Österreich versteht EU-Präsidentschaft als ein Service an Europa  

erstellt am
16. 02. 06

EU-Unterausschuss diskutiert Jahresprogramm des Rates für 2006
Wien (pk) - Die Mitglieder des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheit der Europäischen Union diskutierten am Mittwoch (15. 02.) das Jahresprogramm des Rates für 2006 und nahmen die Gelegenheit wahr, sich sehr ausführlich mit den Schwerpunkten, Zielen und Aktivitäten der österreichischen Ratspräsidentschaft auseinanderzusetzen. Grundlage dafür bot das vom österreichischen und künftigen finnischen Vorsitz vorgelegte Programm sowie detaillierte Ausführungen durch den stellvertretenden Sektionschef Dr. Scheide sowie durch Botschafter Dr. Heiss.

Sektionschef Scheide ging zunächst auf die vergangenen sechs Wochen ein, die auch von Ereignissen geprägt waren, die man nicht vorhersehen konnte. Scheide nannte in diesem Zusammenhang die Gaskrise, bei der es der Präsidentschaft in der Rolle des Vermittlers und im Zusammenwirken mit der Kommission gelungen sei, innerhalb von drei Tagen die Gaslieferungen zu sichern. Neben dem Wiederaufflackern der Kämpfe in Nepal hätten die Präsidentschaft bisher insbesondere die Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten, die Erkrankung des israelischen Ministerpräsidenten Sharon und die Wahlen in den Palästinensergebieten mit ihrem unerwarteten Ausgang beschäftigt. Auch die Wiederaufnahme der Atomforschung und die Anreicherung von Uran im Iran sei ein wesentliches Thema für die Ratspräsidentschaft, und die Außenministerin habe deshalb auch lange Gespräche mit ihrem iranischen Amtskollegen geführt. Im Zuge des so genannten Karikaturenstreites seien in enger Abstimmung mit der Kommission und Javier Solana eine Reihe von Maßnahmen gesetzt worden. Dieses Thema werde angesichts der grundlegenden Fragen, die dabei aufgeworfen werden, weiterhin Schwerpunkt der Präsidentschaft sein.

Österreich verstehe seine Präsidentschaft in erster Linie als ein "Service an Europa", unterstrich Scheide und agiere auch dementsprechend. Als horizontale Themen stünden daher die Förderung von Beschäftigung und Wachstum in Europa, die Absicherung des spezifischen europäischen Lebensmodells in einer globalisierten Welt, die Festigung des Vertrauens der BürgerInnen in das europäische Projekt und die Rolle Europas als starker und verlässlicher Partner in der Welt im Vordergrund.

Nachdem es im Dezember gelungen sei, unter den Staats- und Regierungschefs eine Einigung über die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 zu erreichen, gehe es nun darum, diesen Vorschlag in eine interinstitutionelle Vereinbarung zwischen Kommission und Europäischem Parlament umzugießen. Die Kommission habe dazu am 1. Februar einen Vorschlag vorgelegt, in dem sowohl die Eckpfeiler des Europäischen Rates als auch jene des Europäischen Parlaments berücksichtigt seien. Dennoch seien Wünsche offen geblieben, sagte Scheide.

EU-Verfassung: Zukunftsdebatte muss dynamisiert werden
Österreich gehe es insbesondere auch um die Dynamisierung der Zukunftsdebatte. Dies könne, so die österreichische Auffassung, nur dann gelingen, wenn sich die EU nicht nur mit dem Verfassungsvertrag als solchen auseinandersetze, sondern die Frage stelle, welches Europa wir eigentlich wollen. Diese Debatte brauche Geduld und Behutsamkeit, merkte Scheide an und zeigte sich skeptisch gegenüber Vorschlägen, Einzelteile aus dem Verfassungsvertrag herauszunehmen.

