Trauerfeier für Leopold Gratz im Parlament  

erstellt am
16. 03. 06

Khol: Lepold Gratz war ein großer und treuer Diener unseres Staates
Wien (pk) - Mit einer Trauerfeier im historischen Sitzungssaal nahm das Parlament am Donnerstag (16. 03.) Abschied von seinem früheren Präsidenten Leopold Gratz. Umrahmt von Musikstücken von Mendelssohn-Bartholdy, Beethoven und Mozart würdigten Nationalratspräsident Andreas Khol, SP-Vorsitzender Klubobmann Alfred Gusenbauer, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Bundespräsident Heinz Fischer Leben und Wirken des am 2. März verstorbenen Politikers. Zu der Trauerfeier hatten sich die Spitzen des Staates, Mitglieder beiden Kammern des Parlaments, die Familie und viele Weggefährten des Verstorbenen im Hohen Haus versammelt.

Nationalratspräsident Andreas Khol würdigte den Verstorbenen als "großen und treuen Diener unseres Staates" und begeisterten Parlamentarier, geprägt vom englischen Parlamentarismus und einer internationalen Dimension. Khol erinnerte an den "Cursus Honorum", den Gratz durchlaufen habe: Klubsekretär, Mitglied des Bundesrats, Abgeordneter zum Nationalrat, Klubobmann, Bundesminister, Bürgermeister und Landeshauptmann, Präsident des Nationalrats. Viele der Vorschläge, die Gratz zur Reform des Parlamentarismus vorgelegt habe, seien umgesetzt worden, konstatierte Khol und erinnerte an die souveräne Art seiner Vorsitzführung im Nationalrat. Größe habe Gratz auch bei seinem Abgang aus der Politik bewiesen. Khol charakterisierte seinen Amtsvorgänger mit zwei Zitaten. Noch bei der Feier seines 75. Geburtstages im Parlament habe Gratz betont, als Demokrat müsse man immer die innere Überzeugung haben, dass auch der andere Recht haben könnte. Und ein Wort von Benjamin Franklin: Wer die Freiheit aufgibt, um die Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.

SP-Vorsitzender und Klubobmann Alfred Gusenbauer würdigte Leopold Gratz als "eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Zweiten Republik". Als Wiener Bürgermeister habe er viel zur Modernisierung der Bundeshauptstadt und ihrer Infrastruktur geleistet und so die Stadt zur einer lebenswerten Stadt für alle Bürgerinnen und Bürger gemacht. Gratz sei ein Politiker mit einem feinen Gespür für die Menschen und deren Bedürfnisse gewesen. Zwischen ihm und der Bevölkerung habe es keine Distanz gegeben, und so habe er Vertrauen erworben, mit dem er sorgsam umgegangen sei. Der Verstorbene sei ein Patriot, aber kein Nationalist, ein "Mann des Gesamtzusammenhangs" und ein bekennender Europäer gewesen, sagte Gusenbauer weiter, und "vom Scheitel bis zur Sohle ein Sir", der dies auch bei medialer Vorverurteilung geblieben sei. Viele trauerten um den großen Staatsmann und Österreicher Leopold Gratz, seine Familie um einen liebevollen Ehemann und Vater, schloss Gusenbauer und richtete ein letztes "Freundschaft!" an den Verstorbenen.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sagte unter Verweis auf die große Zahl an öffentlichen Repräsentanten, diese Zahl der Trauergäste zeige einen Teil des Vermächtnisses von Leopold Gratz. Gratz sei ein urbaner, zutiefst demokratischer Bürger gewesen, der seine Aufgaben stets als Dienst an der Gemeinschaft gesehen habe. Es sei bemerkenswert, dass Gratz alle seine Ämter an zeitgeschichtlichen Schnittstellen übernommen oder abgegeben habe, meinte der Kanzler und verwies dabei unter anderem auf die Jahre 1966, als Gratz Abgeordneter wurde, 1970, als er zum Unterrichtsminister avancierte, und auf das Jahr 1989, in welchem sich Gratz aus der Politik zurückzog. Besondere Verdienste habe er sich als Wiener Bürgermeister und als Außenminister erworben.

