Staatssekretär Hans Winkler im Plenum des Europäischen Parlaments, 15. Februar
Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete,
die Kontroverse um Karikaturen, die zunächst in einer dänischen Zeitung erschienen sind, stellt eine
bedauerliche Entwicklung dar. Wir haben gewalttätige Demonstrationen erlebt, von denen einige auch Tote gefordert
haben. Vertretungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten wurden angegriffen und beschädigt. Drohungen gegen EU-BürgerInnen
wurden ausgesprochen, und unakzeptable Boykottmaßnahmen gegen EU-Staaten angedroht. Vertrauen und guter Wille,
die in jahrzehntelanger Arbeit zwischen der EU und islamischen Staaten aufgebaut wurden, erscheinen erschüttert.
In dieser Situation war es der Ratspräsidentschaft zunächst ein vordringliches Anliegen, alle betroffenen
Staaten nachdrücklich dazu aufzufordern, im Einklang mit dem internationalen Recht EU-BürgerInnen und
EU-Eigentum vor Übergriffen zu schützen. In diesem Sinne hat die Präsidentschaft am 4. Februar eine
Erklärung abgegeben, und hat Demarchen in einer Reihe von Staaten Nordafrikas und des Nahen und Mittleren
Ostens durchgeführt.
Wir haben gewalttätige Reaktionen militanter Gruppierungen als Ratspräsidentschaft klar verurteilt und
erwarten von allen verantwortlichen Regierungen, dass sie sich dieser Verurteilung anschließen und entsprechende
Maßnahmen ergreifen. Nun gilt es beruhigende Schritte zu setzen, die zur Beruhigung der Lage beitragen.
Die Ratspräsidentschaft hat schon vom Beginn der Krise an ihre politische Verantwortung wahrgenommen. Am 30.
Jänner hat der Rat der EU-Außenminister Dänemark und Schweden seine volle Solidarität versichert.
Die Außenminister unterstrichen die Bedeutung von Presse- und Meinungsfreiheit, die einen Eckpfeiler unserer
europäischen Werteordnung bildet, betonten jedoch zugleich, dass auch der religiöse Glaube respektiert
werden müsse. Diese Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Gut, das wir verteidigen müssen, deren Ausübung
aber auch ein hohes Maß an Verantwortung beinhaltet.
Am 2. Februar hat sich Außenministerin Plassnik vor dem Ständigen Rat der OSZE zur Thematik dahingehend
geäußert, dass Presse- und Meinungsfreiheit ganz zentrale und schutzwürdige Werte in unserer Gesellschaft
darstellen; gleichzeitig aber die Herabwürdigung einer Religion zu verurteilen ist.
Von großer Bedeutung war die gemeinsame Erklärung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen,
des Generalsekretärs der Organisation der Islamischen Konferenz und des Hohen Vertreters für die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik der EU vom 7. Februar. Darin werden ein verantwortlicher Umgang mit religiösen
Überzeugungen sowie die Meinungsfreiheit bei gleichzeitiger Verantwortung der Presse betont. Gewalttätige
Übergriffe werden abgelehnt und zum Dialog aufgerufen.
Am 8. Februar telefonierte Ratsvorsitzende Außenministerin Plassnik mit dem türkischen Vizepremier und
Außenminister Gül. Es handelte sich hier um eine sehr bewusste Handlung der Einbindung der Türkei,
da gerade die Türkei hier eine aktive Rolle in der muslimischen Welt spielen kann. Ministerin Plassnik unterstrich
darin ihre Wertschätzung für die aktive Rolle der Türkei bei der Förderung des Dialogs zwischen
Europa und der muslimischen Welt, insbesondere auch im Rahmen der – unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs
der Vereinten Nationen von den Premierministern der Türkei und Spaniens ins Leben gerufenen – „Allianz der
Zivilisationen“.
Ebenfalls am 8. Februar brachte Bundeskanzler Schüssel in einer Erklärung seine Bestürzung über
Darstellungen auf der homepage einer muslemischen Immigrantenorganisation (Arab-European League) in Antwerpen und
über den Aufruf der iranischen Zeitung „Hamshari“ zu einem Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb zum Ausdruck.
Wie Sie wissen, befindet sich der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier
Solana, derzeit im Nahen Osten. In einem Treffen mit dem Generalsekretär der Organisation der Islamischen
Konferenz (OIC), Ekmeleddin Ihsanoglu, am 13.2., wurden Möglichkeiten eines zielorientierten Dialogs zwischen
Europa und der muslimischen Welt erörtert. Diese Diskussion wird er ua. mit dem GS der Arabischen Liga und
mit Vertretern der Länder Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, PA und Israel fortsetzen.
Wir werden im Rahmen unserer Präsidentschaft den Dialog mit der islamischen Welt vorantreiben. Auch der finnische
Außenminister Tuomioja hat bereits angekündigt, dass Dialogaktivitäten ein zentrales Anliegen der
finnischen Präsidentschaft sein werden. Wir werden als Präsidentschaft Schritte setzen, die zur Beruhigung
der Lage und zur Wiederherstellung des friedlichen Dialoges beitragen sollen. Beim nächsten Treffen der Außenminister
am 27. und 28. Februar werden Möglichkeiten verstärkter EU-Dialogaktivitäten mit der islamischen
Welt ein wichtiges Thema sein.