Botschafter Hubert Heiss ergänzte, dass der Rat im Juni im Zeichen der Zwischenbilanz dieser Debatte um die Zukunft Europas stehen werde. Vorher werde dazu eine Konferenz in Salzburg abgehalten. Am 18. und 19. April werde in St. Pölten eine Subsidiaritätskonferenz stattfinden, das Europäische Parlament werde am 9. Mai mit den nationalen Parlamenten über die Zukunft Europas diskutieren. Auch er betonte die Notwendigkeit, sich zum jetzigen Zeitpunkt weniger um den Text des Verfassungsvertrages, sondern vielmehr um das Umfeld zu kümmern. Eine wesentliche Etappe könnte geschafft werden, wenn man über die Dienstleistungsrichtlinie Konsens erzielt. Die österreichische Präsidentschaft wolle vor allem einen Prozess in Gang setzen, um ab 2007 konkrete Linien vorgeben zu können.

Schließlich informierte Sektionschef Scheide die Abgeordneten über die neuesten Entwicklungen im Erweiterungsprozess und auf dem Westbalkan. Bulgarien und Rumänien stünden im Endspurt des Beitrittsprozesses. Beide Länder müssten die verbliebene Zeit jedoch für ausstehende Reformen nützen, um die Verschiebung des Beitritts um ein Jahr zu vermeiden. Die Kommission werde dazu im Mai Stellung nehmen. Was die Türkei und Kroatien betreffe, prüfe die Kommission derzeit den Rechtsstand beider Länder mit der Vereinbarkeit mit dem EU-Recht. Dieser Prozess werde bis Herbst 2006 dauern, meinte Scheide.

Ein zentrales Thema für die österreichische Ratspräsidentschaft stelle der Westbalkan dar. Die Erwartungen dieser Region an Europa seien sehr hoch, und man werde diesen nur dann gerecht werden können, wenn sich Europa im Kosovo sowie in Serbien und Montenegro als starker Partner erweise.

Scheide beendete sein Statement mit dem Hinweis auf die Vogelgrippekonferenz in Peking, wo es seitens der EU eine Finanzzusage in der Höhe von 215 Mill. € gegeben habe. Die strategischen Überlegungen müssten aber nun weitergehen.

Zentrales Thema Wirtschaft und Beschäftigung - Energiedebatte muss breiter geführt werden
Botschafter Hubert Heiss konzentrierte sich bei seinen Ausführungen auf das Thema Wachstum und Beschäftigung. Dabei, so Heiss, gehe es um vier wichtige Politikfelder: So soll der Anteil von Forschung und Entwicklung auf 3 % des BIP angehoben werden, wobei Österreich gut unterwegs sei. Besonderes Augenmerk wolle man den kleinen und mittleren Unternehmen schenken, da es dort ein besonderes Potenzial für neue Arbeitsplätze gebe. Für diesen Wirtschaftszweig sei es notwendig, durch Reduktion des bürokratischen Aufwandes, durch einen Zugang zum Kapitalmarkt und einen verbesserten Austausch von Informationen auf dem Gebiet der angewandten Forschung ein besseres Umfeld zu schaffen. Hinsichtlich des Arbeitsmarktes werde man sich vor allem jungen Menschen mit geringen Qualifikationen sowie den Problemen älterer Menschen und Frauen auf dem Arbeitsmarkt zuwenden.

Heiss unterstrich auch die Notwendigkeit, die europäische Energiedebatte breiter als bisher zu führen. Bisher habe man sich lediglich auf den Binnenmarkt und auf den Klimaschutz konzentriert, in Zukunft wäre es erforderlich, sich auch mit der Frage diversifizierter Träger, erneuerbarer Energien und Investitionen in Netze und Produktionen zu befassen. Die Kommission schätze, dass bis ca. 2020 Investitionen in der Höhe von 600 Mrd. € notwendig sein werden, sagte Heiss. Die Kompetenz auf dem Energiesektor liege zwar bei den Mitgliedstaaten, dennoch sei es wünschenswert, gemeinsame Ziele zu entwickeln

