Erklärung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vor dem Nationalrat zum Europäischen
Rat vom 23./24. März
Herr Präsident!
Hoher Nationalrat!
Ich darf kurz zum Europäischen Rat Stellung nehmen. Am Anfang waren viele Themen und Ziele, die wir uns vorgenommen
haben, sehr umstritten. Als wir im Hauptausschuss vorige Woche zusammengekommen sind, war es so, dass praktisch
alle konkreten gemeinsamen Vorhaben von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten abgelehnt beziehungsweise nicht akzeptiert
wurden. Unserem Team ist es jedoch gelungen ausdrücklich hervorheben möchte ich unseren ständigen
Vertreter bei der EU, Botschafter Gregor Woschnagg, die Außenministerin, alle Fachminister, wirklich das
gesamte Team , alle Ziele, die wir uns vorgenommen haben, in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates
unterzubringen. Das ist etwas, was nicht selbstverständlich gewesen ist.
Ein Zweites: Wir haben uns ganz bewusst vorgenommen, dass wir das österreichische Modell einer guten Zusammenarbeit
nicht ohne Diskussionen, aber eine echte, ehrlich gemeinte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ebenen
von Regierung und Sozialpartnern auch auf die europäische Ebene heben wollen. Daher haben wir das geschah
zum ersten Mal die Vertreter der europäischen Sozialpartner zu den Beratungen des Europäischen Rates
hinzugezogen. Der Vertreter der europäischen Gewerkschaften, Méndez, und der Vertreter der europäischen
Arbeitgeber, Seillière, haben gemeinsam mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank ihre
Vorstellungen vorgetragen, wie wir Wachstum und Beschäftigung in Europa beleben können.
Ich glaube, dass da eine österreichische Handschrift zu erkennen ist, etwas, das hoffentlich Schule macht,
denn gemeinsam sind wir zweifelsohne stärker, als wenn jeder auf eigene Faust agiert.
Was ist also bei diesen Beratungen vereinbart worden, meine Damen und Herren, und zwar zunächst einmal im
Bereich Wachstum und Beschäftigung? Wir sind nicht zufrieden mit der Entwicklung der ersten sechs Jahre der
Lissabon-Strategie. Jetzt aber haben wir eine historische Chance: eine steigende Konjunktur, der Optimismus in
den großen EU-Ländern wächst. In Frankreich besteht da vielleicht eine Sondersituation, aber sonst
gibt es recht gute Erwartungen.
Ganz konkret haben wir uns vorgenommen, durch geeignete Maßnahmen vor allem hinsichtlich Rahmenbedingungen
der bald 27 EU-Mitgliedstaaten zwei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze jedes Jahr neu zu fördern,
was ein Beschäftigungswachstum von etwa einem Prozent pro Jahr bedeutet. Das würde bis zum Jahre 2010
zehn Millionen Arbeitsplätze zusätzlich ergeben. Ein ganz wichtiges und konkretes Ziel und dieses ist
auch erreichbar, meine Damen und Herren!
Das ist natürlich nicht von den Regierungen oder von der Kommission zu schaffen, denn Arbeitsplätze werden
von den Betrieben geschaffen, vor allem von den mittelständischen Betrieben, auch ein Thema, das zum ersten
Mal breit auf europäischer Ebene diskutiert wurde. In der EU gibt es 23 Millionen Klein- und Mittelbetriebe
und diese sind unsere Hoffnung in Bezug auf Beschäftigungs- und zusätzliche Wachstumspolitik, und gerade
auch was zusätzliche Arbeitsplätze betrifft.
Wenn wir diesen Betrieben das Arbeiten, das Unternehmen erleichtern, dann lebt die Hoffnung. Nochmals: Es ist das
ein erreichbares Ziel! Nehmen Sie nur Österreich, eines der Länder, das da ja oft als Vorzeigeland genannt
wird, genauso wie Dänemark, Finnland oder Schweden. Österreich gehört zu diesen drei, vier EU-Vorzeigeländern.