Herr Präsident,
meine sehr geehrten Abgeordneten,
In der gegenwärtigen Krise ist „leadership“ der gewählten politischen VertreterInnen der Europäischen
Union gefordert. Dieses „leadership“ kann und soll selbstverständlich nicht darin bestehen, etwa den Medien
von staatlicher Seite Verhaltensmaßregeln vorgeben zu wollen. Die Meinungs- und die Pressefreiheit, die Freiheit
von Zensur, haben wir uns in Europa viele Jahre lang erkämpft. Wir wollen sie unter keinen Umständen
aufs Spiel setzen. Diese Freiheit schließt auch die Zulassung von kontroversiellen Gedanken und Diskussionen
ein, mögen sie auch schockierend sein. Sie schließt auch die Freiheit ein, einerseits Fehler zu machen
und andererseits Fehler auch mit aller Schärfe zu kritisieren.
Dieses Recht auf freie Meinungsäußerung ist jedoch dort Einschränkungen unterworfen, wo es um den
Schutz der Rechte und Gefühle anderer geht. Die Abwägung – das ist ein entscheidendes Moment – geschieht
in unserer rechtsstaatlichen Ordnung durch unabhängige Gerichte, einschließlich des Europäischen
Menschenrechtsgerichtshofes.
Das politische „leadership“ der Europäischen Union, das ich erwähnte, muss sich vielmehr daran zeigen,
dass wir glaubwürdig vermitteln, dass Meinungsfreiheit und der Respekt vor der Kultur und Religion des Anderen
einander nicht widersprechen, sondern ergänzen.
Die Antwort auf die gegenwärtige Krise heißt nicht: Weniger Meinungsfreiheit; - sie heißt vielmehr:
Glaubwürdiges Engagement des demokratisch-pluralistischen Europa im Dialog der Kulturen und Zivilisationen.
Wir müssen den muslimischen Gemeinschaften in der Welt vermitteln, dass wir mit ihnen weiter den Weg der Entwicklung
vertrauensvoller Beziehungen gehen wollen.
Wir müssen unseren muslimischen MitbürgerInnen innerhalb der Europäischen Union vermitteln, dass
diese Union weiterhin ein guter Ort ist, an dem sie ebenso wie die Angehörigen anderer Religionen respektiert
werden und sich wohl fühlen können, und an dem sie die Möglichkeit demokratischer Mitgestaltung
haben.
Bei der Annahme dieser Herausforderungen wird es für uns sehr wichtig sein, sich auf das Vertrauen zu stützen,
das in unseren Ländern in den vergangenen Jahren zwischen den Religionsgemeinschaften untereinander sowie
zwischen den politisch Verantwortlichen und den Religionsgemeinschaften aufgebaut werden konnte.
Was ich damit konkret meine, möchte ich an Hand meines Landes, Österreichs, darstellen:
Eines der wichtigsten Gespräche, die österreichische Spitzenvertreter in den letzten Tagen auf der Suche
nach einer Entspannung der Situation geführt haben, fand am 7. Februar zwischen Außenministerin Plassnik
und dem Präsidenten der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Professor Anas Schakfeh statt.
Ministerin Plassnik würdigte im Gespräch die Bedeutung von Professor Schakfeh und der Islamischen Glaubensgemeinschaft
in Österreich im Bemühen um Besonnenheit und Ausgleich und erklärte: „Jetzt geht es darum, zusammenzustehen
und unser laufendes Gespräch, das sich in der Praxis bewährt, auch nach außen hin sichtbar zu machen“.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch die große Islamkonferenz erwähnen, die vom 14. bis 16. November
voriges Jahr in Wien stattgefunden hat, und auf der viele der Fragen, die uns in diesen Tagen bewegen, erörtert
wurden. Schon bei dieser Konferenz, bei der wir u.a. Präsident Hamid Karzai von Afghanistan, den irakischen
Präsidenten Jalal Talabani, den ehemaligen iranischen Präsidenten Khatami, den Ökumenischen Patriarchen
Bartholomaios von Istanbul und die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, als ReferentInnen begrüßen
konnten, wurde die Bedeutung des Dialogs klar unterstrichen, den wir vor dem aktuellen Hintergrund verstärkt
weiterführen werden.
Herr Präsident,
meine sehr geehrten Abgeordneten,
Unser Dank gilt jenen besonnenen gesellschaftlichen Kräften, die das Miteinander, die Diversität in Freiheit
wollen und die sich in den letzten Tagen und Wochen in diesem Sinne engagiert haben, innerhalb und auch außerhalb
der Union. Ich halte es für eine unabdingbare Voraussetzung, dass die Europäischen Institutionen hier
einer Meinung sind und mit einer Stimme sprechen. Ebenso bin ich davon überzeugt, dass das selbstbewusste
Vertreten unserer Werte zusammen mit der Bereitschaft, den Anderen anzuhören und auf seine Besorgnisse einzugehen,
der richtige Weg für die Europäische Union in ihren Beziehungen zur islamischen Welt ist. |