Europäisches Sozialmodell, wirtschaftliche Dynamik, Nachhaltigkeit
In der Diskussion gingen die Abgeordneten auf zahlreiche Fragen ein. Der Vorsitzende des Ausschusses, Abgeordneter Werner Fasslabend (V), merkte zunächst grundsätzlich an, dass angesichts der gewaltigen Probleme kein Land mehr in der Lage sei, diese allein zu lösen. Das zeigten nicht nur die politischen Konflikte, sondern auch die Entwicklungen auf dem Sektor der Energie und der Wirtschaft sowie die demographische Entwicklung. Er habe erstmals das Gefühl, dass Themenschwerpunkte gesetzt werden, die auch den Menschen wichtig seien. Fasslabend nannte in diesem Zusammenhang die Balance zwischen europäischem Sozialmodell, wirtschaftlicher Dynamik und Nachhaltigkeit und begrüßte gleichzeitig die Parallelität zwischen Rat und Kommission, die in der Verfassungsdebatte und im so genannten Lissabon-Prozess festzustellen sei. Offensichtlich entstehe hier etwas "Runderes", zeigte sich Fasslabend zuversichtlich. Er appellierte daher, diese Linie beizubehalten und noch stärker herauszustreichen, damit eine europäische Linie entstehen könne, unabhängig von der jeweiligen Präsidentschaft.

Auch Abgeordneter Caspar Einem (S) hielt die Festigung des Vertrauens in die EU für notwendig, fragte aber, welche konkreten Schritte vorgesehen seien. Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) zeigte sich froh darüber, dass die österreichische Präsidentschaft nicht beabsichtige, einzelne Teile aus der Verfassung heraus zu brechen, und Abgeordnete Barbara Rosenkranz (F) unterstrich die Notwendigkeit eines einheitlichen Auftritts Europas nach außen. Die Integration in der EU schreite sehr schnell, oft zu schnell voran, Europa gelinge es aber nicht, mit einer Sprache zu sprechen, sagte sie. Dazu stellte Sektionschef Scheide fest, die Verfassung würde eine Handhabe bieten, um die europäische Linie und eine einheitliche Außenpolitik zu stärken. Botschafter Heiss glaubte, dass eine Einigung über den Haushalt und die Dienstleistungsrichtlinie Vertrauen schaffen könnte, da damit die Funktionsfähigkeit der Union unter Beweis gestellt würde.

Des öfteren wurde von den Abgeordneten die Energiefrage angesprochen. So erkundigte sich Abgeordneter Caspar Einem (S), ob daran gedacht sei, die Rahmenbedingungen für Investitionen und Reservehaltung neu zu überlegen. Die Liberalisierung habe nämlich die Neigung zu Investitionen eher reduziert, so sein negativer Befund. Auch Abgeordneter Werner Fasslabend (V) hielt neue Weichenstellungen für notwendig. Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) machte sich für die Unterstützung erneuerbarer Energien stark und meinte, dass beim Ausbau erneuerbarer Energien weniger Investitionen in die Netze nötig seien. Dazu erläuterte Botschafter Heiss, dass die genannten 600 Mrd. € Investitionen einem Grünbuch der Kommission entnommen seien und darin Investitionen in erneuerbare Energien mit eingeschlossen seien. In Zukunft werde man sich vor allem näher mit der Vorratshaltung und mit der Sicherung der Infrastruktur beschäftigen müssen. Grundsätzlich werde der Klimaschutz im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie ein Thema beim Gipfel im Juni sein, sagte Heiss.

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) thematisierte die Frauenbeschäftigung und übte Kritik, dass ein Großteil der Frauen nur Teilzeit arbeitet oder geringfügig beschäftigt ist. Auch Abgeordnete Barbara Rosenkranz (F) ging auf die Situation des Arbeitsmarktes ein, der durch einen starken Verdrängungswettbewerb und einem Druck auf die Löhne geprägt sei. Obwohl die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerpunkt jeder Regierung sei, gebe es eine starke Abwärtsentwicklung, so Rosenkranz. Es stiegen aber nicht nur die Arbeitslosenzahlen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten steige. Dazu komme auf Grund der demographischen Situation ein weiteres Strukturproblem. Die Abgeordnete zeigte sich skeptisch gegenüber der Dienstleistungsrichtlinie und meinte, österreichische Arbeitsplätze würden kaum durch eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes gesichert oder geschaffen werden können. Dazu hielt Botschafter Heiss unter Hinweis auf seine einleitende Stellungnahme fest, man müsse ein Umfeld schaffen, das zu beschäftigungswirksamen Investitionen anrege. Die Kompetenzen lägen jedoch bei den Mitgliedstaaten.

