Hauptausschuss stimmt Vorschlag der Regierung mit V-F-Mehrheit zu
Wien (pk) - Österreich wird den derzeitigen österreichischen Richter am Europäischen
Gerichtshof (EuGH) Peter Jann auch für die nächste Funktionsperiode nominieren. Der Hauptausschuss des
Nationalrats stimmte in einer eigens dafür einberufenen Sitzung einem entsprechenden Vorschlag von Bundeskanzler
Wolfgang Schüssel mit VP-F-Mehrheit zu. Das Mandat Janns wäre am 6. Oktober 2006 ausgelaufen, nunmehr
wird er für weitere sechs Jahre als österreichischer Vertreter am EuGH fungieren.
Heftige Proteste gegen die Entscheidung kamen seitens der Opposition. SPÖ und Grüne sprachen sich dafür
aus, anstelle von Jann die derzeitige österreichische Generalanwältin am EuGH Christine Stix-Hackl als
Richterin zu nominieren und begründeten dies in erster Linie mit dem Alter Janns. Sie wolle die Qualifikation
Janns nicht in Zweifel ziehen, bekräftigte etwa Abgeordnete Terezija Stoisits (G), frage sich aber, warum
das Mandat eines 71-jährigen Richters verlängert werde, eine gleich qualifizierte junge Frau, deren Mandat
ebenfalls auslaufe, jedoch keine Chance bekomme. Stoisits verwies überdies auf in der österreichischen
Rechtsordnung verankerte Altersgrenzen für bestimmte Ämter, etwa für VfGH-Richter, und sprach von
einem "gezielten Austricksen" einer qualifizierten Frau und einer Brüskierung des Nationalrats.
Ähnlich argumentierte die SPÖ, die der neuerlichen Nominierung Janns ursprünglich zugestimmt hatte,
wie Nationalratspräsident Andreas Khol eingangs der Sitzung ausdrücklich festhielt. Den Meinungsumschwung
der SPÖ begründete Zweite Nationalratspräsidentin Barbara Prammer damit, dass ihrer Fraktion bei
der Erstentscheidung ein ganzes Bündel an Informationen nicht zugänglich gewesen sei. Sie hätte
zum Beispiel nicht gewusst, dass es mit Stix-Hackl eine zweite Kandidatin für das Amt gebe. Ein von ihr eingebrachter
Antrag auf Vertagung der Beratungen fand bei der Abstimmung jedoch keine Mehrheit.
Die Koalitionsparteien begründeten die neuerliche Nominierung Janns damit, dass es einen ausdrücklichen
Wunsch des EuGH nach Kontinuität gebe. So machte Abgeordneter Michael Spindelegger darauf aufmerksam, dass
durch die EU-Erweiterung ohnedies zehn neue Richter am EuGH tätig seien. Würden jene 13 Richter aus den
alten EU-Mitgliedstaaten, deren Mandate im Oktober auslaufen, ebenfalls ausgetauscht, wären 23 von 25 Richter
neu im Amt.
ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer gab zu bedenken, dass auch die Opposition die fachliche Qualifikation Janns
nicht anzweifle und verwahrte sich ausdrücklich dagegen, die Entscheidung für Jann als Entscheidung gegen
Stix-Hackl zu interpretieren. Seiner Meinung nach ist die Vorgangsweise bei der Nominierung Janns zudem "präzise
und transparent" gewesen. Sowohl Molterer als auch sein Fraktionskollege Werner Fasslabend unterstrichen,
Österreich wäre gut beraten, in dieser Frage im Konsens vorzugehen.
Abgeordneter Markus Fauland (F) konstatierte, gerade die Wortmeldung von Abgeordneter Stoisits habe verdeutlicht,
zu welchen Leistungen Menschen in hohem Alter fähig seien.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wies darauf hin, dass Jann Präsident der I. Kammer und damit de facto
Vizepräsident des EuGH sei. Als solcher habe er einen weit über die Größe Österreichs
hinausgehenden Einfluss. Zudem sei ihm, Schüssel, mehrfach auf informellem Weg signalisiert worden, dass der
EuGH eine neuerliche Nominierung Janns begrüßen würde. Schüssel gab in diesem Zusammenhang
zu bedenken, dass durch die EU-Erweiterung Richter aus Ländern mit einer ganz anderen Rechtskultur und Judikatur
am EuGH tätig seien und eine Kontinuität nur mit der Wiedernominierung bestehender Mitglieder sichergestellt
werden könne. Die neuerliche Nominierung Janns bedeute nicht, dass es nicht auch andere qualifizierte Personen
für dieses Amt geben würde, bekräftigte Schüssel und äußerte großes Lob für
die Arbeit Stix-Hackls.
Generell hielt der Bundeskanzler fest, für ihn habe bei der österreichischen Besetzung wichtiger Posten
auf EU-Ebene Parteizugehörigkeit nie eine Rolle gespielt. Zur Kritik am Alter Janns merkte er an, Jann habe
ihm versichert, die volle Funktionsperiode am EuGH bleiben zu wollen.
Die Opposition ließ die Argumente seitens der Regierungsparteien nicht gelten. Abgeordneter Caspar Einem
(S) und Zweite Nationalratspräsidentin Barbara Prammer machten etwa geltend, dass die Kontinuität am
Gerichtshof auch bei einer Nominierung Stix-Hackls gewährleistet sein würde, da diese bereits seit mehreren
Jahren als Generalanwältin am EuGH tätig sei. Für Prammer sind die Argumente der ÖVP, wie sie
meinte, "an den Haaren herbeigezogen". Der geschäftsführende Klubobmann der SPÖ Josef
Cap hielt fest, für ihn erhärte sich der Verdacht, Schüssel habe sich bereits vor der Konsultation
des Nationalrats schon längst für Jann entschieden gehabt.
Abgeordnete Terezija Stoisits bedauerte, dass "informelle Wünsche" offenbar mehr zählten als
die Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation.
Peter Jann, 1935 in Wien geboren, wurde 1995 erstmals zum Richter am EuGH ernannt. Zuvor war er fast zwanzig Jahre
Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. Sowohl Janns erste Nominierung als auch seine erste Funktionsverlängerung
erfolgten einstimmig. |