Erklärung des Ratsvorsitzes: Perspektiven für Bosnien und Herzegowina  

erstellt am
16. 02. 06

Staatssekretär Hans Winkler im Plenum des Europäischen Parlaments, 15. Februar
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete des Europäischen Parlaments!
Bosnien und Herzegowina hat in den letzten 10 Jahren seit Abschluss des Friedensvertrages von Dayton/Paris zweifellos große Fortschritte auf dem Weg der Schaffung einer multi-ethnischen Demokratie erzielt. Heute ist die Wahrscheinlichkeit von bewaffneten Auseinandersetzungen gering, die Infrastruktur ist weitgehend wieder aufgebaut und die Anstrengungen zu Schaffung eines modernen europäischen Staates sind im Gange.

Der Beginn von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zwischen der EU und Bosnien und Herzegowina ist sicherlich ein Zeugnis der erzielten Erfolge, sowohl des Landes selbst, als auch der internationalen Gemeinschaft und der EU.

Ein wichtiges Beispiel für diese Fortschritte ist die mit Ende 2005 erfolgte Abschaffung von getrennten Verteidigungsministerien auf Ebene der Entitäten Republika Srpska und der Föderation von BuH. Alle Verteidigungsaufgaben und das Personal wurden einem gemeinsamen Verteidigungsministerium auf Gesamtstaatsebene übertragen. Das ist ein bedeutender Meilenstein in der Entwicklung des Landes. Die europäische EUFOR-Mission ALTHEA arbeitet eng mit diesen neuen gesamtstaatlichen Strukturen sowie mit ihren Kollegen im NATO-Hauptquartier Sarajewo zusammenarbeiten, um die Verteidigungsreform weiter voranzutreiben.

Ein weiteres Beispiel ist die Einführung einer gesamtstaatlichen Mehrwertsteuer, die am 1. Jänner dieses Jahres erfolgt ist. Diese wird den öffentlichen Einnahmen einen dringend benötigten Schub verleihen und ebenso einen Beitrag zur Stärkung gesamtstaatlicher Strukturen leisten.

Ein weiterer bedeutender Schritt ist ebenfalls die Einigung über die Polizeireform, die sich jetzt in der Implementierungsphase befindet. Sie ist notwendig, um das derzeitig bestehende zersplitterte, kostspielige und häufig ineffiziente System zu erneuern. Die EU-Polizeimission in Bosnien und Herzegowina (EUPM) wird in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen. EUPM wurde mit 1. Jänner 2006 für weitere zwei Jahre verlängert, nachdem ihr ursprüngliches, dreijähriges Mandat abgelaufen war. Das Mandat von EUPM II besteht in einer noch stärkeren pro-aktiven Unterstützung der Polizeiaspekte im Kampf gegen die Organisiere Kriminalität. EUPM, EUFOR und der Hohe Vertreter/EU-Sonderbeauftragte (EUSB) arbeiten in diesem Bereich eng zusammen, um eine koordinierte, kohärente und wirkungsvolle Unterstützung der Exekutivbehörden in Bosnien und Herzegowina zu gewährleisten.

Während der letzten Monate hat es ebenfalls Anstrengungen in der Frage der Reform der Dayton-Verfassung gegeben. Die letztes Jahr begonnenen Verhandlungen wurden Anfang dieses Jahres fortgesetzt, jedoch Ende Jänner bis auf weiteres verschoben. Obwohl von den Parteiführern keine Einigung über ein „Gesamtpaket“ aller zur Debatte stehenden Punkte erzielt werden konnte, konnten doch konkrete Fortschritte in einigen wichtigen Bereichen erzielt werden. So vor allem im Bereich der Menschenrechte und der Stärkung der Position des Vorsitzenden des gesamtstaatlichen Ministerrates.

Der Verfassungsreformprozess war immer als ein „Prozess“ und nicht als ein „punktuelles Ereignis“ konzipiert. In einem Wahljahr wie 2006 müssen die Erwartungen über den weiteren Verlauf dieser Diskussion realistisch bleiben. Der Rat hat im Jänner – wie in seinen Schlussfolgerungen festgehalten – die Diskussionen über die Verfassungsreform und die bisher erzielten Fortschritte begrüßt. Der Rat hat weiters alle Parteien in Bosnien und Herzegowina zu einer dynamischen Fortsetzung dieses Prozesses aufgefordert und in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit der Übernahme von mehr Eigenverantwortung („ownership“) durch die Entscheidungsträger von Bosnien-Herzegowina betont.

Eine weitere wichtige Frage, die uns noch in diesem Jahr beschäftigen wird, ist die Zukunft des Hohen Vertreters und der Präsenz der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina. Das Ziel muss es hier sein, den „push“ der Internationalen Gemeinschaft – verkörpert vor allem in den umfassenden Befugnissen (Bonn Powers) des Hohen Vertreters – durch einen „pull“ aus Brüssel zu ersetzen. Ich meine hiermit, dass die Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten der internationalen Akteure im Rahmen eines Übergangsprozesses vom Amt des Hohen Vertreters in der derzeitigen Form zu einem EU-Sonderbeauftragten reduziert werden sollten.