Angesprochen auf die Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten von den Abgeordneten Caspar Einem (S) und Ulrike Lunacek (G) hielt Sektionschef Scheide zunächst fest, dass es nach dem für alle überraschenden Wahlausgang in Palästina zahlreiche Stellungnahmen seitens der EU gegeben habe und auch der Außenministerrat habe sich eingehend mit dem Thema beschäftigt. Das Problem sei, so Scheide, dass die Hamas auf der Terrorliste stehe, weshalb man auf EU-Seite und im Nahost-Quartett Bedingungen für die Zusammenarbeit mit einer von der Hamas geführten Regierung formuliert habe. Diese beträfen die Anerkennung des Existenzrechts Israels, den Gewaltverzicht und die Anerkennung der bisherigen Fortschritte im Oslo-Prozess. Die Road-Map stelle auch weiterhin ein wichtiges Instrumentarium dar, sagte Scheide, sein Optimismus sei jedoch begrenzt. Jedenfalls halte er in dieser schwierigen Situation Unilateralismus für nicht gangbar. Lösungen müssten von allen Streitparteien akzeptiert werden. Die EU sei vor allem um Hilfeleistungen für die palästinensische Bevölkerung bemüht.

Hinsichtlich des Westbalkans, auf den die Abgeordneten Caspar Einem (S) und Ulrike Lunacek (G) eingegangen waren, sagte Scheide, man sei mit dem EU-Vermittlungsteam in ständigem Kontakt. Die Frage von Assoziierungsabkommen werde sich sicherlich stellen. Zur Frage der Visa-Erleichterungen, für die sich Abgeordnete Lunacek interessiert hatte, habe die EU-Kommission eine Mitteilung bezüglich Westbalkan veröffentlicht.

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) erkundigte sich auch, ob die Präsidentschaft vorhabe, in die Schlussfolgerungen die Feststellungen aufzunehmen, dass Atomwaffen kein Mittel der Politik seien. Die atomare Aufrüstung Frankreichs hielt sie für äußerst problematisch. Die EU selbst verfüge über keine Atomwaffen, daher könne dies auch kein Thema in den Schlussfolgerungen sein, reagierte Scheide, gab aber der Abgeordneten in ihrer Einschätzung recht.

Scheide nahm auch zur Frage des Gefangenenlagers Guantanamo Stellung, nachdem Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) auf einen Bericht der UNO eingegangen ist, in dem die Schließung des Lagers verlangt wird. Er gehe davon aus, dass dieses Thema beim Gipfel mit den USA angesprochen werde, stellte aber grundsätzlich fest, dass die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten eine zentrale Frage darstelle, um auf internationaler Ebene Fortschritte zu erzielen.

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) hatte in ihrer Wortmeldung auch die Wichtigkeit der Meinungs- und Medienfreiheit unterstrichen, und appellierte an die Präsidentschaft, dafür zu sorgen, dass alle JournalistInnen bei Pressekonferenzen zugelassen würden, egal, was sie fragen könnten. Die Abgeordnete replizierte damit auf einige Vorfälle im Zusammenhang mit Treffen mit russischen und chinesischen Politikern. Scheide meinte dazu, im konkreten Fall sei ein Journalist nicht aus politischen Gründen abgewiesen worden, sondern aus Sicherheitsgründen, was sich im nachhinein als ein bedauerliches Versehen herausgestellt habe. Beim Treffen mit Russland würden alle Journalisten zugelassen, versicherte er.
     
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