreißiger
Jahre - eine Entwicklung, die Otto Wagner mit seinem Spätwerk, wie z.B. der großen gesamtkünstlerischen
Gestaltung der Österreichischen Postsparkasse 1904 bis 1912, für Mitteleuropa bereits eingeleitet hatte.
Als Reaktion auf die üppige ornamentale Ästhetik des Jugendstil setzen sich Künstler und Architekten
für eine formale Vereinfachung in Architektur und Produktdesign ein. Mit der Gründung des Deutschen Werkbundes
1907 wurden in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen die Begriffe "Sachlichkeit", "Zweck-haftigkeit"
und "moderner Zweckstil" zusammen mit den ersten Ansätzen zu einem "Industrial Design"
in einer zunehmend breiteren Öffentlichkeit thematisiert. Im Mittelpunkt stand der Ansatz "funktiongerechtes
Bauen" und "formale Schlichtheit" in Verbindung mit neuen Materialien wie z.B. Beton, Stahl und
Glas. Das moderne Wohnhaus, die moderne Fabrik sollten Ausdruck der Zeit sein: praktisch-funktionell und frei von
überflüssiger Verzierung. Von 1914 bis 1923 war der Wohnungsbau in Deutschland fast vollständig
zum Erliegen gekommen. Durch die planmäßige staatliche Förderung des Wohnungsbaus gelingt es bis
Ende der 20er Jahre, die Wohnungsnot spürbar zu lindern und die Wohnqualität zu verbessern. In den Jahren
des Baubooms - zwischen 1924 bis 1929 - werden in erster Linie moderne Architekten und Stadtplaner mit dem Bau
von Wohnblocks und der Planung ganzer Siedlungen beauftragt. Ein Musterbeispiel ist 1927 die Weißenhofsiedlung
in Stuttgart. Im Auftrag des Deutschen Werkbundes errichteten 16 führende europäische Architekten etwa
60 Gebäude, darunter Einfamilienhäuser und Wohnblocks.
Neben Ansichtskarten über die Weißenhofsiedlung, die einen Schwerpunkt dieser einzigartigen Präsentation
bilden, sind u.a. folgende Architekturbeispiele der Moderne zu sehen:
* Stuttgart
Kaufhaus Schocken, 1924, Erich Mendelsohn | Weißenhofsiedlung, 1927,
u.a. Le Corbusier, J.J.P. Oud, Hans Scharoun, Gustav Adolf
Schneck | Tagblatt-Turm, 1928, Ernst Otto Oßwald | u.v.m.
* Frankfurt|Main
Siedlung Römerstadt, 1928, Ernst May | Haus der Jugend, 1930, Franz Thyriot | u.v.m.
* Köln
Rheinrestaurant "Die Bastei", 1924, Wilhelm Riphahn | Siedlung in
Köln-Bickendorf, 1927, Riphahn und Grod | u.v.m.
* Düsseldorf
Mannesmann-Haus, 1912, Peter Behrens | Architekturen für die
Ausstellung "Gesolei", 1926, Wilhelm Kreis u.a.
* Essen
Industrielandschaften, 1930er
* Dortmund
Nikolaikirche, 1930, Pinno und Grund | Westfalenhaus, 1929,
Jacob Koerfer | Pädagogische Akademie, 1930, Paul Fehmer | u.v.m.
* Hamburg
Chilehaus, 1924, Fritz Höger | u.v.m.
* Dessau
Bauhaus, 1926, und Meisterhäuser, 1926, Walter Gropius | Siedlung Törten, 1928,
Walter Gropius | u.v.m.
* Berlin
Siedlung Britz, 1930, Bruno Taut und Martin Wagner | Kirche am
Hohenzollernplatz, 1933, Fritz Höger | u.v.m.
* Breslau
Kaufhaus Wertheim, 1928, Max Dernburg | Werkbundsiedlung, 1929,
Heinrich Lauterbach, Moritz Hadda, Emil Lange, Adolf Rading, Moshamer
WAGNER:WERK Museum Postsparkasse
Grosser Kassensaal
Georg-Coch-Platz 2, 1018 Wien
Ausstellungsdauer 14. März - 20. April 2006
Öffnungszeiten Mo, Di, Mi und Fr von 8.00 - 15.00 Uhr
Do 8.00 - 17.30 Uhr
Eintritt frei |