Kontroverse Diskussion im Evangelischen Zentrum um EU-Beitritt der Türkei
Wien (epd Ö) - „Bei der Europäischen Union handelt es sich nicht um eine Wertegemeinschaft.“
Diese Auffassung vertrat der stellvertretende juristische Oberkirchenrat Hon.-Prof. Dr. Raoul Kneucker bei einer
Podiumsdiskussion zum Thema „Die Türkei – diesseits oder jenseits der europäischen Grenzen“ am 27. März
im Evangelischen Zentrum in Wien. In der Diskussion, zu der der Evangelische Arbeitskreis der ÖVP (EAK) und
Bischof Mag. Herwig Sturm geladen hatten, erklärte der Kirchenjurist: „In der EU haben wir eine Wirtschaftsgemeinschaft
erreicht, die sich nun auf den Weg macht, eine politische Gemeinschaft zu werden.“ Die ursprüngliche Grundlage
der EU seien nicht Werte, sondern wirtschaftliche Interessen gewesen. Auch gebe es bisher keine Anzeichen dafür,
„dass die EU-Mitgliedsländer bereit wären, Europa eine Seele zu geben“. Die Werte der politischen Gemeinschaft
– wie Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit – seien in den „Kopenhagener Kriterien“ festgelegt und als solche „nichts
Besonderes“. Solidarität zähle zu diesen Werten nicht.
Die Diskussion um den Beitritt der Türkei in die EU werde jedoch, so Kneucker, im Blick auf Werte geführt,
die über die politischen Werte hinausgehen und in der EU erst in Zukunft zu diskutieren seien. In diesem Zusammenhang
stellte Kneucker auch die Frage: „Worin bestehen christliche Werte, wenn man sie in eine Verfassung schreibt?“
Der Jurist warnte vor einer Verwechslung der verschiedenen Werte-Ebenen und forderte, die Frage eines Beitritts
der Türkei zur EU gelassener zu behandeln, als es bisher geschehen sei. Es gehe auch nicht um geographische
Grenzen, wie etwa um die Frage, ob die Türkei territorial zu Europa gehöre, sondern um die inhaltlichen
Kriterien eines Beitritts.
Menschenrechte sind ein großer Wert
Europa sei „sehr wohl eine Wertegemeinschaft“, betonte dagegen der Direktor des Österreichischen Instituts
für Europäische Sicherheitspolitik, Botschafter Dr. Erich Hochleitner, in der Podiumsdiskussion. So gebe
es ein Gebot zur Homogenität der Leitprinzipien in den Verfassungen und Rechtsstrukturen der EU-Mitgliedsländer.
Europa habe eine gemeinsame Geschichte, Kultur und Geographie, seine christliche Prägung sei ein historisches
Faktum. Nach Auffassung Hochleitners ist die „europäische Qualifikation“ der Türkei unzureichend. Auch
sei Europa derzeit nicht in der Lage, neue Mitgliedsländer aufzunehmen.
Dass Europa nicht nur ein geographischer Begriff, sondern darüber hinaus eine Wertegemeinschaft sei, daran
hielt auch die Vorsitzende des EAK, Dr. Ulrike Baumgartner-Gabitzer, fest. Die Nationalratsabgeordnete, die die
Podiumsdiskussion moderierte, bekräftigte den Standpunkt ihrer Partei, die den Ausgang der Beitrittsverhandlungen
mit der Türkei abwarten und dann in Österreich eine Volksabstimmung durchführen will. Baumgartner-Gabitzer
räumte ein: „Wenn es der EU gelingt, die Türkei auf den Weg der Menschenrechte zu führen, ist das
ein großer Wert.“
„Kein Kulturkampf in Europa“
„Mir geht es darum, dass kein Kulturkampf in Europa entstehen soll“, erklärte die Integrationsbeauftragte
der ÖVP Wien, Landtagsabgeordnete Mag. Sirvan Ekici. Die in der Türkei geborene österreichische
Politikerin schilderte den Verlauf der Beitrittsverhandlungen seit den fünfziger Jahren und betonte, der Verhandlungsprozess
werde noch lange andauern. Dabei gebe es jedoch „eine Menge Notbremsen“. Ekici schlug vor, die Situation „pragmatisch“
zu sehen. So habe sich in der Türkei sehr viel geändert, das Land erlebe einen wirtschaftlichen Aufschwung,
es gebe aber auch kulturelle Unterschiede zum westlichen Europa. Auch in der Türkei seien nicht alle Menschen
für einen EU-Beitritt. Es sei möglich, dass das Land bei steigendem Wirtschaftswachstum in zehn Jahren
einen Beitritt gar nicht mehr anstrebe.
Emotionale Debatte
In der emotional geführten Debatte richteten einige Veranstaltungsteilnehmer heftige Angriffe gegen
die Türkei, der sie Menschenrechtsverletzungen und mangelnde Meinungsfreiheit vorwarfen. Die Kultur des, so
ein Debattenredner, in weiten Teilen „islamisch-fundamentalistischen“ Landes, dessen Regierung im In- und Ausland
doppelzüngig agiere, sei mit christlich-europäischen Traditionen nicht vereinbar, seine Militärmacht
sei lediglich auf „Eroberung“ ausgerichtet. Äußerungen kirchlicher Verantwortlicher in der Türkei,
die für einen EU-Beitritt eintreten, seien, so ein weiterer Diskutant, unter politischem Druck erfolgt.
Demgegenüber erinnerte der Wiener Pfarrer Dr. Hans Volker Kieweler an die jahrtausende-alte Geschichte der
Zusammengehörigkeit des westlichen und östlichen Christentums. In Gemeinsamkeiten und Konflikten sei
diese Entwicklung bis in die Zeit des osmanischen Reiches und der Reformen Kemal Atatürks ein Teil der gemeinsamen
kulturellen Basis des heutigen Europa. Auf den Laizismus als verbindendes Element zwischen der Türkei und
den westeuropäischen Staaten verwies Oberkirchenrat DI Walter Pusch. |