Gratz habe sich als Generalist im besten Sinne darum bemüht, das große Ganze und die Zusammenhänge zu sehen. Er sei nie ein engstirniger Parteisoldat gewesen, vielmehr ein überzeugter und vorbildlicher Demokrat. Ein großartiger Parlamentarier, dem das Austauschen von Argumenten wichtig war, der immer auch das Gemeinsame sah. Ein Mensch, der höchst differenziert nach innen, jedoch sehr einfach nach außen gewirkt habe. Ein phantasievoller Gestalter, ein pflichtbewusster Diener seines Staates. Und abschließend: "Wir neigen uns in Ehrfurcht vor seinem Lebenswerk".

Bundespräsident Heinz Fischer erwähnte eingangs, er sei an jenem Tag, an dem Leopold Gratz ins Spital gebracht werden musste, eigentlich mit diesem zum Essen verabredet gewesen. Die Hoffnung, diesen Termin nachzuholen, habe sich nicht erfüllt. Fischer dankte der Präsidialkonferenz für den würdigen Rahmen dieser Trauerfeier in jenem Hause, in dem Gratz so lange, so gerne und so intensiv gearbeitet habe.

Schon 1953 habe die Tätigkeit von Leopold Gratz im Parlament begonnen, damals noch als Mitarbeiter von Bruno Pittermann, und 1961 habe Gratz ihn, Fischer, dazu eingeladen, in die Dienste des Klubs der sozialistischen Abgeordneten und Bundesräte zu treten. Er, Fischer, habe seine Zusage nie bereut, die Zusammenarbeit mit Gratz sei hervorragend gewesen. Gratz habe seine Aufgaben mit einer solchen Bravour gelöst, dass er bald für höhere Aufgaben auserkoren wurde. 1963 wurde Gratz Mitglied des Bundesrates, 1966 Abgeordneter zum Nationalrat.

1967 nahm Gratz ihn, Fischer, auf eine Reise nach Großbritannien mit, um dort den britischen Parlamentarismus zu studieren, der Gratz tief beeindruckt habe. "Fair Play" könne man denn auch als Überschrift für sein Wirken nehmen, hielt der Bundespräsident fest. Nach eineinhalb Jahren als Unterrichtsminister wurde Gratz 1971 Klubobmann, und dies sei eine Aufgabe gewesen, die ihn ganz erfüllt und ihm viel Freude gemacht habe. Nach einigen Tagen Bedenkzeit habe sich Gratz 1973 aber dazu entschlossen, das ihm angetragene Amt des Wiener Bürgermeisters zu übernehmen.

Dies war für Wien eine sehr gute Entscheidung, denn die elf Jahre, da Gratz Bürgermeister war, haben dieser Stadt und ihren Bürgern sehr viel gebracht, von der U-Bahn bis zu kulturellen Einrichtungen, hielt Fischer fest, der sodann auf die Tätigkeit von Leopold Gratz als Außenminister einging. 1986 wurde Gratz Präsident des Nationalrates, und seine Ausgewogenheit, seine Ausgeglichenheit und seine Sicherheit seien darin begründet gewesen, dass er den Parlamentarismus so geschätzt habe, dass dieser ihm so wertvoll gewesen sei.

Fischer ersuchte die Trauergemeinde, Gratz als einen Staatsmann zu würdigen, der unglaublich viel geleistet habe, der ein guter und verlässlicher Freund gewesen sei, ein Humanist, ein gebildeter Mensch, ein großer Österreicher: "Es tut weh, von ihm Abschied nehmen zu müssen."

Mit der Bundeshymne endete die Trauerfeier.
     
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