Kassel (universität) - Trotz Amazon, eBay und anderen erfolgreichen
E-Commerce-Aktivitäten leidet der Internet-Handel noch immer unter dem Problem fehlenden Vertrauens. Die Vorteile
des Internet, jederzeit sofort ohne Ortswechsel Geschäfte abschließen zu können, werden begleitet
durch die Nachteile, dass keine menschlichen Beziehungen entstehen, viele notwendigen Informationen vermisst werden
und die gewohnte schützende gesellschaftliche Einbettung der Vorgänge fehlt. Damit erscheinen weder die
Kooperationspartner noch die Kooperationssituation vertrauenswürdig.
Grundlagen der Vertrauensbildung im Internet untersucht und entwickelt das Forschungsprojekt "Vertrauenskapseln
für Geschäftsprozesse im Internet (TrustCapsules)", das von der DFG für den Zeitraum vom 1.1.2006
bis 31.12.2007 gefördert wird. Es verfolgt mit dem Konzept der Vertrauenskapseln einen Ansatz, der technische,
rechtliche und psychologische Aspekte zusammenführt, um das Internet zu einem Marktplatz für Geschäfte
zu machen, auf dem sich Nachfrager und Anbieter vertrauensvoll begegnen und miteinander kooperieren können.
Das Projekt TrustCaps geht der Frage nach, wie die Vertrauen begründenden Wesensmerkmale herkömmlicher
Geschäftsprozesse auf Geschäftsprozesse im Internet übertragen werden können. Im Wesentlichen
geht es um drei Merkmale, die zusammen Vertrauen und damit Handlungssicherheit begründen:
- Käufer und Verkäufer begegnen sich persönlich in einem physischen Raum (gleiche Zeit, gleicher
Ort, gleicher lokaler Kontext),
- sie befolgen ihnen bekannte Kooperationsschemata und kommunizieren implizite und explizite Informationen mit
allen verbalen und nonverbalen Kommunikationsmitteln direkt miteinander und
- sie sind in den gleichen, ihnen vertrauten gesellschaftlichen und rechtlichen Kontext eingebettet.
Geschäftsprozesse im Internet sind dem gegenüber dadurch gekennzeichnet, dass Käufer und Verkäufer
keinen persönlichen Kontakt in einem physischen Raum (und damit auch nicht notwendig einen gemeinsamen lokalen
Kontext) haben, dass sie beide auf die Informationen und Interaktionen eingeschränkt sind, die ihnen das IT-System
explizit über Bildschirm, Tastatur und Maus bietet, und dass sie weder als gegeben voraussetzen können,
dass diese Kommunikation kongruente Bilder liefert, noch dass es insbesondere auf dem globalen Markt eine ihnen
gemeinsame gesellschaftliche und rechtliche Einbettung gibt. Dabei kommt in der Regel erschwerend hinzu, dass auf
der Verkäuferseite keine natürliche Person agiert, sondern ein Programm.
TrustCaps verfolgt den Ansatz, Verlässlichkeit und damit Vertrauen zu erreichen, indem den Vertragspartnern
angeboten wird, ihren Geschäftsprozess in einer Vertrauenskapsel abzuwickeln. Die Vertrauenskapsel bietet
vertraute und gesicherte Bedingungen, auf die sich die Beteiligten verlassen können. Eine Vertrauenskapsel
stellt eine virtuelle Hülle um die an einem Geschäftsprozess Beteiligten dar, innerhalb derer sie sich
bis zu einem bestimmten Grad ihrer Identität, der Ausgewogenheit der einzuhaltenden Spielregeln und der Verlässlichkeit
der verwendeten Ausführungsumgebungen sicher sein können. Dieser Grad hängt ganz wesentlich von
der konkreten, vom Schutzbedarf eines Geschäftsprozesses diktierten Ausbildung der Hülle und ihrer inneren
Ausgestaltung mittels Vertrauensbausteinen ab.
Im Einzelnen wird das Projekt TrustCaps
- Vertrauensbausteine für Geschäftsprozesse im Internet in einer Zusammenführung von psychologischem,
rechtlichem und technischem Sachverstand identifizieren und konzipieren.
- Vertrauenskapseln unter Verwendung von Vertrauensbausteinen konzipieren und realisieren, innerhalb derer Geschäftsprozesse
im Internet überschaubar, nachvollziehbar und mit kalkulierbarem Risiko ablaufen können.
- Regeln zur vertrauensfördernden, informationstechnischen Gestaltung von Prozessen und Schnittstellen in
Vertrauenskapseln erarbeiten und das Zusammenwirken der Vertrauensbausteine in einer Vertrauenskapsel unter adäquat
gestalteten Benutzungsoberflächen im Rahmen eines Referenzszenario für den Marktplatz Internet demonstrieren.
- Vertrauenskapseln prototypisch realisieren und
- im Rahmen einer Simulationsstudie überprüfen.
Das Projekt wird an der Universität Kassel durchgeführt von Prof. Dr. Hans Martin, Institut für
Arbeitswissenschaft (IfA), und Prof. Dr. Alexander Roßnagel, Institut für Wirtschaftsrecht (IWR) und
Forschungszentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG). Sie kooperieren mit Prof. Dr. Claudia Eckert,
Fachbereich Informatik der Technischen Universität Darmstadt und Leiterin des Fraunhofer Instituts für
Sichere Telekooperation (FhG-SIT).
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