Bundestagspräsident Norbert Lammert im Gespräch mit Abgeordneten
Wien (pk) - Nach seinem Gespräch mit Nationalratspräsident Andreas Khol traf der Präsident
des Deutschen Bundestages Norbert Lammert am Montag (27. 02.) zu einem Meinungsaustausch mit österreichischen
Mandataren unter der Leitung des Obmanns der österreichisch-deutschen parlamentarischen Freundschaftsgruppe
Kurt Eder (S) zusammen.
Einleitend gab Bundestagspräsident Lammert seine Freude über die exzellenten Beziehungen zwischen Deutschland
und Österreich und die ebenso exzellenten Kontakte zwischen den beiden Parlamenten zum Ausdruck. "Die
parlamentarischen Freundschaftsgruppen sorgen unabhängig von den jeweiligen Regierungskonstellationen für
Kontinuität in den Beziehungen zwischen den Ländern", zeigte sich Lammert überzeugt.
Der Bundestagspräsident registrierte ein hohes Maß an Übereinstimmung und an sehr nahe beieinander
liegenden Positionen zwischen Österreich und Deutschland. In der Frage des Europäischen Verfassungsvertrages
sei zwischen den beiden Ländern keine substantielle Differenz zu erkennen, es geht für Lammert darum,
diesen Text "ins Leben zu heben". Das werde seine Zeit brauchen, daher wolle er keine Spekulationen über
den Zeitpunkt anstellen. Als "sehr nahe beieinander" charakterisierte Lammert auch die österreichischen
und deutschen Positionen beim Thema Dienstleistungsrichtlinie. "Gäbe es überall in Europa so viel
Übereinstimmung wie zwischen Deutschland und Österreich, ginge es Europa besser", sagte Präsident
Lammert.
In welcher Form in Deutschland ein Gleichklang zwischen Bundestag und Bundesrat im geplanten Subsidiaritätsprüfungsverfahren
hergestellt werden solle, sei noch nicht entschieden, erfuhr Bundesrats-Vizepräsident Jürgen Weiss von
Präsident Lammert. Derzeit laufe in Deutschland eine Diskussion über die Reform des Föderalismus,
informierte Lammert und machte darauf aufmerksam, dass die Mitwirkungsrechte des Bundesrates in Zusammenhang mit
dem Maastricht-Vertrag stärker seien als jene des Bundestages.
Den zweiten Themenkomplex des Gesprächs bildete die Beschäftigungspolitik und die Frage der Sicherung
der sozialen Systeme. Die beiden Regierungspartner in Deutschland seien sich über die Priorität beider
Themen einig. Ein Konsens über neue Ansätze in der Arbeitsmarktpolitik bestehe aber noch nicht. Die von
CDU/CSU vorgeschlagenen gesetzlich abgestützten Betriebsbündnisse zur Sicherung bestehender oder zur
Schaffung neuer Arbeitsplätze stoße bei der SPD auf Widerstand, weil dabei vorgesehen sei, von Tarifverträgen
abweichen zu können, erläuterte Lammert. Konsens bestehe hingegen über die Notwendigkeit einer Reform
des Systems der sozialen Sicherung und weitgehender Konsens auch darin, das Pensionsalter langfristig auf 67 Jahre
anzuheben.
Abgeordnete Renate Csörgits (S), die zu bedenken gab, dass eine Anhebung des Pensionsalters die Arbeitsmarktchancen
junger Menschen weiter verschlechtern würde, machte Lammert darauf aufmerksam, dass derzeit in Deutschland
Geborene eine Lebenserwartung von rund 100 Jahren haben. Angesichts dieser Entwicklung sei es einsichtig, dass
es nicht beim faktischen Pensionsalter von derzeit 63 Jahren bleiben könne. Skepsis äußerte Lammert
gegenüber Vorschlägen für die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, weil dies eine neue
Steuer für die Unternehmen wäre, die deren Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen würde.
Zudem würde es die Struktur der Rechtsansprüche verändern, wenn die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme
von Beiträgen aus Erwerbseinkommen zu einer Steuer hin verschoben würde.
Auf die diesbezügliche Frage des Abgeordneten Walter Tancsits (V), beschrieb Präsident Lammert schließlich
den Konsens der deutschen Koalitionsparteien in der Frage der Finanzierung des Sozialsystems mit der Absicht, die
Beitragsbasis zu verbreitern und gleichzeitig stärker von den Erwerbseinkommen abzukoppeln. |