In Österreich werden wir heuer voraussichtlich ein Beschäftigungswachstum von 1,3 Prozent haben. Also:
1 Prozent Beschäftigungswachstum für alle ist erreichbar, eben mit Maßnahmen, die wir in Österreich
längst umgesetzt haben. Viele Themen, die wir uns vorgenommen haben, finden sich jetzt im europäischen
Arbeitsprogramm. So sollen zum Beispiel 85 Prozent aller 22jährigen eine allgemeine höhere Bildung abgeschlossen
haben. Jeder junge Europäer soll bis Ende 2007 entweder einen Arbeitsplatz, eine Lehrstelle oder eine Weiterbildungsmöglichkeit
angeboten bekommen bis Ende 2010 sogar innerhalb von vier Monaten.
Weiteres Ziel: Reduzierung der Zahl der Schulabbrecher auf 10 Prozent. Das ist meiner Meinung nach überhaupt
einer der wichtigsten Punkte, dass wir die jungen Menschen in dieser Wachstum- und Beschäftigungsstrategie
nicht vergessen, sondern ihnen alle Chancen der Welt ermöglichen!
Im Bereich Forschung gibt es ganz konkrete Unterstützung durch das anfangs sehr umstrittene Europäische
Institut für Technologie. Dazu hat es ja genau die gleiche Diskussion wie in Österreich gegeben: Die
europäischen Universitäten haben sich gefürchtet, dass ihnen Geld weggenommen wird, das Max-Planck-Institut
beispielsweise oder auch andere Institutionen haben die Sorge geäußert, das Parallelbürokratien
entstehen würden. Wir haben ein Ja zum Europäischen Institut für Technologie erreicht, aber: Da
darf es keine Mega-Bürokratie geben, sondern das hat ein schlankes und schlagkräftiges Netzwerk zu sein.
Wir werden heute mit dem Beschluss zum österreichischen IST, dem Institute of Science and Technology, goldrichtig
liegen, denn damit haben wir den Anschluss an diese europäische Strategie geschafft.
Ganz konkret ist auch das gemeinsame Ziel: drei Prozent für Forschung. Das war weit, weit entfernt wir liegen
jetzt bei zwei Prozent. Zum ersten Mal ist es uns gelungen, dass wir in einem Annex festgeschrieben haben, was
jedes einzelne Land leisten muss, um dieses gemeinsame Ziel die Steigerung des Forschungszuwachses pro Jahr
zu erreichen.
Wir haben uns daneben noch vorgenommen, den Mittelstand besonders ins Zentrum zu rücken. Wir wollen geringere
Gebühren, vereinfachte Berichtspflichten in der Statistik, ein wichtiges und zugleich ärgerliches Thema
für alle Klein- und Mittelbetriebe, umsetzen. Wir haben den Auftrag an die Kommission erteilt, dass sie berechenbare
und quantifizierbare Richtlinien vorlegt, wie man die Verwaltungskosten für kleine Betriebe senken kann. Das
haben die Niederländer exzellent vorexerziert, und wir werden uns überlegen, ob wir nicht dieses Modell,
das jetzt auch die Kommission prüft, auf Österreich übertragen wollen.
Wir wollen es einem Jungunternehmer ermöglichen, innerhalb einer Woche einen Betrieb gründen zu können;
wir wollen eine zentrale Anlaufstelle, einen One-Stop-Shop bis 2007 schaffen. Die Kommission hat nach längerem
Widerstand sogar zugestimmt, die Höhe der so genannten De-minimis-Regel, unterhalb der keine Überprüfung
mit Verzerrung des Binnenmarktes durch die Kommission stattfindet, zu verdoppeln. Damit ist eine langjährige
Forderung Österreichs erstmals erfüllt.
Wir haben die Europäische Investitionsbank in die Pflicht genommen. Sie wird jetzt für Forschung, für
die Transeuropäischen Netze und die Mittelstandsfinanzierung wesentlich mehr Geld ausgeben, für Mittelstand
und F & E 15 Milliarden Euro zusätzlich und für Energieeffizienz und Transeuropäische Netze
ebenfalls 25 Milliarden Euro zusätzlich. Ganz konkrete Maßnahmen, die mithelfen werden, das Ziel, zwei
Millionen Jobs pro Jahr zusätzlich, erreichen zu können.
Sehr spannend war natürlich die Debatte um die neue Energiepolitik. Das ist ein neues Thema, sicherlich auch
durch den Weckruf Anfang des Jahres hervorgerufen, als die Gaslieferungen von Russland halbiert wurden. Bundesminister
Martin Bartenstein hat innerhalb von vier Tagen durch sehr kluge und umsichtige Verhandlungen die Lieferkapazität
wieder voll herstellen können. Es war das ein sehr gutes Zusammenspiel mit der Kommission, mit Russland, mit
der Ukraine, mit allen Bereichen also.
