Dortmund (esa) - ESA-Astronaut Thomas Reiter aus Deutschland wird voraussichtlich im Mai mit dem US-Space
Shuttle STS-121 zur Internationalen Raumstation (ISS) starten und damit in Kürze als erster Europäer
eine Langzeitmission an Bord der Station absolvieren. Diese sechs- bis siebenmonatige Mission wird eine Reihe bedeutender
Meilensteine für Europas Astronauten, seine Wissenschaft und seine Kontrollzentren markieren.
Zwei Tage nach seiner Ankunft auf der ISS wird Reiter seine Funktion als zweiter Flugingenieur der Bordmannschaft
„Expedition 13“ übernehmen. Als erster Europäer in einer „Expedition“-Mannschaft wird er sich zahlreichen
wichtigen Aufgaben auf den Gebieten der Nutzung von Systemen und Anwendung von Verfahren für die Lenkung und
Kontrolle der ISS, der Überwachung der Umgebung, der Lebenserhaltungssysteme, der Gesundheit und Sicherheit
der Mannschaft sowie der Außenbordeinsätze widmen, um nur einige zu nennen. Reiters Erfahrungen bei
Außenbordeinsätzen werden ihm bereits kurz nach seiner Ankunft zugute kommen: Ende Mai soll er als erster
Europäer einen Außenbordeinsatz von der ISS aus unternehmen.
Die Ankunft Reiters auf der ISS bedeutet auch die Rückkehr von zwei- zu dreiköpfigen „Expedition“-Mannschaften.
Seit dem „Columbia“-Unglück im Februar 2003 waren keine dreiköpfigen Mannschaften mehr im Einsatz. Die
beiden anderen Mitglieder der „Expedition 13“-Mannschaft, ISS-Kommandant Pawel Winogradow (Roskosmos) und ISS-Flugingenieur
Jeffrey Williams (NASA), werden vor Reiter mit dem für den 1. April geplanten Sojus-Flug 12S auf der ISS ankommen.
Mit der Rückkehr zu einer Dreiermannschaft erhöht sich die Zeit, die der Mannschaft für wissenschaftliche
Forschung zur Verfügung steht. Für Reiters Mission wurde erstmals ein europäisches wissenschaftliches
Programm zusammengestellt, das auf einen Langzeitaufenthalt auf der ISS zugeschnitten ist. Dieses Programm, zu
dem hauptsächlich wissenschaftliche Einrichtungen aus ganz Europa beigetragen haben, erstreckt sich auf die
Bereiche Humanphysiologie, komplexe Plasmaphysik und Strahlungsdosimetrie. Reiter wird außerdem bei der Inbetriebnahme
mehrerer von der ESA entwickelter Experimenteinrichtungen mitwirken, nämlich des Lungenfunktionssystems, der
europäischen Pflanzenzuchtvorrichtung für Schwerelosigkeitsforschung und der -80°C erreichenden Gefriereinrichtung
MELFI. Außerdem sind Technologiedemonstrationen, industrielle Experimente und Bildungsvorhaben geplant.
Was die Kontrolle dieser Mission betrifft, so wird erstmals ein europäisches Kontrollzentrum für eine
bemannte Langzeitmission zur ISS zum Einsatz kommen. Angesiedelt ist es beim Columbus-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen
bei München, das für das im Jahr 2007 zu startende europäische Columbus-Labor eingerichtet wurde.
Das Kontrollzentrum wird die Haupteinrichtung für die europäischen Aktivitäten während dieser
Mission sein und die Tätigkeiten Reiters überwachen und koordinieren sowie für die Abstimmung mit
den Missionskontrollzentren in Houston und Moskau, dem Europäischen Astronautenzentrum in Köln und verschiedenen
Nutzerunterstützungs- und Betriebszentren in ganz Europa sorgen. Das im Auftrag der ESA vom Deutschen Zentrum
für Luft- und Raumfahrt (DLR) geleitete Columbus-Kontrollzentrum unterstützt von seinen Kontrollräumen
aus bereits die Vorbereitung und Simulation von Missionen.
Die zusätzliche Komplexität und die neuen Verantwortlichkeiten für die Bodenkontrollteams und für
Reiter im Weltraum läuten eine neue Ära in Europas Beteiligung an der ISS ein und werden Europa im Vorfeld
des Starts seines Columbus-Labors wertvolle Erfahrungen bei der langfristigen wissenschaftlichen Nutzung der ISS
verschaffen.
Der gebürtige Frankfurter Reiter, der auch als erster Deutscher zur ISS fliegen wird, war zuvor als ESA-Astronaut
an der 179-tägigen Mission Euromir 95 auf der Vorgängerin der ISS, der russischen Raumstation Mir, beteiligt.
30 Tage nach seiner Ankunft auf der ISS wird er erneut Geschichte schreiben: Dann nämlich wird er mit dem
früheren ESA-Astronauten Jean-Pierre Haigneré als Europäer mit dem längsten kumulierten Aufenthalt
im Weltraum gleichziehen. Haigneré hat in zwei Missionen, darunter die 189-tägige ESA/CNES-Mission
Perseus zur Mir im Jahr 1999, insgesamt 209 Tage im Weltraum verbracht. Am Ende seiner Mission könnte Reiter
zum exklusiven Kreis der Astronauten gehören, die länger als ein Jahr im All waren.
Zur Vorbereitung dieser Mission hat Reiter, der dem in Köln angesiedelten Europäischen Astronautenkorps
(EAC) angehört, in den ISS-Ausbildungseinrichtungen in Houston, Moskau und Köln ein umfassendes Trainingsprogramm
durchlaufen. Dasselbe Programm hat auch der Reserveastronaut für diese Mission, Reiters französischer
EAC-Kollege Léopold Eyharts, absolviert, der somit nicht nur auf diese Mission, sondern auch auf seine Rolle
als Hauptastronaut bei einer künftigen ESA-Mission zur ISS in Verbindung mit dem Columbus-Labor bestens vorbereitet
ist. Bevor er im August 1998 zum EAC stieß, hat Eyharts als CNES-Astronaut an der Mission Pégase zur
Mir (29. Januar bis 19. Februar 1998) teilgenommen.
Nach den gegenwärtigen Planung wird Reiter im Dezember mit dem Raumtransporterflug STS-116 zur Erde zurückkehren.
An diesem Flug, einer ISS-Montagemission, wird auch sein schwedischer Kollege Christer Fuglesang teilnehmen. Nach
dem Rückflug der beiden anderen Mitglieder der „Expedition 13“ zur Erde am 24. September wird Reiter für
die Restdauer seiner Mission auch für die „Expedition 14“ zweiter Flugingenieur sein.
Die Mission ist Gegenstand einer Vereinbarung zwischen der ESA und der russischen Föderalen Raumfahrtagentur
Roskosmos. Diese Vereinbarung, die Reiters Flug auf einer Position regelt, die ursprünglich für ein russisches
Mannschaftsmitglied vorgesehen war, wird gestützt durch eine trilaterale Vereinbarung zwischen der ESA, Roskosmos
und der NASA. |