Dem entspricht auch das erklärte Ziel des neuen Hohen Vertreters Christian Schwarz-Schilling, der diese Funktion Ende Jänner von Paddy Ashdown übernommen hat, nämlich als Hoher Vertreter verstärkt die Rolle eines „Facilitator“ einzunehmen und die Europäisierung des Landes voranzutreiben. Gerade auch im Hinblick auf die Parlamentswahlen in BuH im Herbst 2006 erachten wir den Übergang auf einen EU-Sonderbeauftragten, sowie die vorgesehenen Eingriffsbefugnisse nur in Ausnahmefällen zur Anwendung zu kommen zu lassen, als wichtiges Zeichen für die weitere Entwicklung BuH.

Den Rahmen für die Heranführung von Bosnien und Herzegowina an europäische Strukturen bildet – wie auch bei den anderen Ländern des Westbalkans – der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess (SAP). Die Aufnahme von SAA-Verhandlungen, und damit über vertragliche Beziehungen mit der EU, bedeutet einen wichtigen Schritt in den Entwicklungen BuHs zur EU.

Nach der formellen Eröffnung der SAA-Verhandlungen am 21. November 2005 konnte die erste offizielle Verhandlungsrunde unter dem Ko-Vorsitz der Europäischen Kommission und des bosnischen Chefverhandlers Igor Davidovic am 25. Jänner erfolgreich abgeschlossen werden. Für den weiteren Fortgang der Verhandlungen werden vor allem die Fortschritte im Reformprozess des Landes maßgebend sein.

Der Integrationsprozess hat sich bisher als starke Triebfeder für Reformen gezeigt. Wichtig ist, dass weitere Reformfortschritte insbesondere bei der

* Korruptionsbekämpfung;
* der Stärkung der öffentlichen Verwaltung;
* der vollen Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichtshof ICTY;
* der vollständigen Umsetzung der Vereinbarung über die Neuordnung der
       Polizei vom Oktober 2005;
* der Verabschiedung aller erforderlichen Rechtsvorschriften für den öffentlichen
       Rundfunk; sowie
* der Umsetzung der in der Europäischen Partnerschaft definierten Prioritäten
       verzeichnet werden können.

Beim EU-Westbalkan-Gipfel in Thessaloniki im Juni 2003 hat die EU ihr Bekenntnis zu einer europäischen Perspektive für alle Westbalkanstaaten bekräftigt. Dieses grundlegende Bekenntnis, dass die Zukunft des Westlichen Balkan in der Europäischen Union liegt, hat der Europäische Rat vom Juni 2005 erneut bestätigt und bekräftigt. Der Fortschritt eines jeden Landes auf dem Weg der Heranführung an europäische Strukturen hängt hierbei vor allem von der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien sowie der Konditionalitäten im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess ab.

Die Ende Jänner 2006 vorgelegte Mitteilung der Kommission über die künftige Gestaltung der EU-Beziehungen mit den Staaten des Westlichen Balkans skizziert über die Thessaloniki-Agenda hinausgehende Heranführungsschritte. In der EK-Mitteilung werden einerseits die Entwicklungen seit dem Gipfeltreffen in Thessaloniki bewertet, andererseits schlägt sie eine Reihe konkreter Maßnahmen für die weitere Annäherung der Westbalkanländer an die EU vor.

Anlässlich des informellen EU-Westbalkan-Außenministertreffens in Salzburg am 10./11. März wollen wir die Ziele der EU bekräftigen und eine Einigung darüber erzielen, wie und mit welchen Mitteln die EU ihr Engagement in der Region weiter verstärken kann. Dieses Treffen wird sicherlich eine gute Gelegenheit bieten, sich zu konkreten Maßnahmen zur Förderung von Stabilität, Sicherheit und Wohlstand auf dem Westbalkan durch allmähliche Einbindung der Region in europäische Strukturen zu einigen. Die Mitteilung der Kommission wird hierbei eine wichtige Grundlage darstellen.

Das Treffen am Rande von Gymnich stellt sicherlich ein „high-level event“ unserer EU-Präsidentschaft in Bezug auf den Westbalkan dar. Darüber hinaus wird es noch eine Reihe weiterer Fachminister- und Expertentreffen mit den Westbalkanstaaten geben, wodurch sich - denke ich - ein wesentlicher Schwerpunkt unseres Ratsvorsitzes unterstreichen und manifestieren lässt.

Die europäische Perspektive ist für Bosnien und Herzegowina – wie auch für die anderen Staaten des Westbalkans – eine Triebfeder für Reformen. Wir sind zuversichtlich wenn es um die Zukunft von Bosnien und Herzegowina geht. Die EU kann hier sicherlich einen wesentlichen Beitrag leisten und wird dies, wie in der Vergangenheit, auch weiterhin tun.
     
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