Dieses Thema der neuen Energiepolitik zu debattieren, Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit stärken
und dazu die Umweltqualität, die Umweltverträglichkeit erhöhen und verbessern, war natürlich
eine sehr spannende Diskussion, eingeleitet durch Angela Merkel. Wir haben uns einige konkrete Ziele vorgenommen:
Erstens: Der grenzüberschreitende Stromhandel soll zehn Prozent erreichen, was ein wichtiges Thema ist, weil
damit natürlich auch die Netze gestärkt werden müssen und wir damit einander auch in einem Krisenfall
besser helfen können. Es hat schon etliche Blackouts gegeben, in der Schweiz, in Hessen, in Italien, in Großbritannien.
Das ist also ein ganz wichtiger Bereich.
Nächstes Ziel: Stärkung und Steigerung des Gesamtanteils der erneuerbaren Energie auf 15 Prozent sehr
umstritten anfangs. Wir sind im Moment weit von diesem Ziel entfernt, aber es ist erreichbar, wenn wir die Bremsklötze
wegräumen und mehr Kraftwerke zulassen. Vor allem im Bereich Wasserkraft liegen enorme Reserven brach. Da
können wir über die Möglichkeiten an privatem Kapital an die 1.000 Milliarden Euro freimachen für
den Ausbau der Netze, für neue Kraftwerke, für Pipelines. Da stecken Job-Chancen drinnen, die mit diesen
Beschlüssen jetzt leichter realisiert werden können.
Wir haben uns vorgenommen, den Einsatz der Biotreibstoffe deutlich anzuheben, und zwar auf acht Prozent. Ehrlich
gesagt, ich wäre sogar noch ehrgeiziger gewesen, aber da ist noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten. Die
zweite Generation der Bio-Treibstoffe ist abzuwarten. Wir brauchen neue Motoren. Die jetzigen werden kaputt, wenn
man mehr als fünf oder fast sechs Prozent dazumischt. Aber in diesem Bereich steckt Potenzial.
Weiters ein ganz wichtiger Beschluss: Gemeinsam wollen wir uns eine Energieeinsparung von etwa 20 Prozent vornehmen.
Für die nächste Zeit und das gehört ja zu diesem Rat noch dazu haben wir uns vorgenommen, vor
allem im Trilog mehr Klarheit durch die neue Finanzvorschau für das Budget für die Jahre 2007 bis 2013
zu schaffen. Der Finanzminister wird in diesen Tagen mit allen Ländern, mit dem Parlament und mit der Kommission
entscheidende Gespräche führen.
Wir bereiten eine Subsidiaritätskonferenz vor, die in der Woche nach Ostern in St. Pölten unter österreichischem
Vorsitz, stattfinden soll.
Die Erweiterungsdebatte, vor allem die Frage der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union, ein Thema,
das die Außenministerin ja immer schon massiv eingefordert hat, wird jetzt von allen akzeptiert und soll
auch in einem Sondergipfel der Außenminister über die Zukunft Europas Ende April/Anfang Mai abgesichert
werden.
Wir wollen das europäische Lebensmodell nicht nur diskutieren, sondern auch konkret niederschreiben. Und wir
wollen den 9. Mai als Europatag zu einer solchen breiten Diskussion nützen.
Wir arbeiten an der Errichtung einer Europäischen Grundrechtsagentur in Wien. Vielleicht könnte dort
sogar auch das Institut für Gleichbehandlung gender equality pact angesiedelt werden.
Wir wollen dann im Juni-Rat eine Choreographie für die nächsten Schritte im Prozess der Europäischen
Verfassung unterbreiten.
Meine Damen und Herren, wir haben also ein reiches Arbeitsprogramm. Wir sind dabei nicht schlecht unterwegs. Vieles
ist bereits geschehen, wie etwa diese Woche der höchst interessante Abschluss Europäischer Führerschein,
Europäische Wegekostenrichtlinie, Themen, die seit vielen Präsidentschaften unerledigt geblieben sind.
Aber viel Arbeit haben wir noch vor uns. Wir zählen dabei auf Ihre Unterstützung! |