Die Europäische Kommission legt ihre Energiestrategie für Europa dar
Brüssel (eu-int) - Die Grundlagen einer europäischen Energiepolitik wurden von der Europäischen
Kommission in einem wichtigen neuen Grünbuch dargelegt, in dem dazu aufgerufen wird, zu sechs speziellen vorrangigen
Bereichen mit mehr als 20 konkreten Vorschlägen für mögliche neue Maßnahmen Stellung zu nehmen.
"Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts im Energiebereich erfordern eine gemeinsame Antwort der EU. Die
EU ist für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energieversorgung der europäischen Bürger
von grundlegender Bedeutung. Eine gemeinsame Vorgehensweise, die gemeinsam nach außen vertreten wird, wird
es Europa ermöglichen, die Suche nach Energielösungen anzuführen", betonte der Präsident
der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso.
"Die Vollendung des Binnenmarktes, der Klimaschutz und die Versorgungssicherheit sind gemeinsame Herausforderungen
im Energiebereich, die gemeinsame Lösungen erfordern. Es ist Zeit für eine neue europäische Energiepolitik",
erklärte das für Energie zuständige Mitglied der Kommission, Andris Piebalgs.
Auf dieser Grundlage wird im Grünbuch skizziert, wie eine europäische Energiepolitik die drei zentralen
Ziele der Energiepolitik - nachhaltige Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit ? erreichen
könnte.
Die Entwicklung einer europäischen Energiepolitik wird eine langfristige Aufgabe sein. Als Grundlage für
diesen Prozess schlägt die Kommission vor, dass dem Rat und dem Parlament in regelmäßigen Abständen
ein Bericht über die Überprüfung der EU-Energiestrategie vorgelegt wird, in dem alle energiepolitischen
Fragen behandelt werden. Die Überprüfung würde eine regelmäßige Bestandsaufnahme und
einen Aktionsplan für den Europäischen Rat und das Parlament umfassen, wobei die erzielten Fortschritte
festgestellt und neue Herausforderungen und Antworten zu allen Aspekten der Energiepolitik aufgezeigt würden.
Es wurden sechs vorrangige Bereiche benannt
Zur Vollendung des Energiebinnenmarktes werden im Grünbuch neue Maßnahmen in Betracht gezogen,
zum Beispiel ein europäischer Energienetz-Kodex, ein vorrangiger europäischer Verbundplan, ein europäischer
Energieregulierer und neue Initiativen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, vor allem im Hinblick
auf die Entflechtung der Netze von den im Wettbewerb erbrachten Tätigkeiten. Konkrete Vorschläge werden
vor Jahresende vorgelegt werden.
Der zweite vorrangige Bereich betrifft die Versorgungssicherheit im Energiebinnenmarkt, um die Solidarität
zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Zu den möglichen Maßnahmen, die vorgeschlagen wurden,
gehören die Einrichtung einer europäischen Stelle zur Beobachtung der Energieversorgung und eine Überprüfung
der bestehenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über die Erdöl- und Erdgasvorräte dahingehend,
dass sie die Bewältigung potenzieller Versorgungsunterbrechungen gewährleisten.
Ein stärker nachhaltig ausgerichteter, effizienterer und vielfältigerer Energieträgermix ist der
dritte vorrangige Bereich. Die Entscheidung eines Mitgliedstaates für einen bestimmten Energieträgermix
ist und bleibt Sache der Mitgliedstaaten, allerdings wirken sich die Entscheidungen eines Mitgliedstaates unweigerlich
auf die Energieversorgungssicherheit seiner Nachbarländer und der Gemeinschaft insgesamt aus. Dieses Ziel
könnte durch eine Überprüfung der EU-Energiestrategie erreicht werden, bei der alle Aspekte der
Energiepolitik behandelt und alle Vor- und Nachteile verschiedener Energiequellen, von erneuerbaren Energien bis
hin zur Kohle und Kernenergie, analysiert werden. Dies wiederum könnte nach und nach dazu führen, dass
auf Gemeinschaftsebene Ziele für den Gesamtenergieträgermix in der EU zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit
bei gleichzeitiger Wahrung des Rechts der Mitgliedstaaten, ihre eigenen energiepolitischen Entscheidungen zu treffen,
festgelegt werden.
Für den vierten Aktionsbereich schlägt die Kommission eine Reihe von Maßnahmen vor, um den Herausforderungen
im Bereich der globalen Erwärmung zu begegnen. Insbesondere legt sie dar, welche Punkte Gegenstand eines Aktionsplans
für Energieeffizienz sein könnten, den die Kommission im Verlauf dieses Jahres annehmen will. In diesem
Aktionsplan werden Maßnahmen aufgezeigt werden, die erforderlich sind, damit die EU 20 % der Energie, die
sie ansonsten bis 2020 verbrauchen würde, einsparen kann. Ferner wird in ihm vorgeschlagen, dass die EU einen
neuen Fahrplan für erneuerbare Energiequellen in der EU mit möglichen Zielvorgaben bis 2020 und darüber
hinaus ausarbeitet, um ein stabiles Investitionsklima für mehr wettbewerbsfähige erneuerbare Energie
in Europa zu schaffen.
Energieeffiziente und kohlenstoffarme Technologien stellen einen schnell wachsenden internationalen Markt dar,
der in den kommenden Jahren ein Volumen von mehreren Milliarden Euro haben dürfte. Ein strategischer Plan
für Energietechnologien, der im fünften Aktionsbereich des Grünbuchs angeregt wird, soll dafür
sorgen, dass die europäischen Industrien bei diesen Technologien und Verfahren der neuen Generation weltweit
führend sind.
Schließlich wird im Grünbuch die Notwendigkeit einer gemeinsamen Energieaußenpolitik betont. Um
auf die Herausforderungen reagieren zu können, die durch eine wachsende Nachfrage, hohe und volatile Energiepreise,
eine steigende Importabhängigkeit und die weltweite Erwärmung gegeben sind, muss Europa in der internationalen
Arena mit einer Stimme sprechen. Hierzu schlägt die Kommission vor, dass im Zuge der Überprüfung
der Energiestrategie Folgendes geleistet wird: Es sollten vorrangige Infrastrukturen, die für die Versorgungssicherheit
der EU wichtig sind (einschließlich Pipelines und LNG-Terminals), ermittelt und konkrete Maßnahmen
vereinbart werden, um ihre Verwirklichung zu gewährleisten, ein Fahrplan für die Gründung einer
europaweiten Energiegemeinschaft mit einem gemeinsamen Regelungsraum erarbeitet werden, ein neuer Ansatz für
die Beziehungen zu den europäischen Partnern, einschließlich Russland, herausgestellt werden, der unserer
gegenseitigen Abhängigkeit Rechnung trägt, und schließlich ein neuer Gemeinschaftsmechanismus vorgeschlagen
werden, um schnell und koordiniert auf Energieversorgungsnotfälle in Drittländern reagieren zu können.
Dies ist eine Auswahl der im Grünbuch skizzierten Vorschläge. Die Kommission wird anhand der Antworten
und der Stellungnahmen zu einer sicherlich sehr breiten öffentlichen Konsultation sowie der Schlussfolgerungen
des Europäischen Rates und des Parlaments eine Reihe konkreter Maßnahmen vorschlagen.
Anhang:
Rahmenbedingungen für die Konzipierung der EU-Energiepolitik
Zentrale Herausforderungen für die EU im Energiebereich:
- Es besteht dringender Investitionsbedarf. Allein in Europa werden in den nächsten 20 Jahren Investitionen
von annähernd einer Milliarde Euro erforderlich sein, um die voraussichtliche Energienachfrage zu decken und
die alternde Infrastruktur zu ersetzen.
- Unsere Importabhängigkeit nimmt zu. Wenn wir die heimische Energieerzeugung nicht wettbewerbsfähiger
machen, wird der Energiebedarf der Union in den nächsten 20 bis 30 Jahren zu 70 % (statt wie derzeit zu 50
%) durch Importe gedeckt werden, wobei einige aus Regionen stammen, in denen unsichere Verhältnisse drohen.
- Die Energiereserven sind in einigen wenigen Ländern konzentriert. Derzeit wird annähernd die Hälfte
des EU-Erdgasverbrauchs durch nur drei Länder (Russland, Norwegen und Algerien) gedeckt. Falls die aktuellen
Trends anhalten, dürfte sich die Abhängigkeit von Erdgaseinfuhren in den nächsten 25 Jahren auf
80 % erhöhen.
- Die weltweite Energienachfrage steigt. Die weltweite Energienachfrage und der weltweite CO2-Ausstoß werden
bis 2030 voraussichtlich um rund 60 % steigen. Der weltweite Erdölverbrauch ist seit 1994 um 20 % gestiegen,
und laut Prognosen dürfte die weltweite Erdölnachfrage jährlich um 1,6 % wachsen.
- Die Erdöl- und Erdgaspreise steigen. In der EU haben sie sich in den letzten zwei Jahren fast verdoppelt,
und die Strompreise folgen dieser Entwicklung. Angesichts der steigenden weltweiten Nachfrage nach fossilen Brennstoffen,
stark beanspruchter Versorgungsketten und der zunehmenden Importabhängigkeit werden wir voraussichtlich weiter
mit hohen Erdöl- und Erdgaspreisen rechnen müssen. Diese Entwicklung ist für die Verbraucher kurzfristig
schwierig, sie kann jedoch Impulse für mehr Energieeffizienz und Innovation auslösen.
- Unser Klima wird wärmer. Dem zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) zufolge
haben die Treibhausgasemissionen bereits eine Erwärmung der Welt um 0,6°C bewirkt. Falls nichts unternommen
wird, wird bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine Temperaturerhöhung um 1,4 bis 5,8°C zu verzeichnen sein.
Alle Regionen der Welt - auch die EU ? werden mit gravierenden Auswirkungen auf ihre Wirtschafts- und Ökosysteme
konfrontiert sein.
- In Europa ist noch kein vollständig vom Wettbewerb geprägter Energiebinnenmarkt entstanden. Erst
wenn es einen solchen Markt gibt, werden die Bürger und Unternehmen in der EU in vollem Umfang von der Versorgungssicherheit
und von niedrigeren Preisen profitieren. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten Verbindungsleitungen ausgebaut, wirksame
Rechts- und Regulierungsrahmen geschaffen und vollständig in der Praxis angewandt und die Wettbewerbsvorschriften
der Gemeinschaft rigoros durchgesetzt werden. Ferner sollte die Konsolidierung des Energiesektors vom Markt ausgehen,
wenn Europa den vielen Herausforderungen, vor denen es steht, erfolgreich begegnen und sinnvolle Investitionen
für die Zukunft tätigen soll.
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