der Konferenz "Alternativer Ecofin – Wirtschaftspolitik für ein anderes Europa"
Wien (attac) - Europa befindet sich unzweifelhaft in einer politischen, aber auch ökonomischen
Krise. Aufgrund der in den letzten Jahren praktizierten Wirtschaftspolitik in der EU kam es zu einer Stagnation
der Binnennachfrage und infolgedessen von Wachstum und Beschäftigung. Die Vermögens- und Einkommensverteilung
wurde zunehmend ungleicher. Europa erlebt neue Formen der Prekarisierung und sozialen Polarisierung und entfernt
sich immer weiter von ökologischer Nachhaltigkeit. Die offiziell erklärten Ziele europäischer Politik
(Lissabon-Agenda) sind verfehlt worden. Daraus werden jedoch nicht die nahe liegenden Lehren gezogen. Es wird weiter
an einer restriktiven makroökonomischen Politik festgehalten, die allein in Deregulierung und Liberalisierung,
der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte sowie dem Abbau der sozialen Sicherungssysteme ihr Heil sucht. Zu dieser
verfehlten Politik gibt es Alternativen. Diese müssen im Zusammenwirken von kritischer Wissenschaft, sozialen
Bewegungen und ArbeitnehmerInnenorganisationen in einem offenen und demokratischen Prozess formuliert und vorangetrieben
werden. Eckpunkte eines alternativen Entwicklungstyps, den wir anstreben, und konkrete Hauptforderungen sind:
1) Priorität für existenzsichernde Vollbeschäftigung
Alle in der EU lebenden Menschen sollen eine Lohnarbeit annehmen können, die ihren individuellen Qualifikationen
und Bedürfnissen entspricht und ihnen ein Einkommen verschafft, das ein selbständiges Leben ermöglicht.
Zur Vollbeschäftigung gehören angemessene Entlohnung, gute Arbeitsbedingungen und Möglichkeiten
der demokratischen Mitbestimmung der Arbeitenden. Die Wirtschaftspolitik muss dazu beitragen durch:
- Öffentliche Investitionsprogramme in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie Gesundheit und soziale
Dienste
- Schrittweise Umsetzung einer Arbeitszeitverkürzung
- Stärkere Koordinierung der europäischen Makropolitik und expansive, wachstumsorientierte Ausrichtung
der Budget-, Geld- und Strukturpolitik statt ausschließlicher Fixierung auf Budgetausgleich, Preisstabilität
und Deregulierung; Einführung von Gender Budgeting in der EU-Fiskalpolitik
- Förderung einer demokratischen Diskussionskultur zu Fragen der Wirtschaftspolitik und Maßnahmen
zur Einbeziehung aller betroffenen Stakeholder in politische Entscheidungsprozesse; Implementierung von Gender
Mainstreaming in wirtschaftspolitische Entscheidungen
2) Soziale Sicherheit ausbauen
Alle in der EU lebenden Menschen haben das unbedingte Recht, vor Armut und materieller Hilflosigkeit bei
Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Unfall, im Alter oder in sonstigen unglücklichen Umständen geschützt
zu sein. Soziale Sicherheit ist eine gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung, die weder durch Eigenverantwortung
noch durch Privatisierung ersetzt werden kann.
- Armutsbekämpfung und soziale Absicherung als zentrale Ziele der Europäischen Sozialagenda sind durch
effektive Maßnahmen umzusetzen; Keine Binnenmarktstrategie ohne soziale Standards auf hohem Niveau
- Schaffung neuer und Verbesserung bestehender Mindeststandards, um auf diesem Weg eine schrittweise Angleichung
der sozialen Standards auf höchstem Niveau zu erzielen, statt Absenkung durch die geplante Umsetzung des Binnenmarkts
für Dienstleistungen
- Demokratische Restrukturierung der öffentlichen Dienste statt Liberalisierung/Privatisierung: Anpassung
an veränderte Bedürfnisse und Förderung einer NutzerInnen-orientierten Betriebsführung, Stärkung
der demokratischen Kontrolle öffentlicher Unternehmen, aber keine Ausrichtung am Gewinnprinzip; Keine weiteren
Liberalisierungen/Privatisierungen essenzieller öffentlicher Dienstleistungen (z.B. Wasserversorgung, öffentlicher
Verkehr, Gesundheit und soziale Dienste), Rücknahme der Liberalisierungsforderungen bei öffentlichen
Diensten in den GATS-Verhandlungen
- Stopp der Privatisierungskampagne bei den Pensionssystemen
3) Soziale Gerechtigkeit, regionale und soziale Kohäsion stärken
Gleichmäßigere Verteilung der Vorteile des europäischen Wirtschaftssystems durch:
- Unterbindung des Steuerwettbewerbs: Schließung von Steueroasen; Einführung von einheitlichen europaweiten
Mindestkörperschaftssteuern für Unternehmen auf harmonisierter Bemessungsgrundlage
- Etablierung eines gender-sensitiven Verteilungs-Monitorings als wichtige Säule der EU-Agenda (Entwicklung
von Verteilungsindikatoren, Gender-Statistiken, Distribution Impact Assessment)
- Umschichtung und mittelfristige Erhöhung des EU-Haushalts, insbesondere zugunsten der Europäischen
Sozial-, Struktur- und Kohäsionsfonds, um soziale und regionale Ungleichgewichte wirkungsvoller auszugleichen
4) Ökologische Nachhaltigkeit umsetzen
Das Bekenntnis der EU zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung braucht jetzt effektive
Maßnahmen, die den Umbau des Wirtschaftssystems in diese Richtung stärken, insbesondere durch:
- Umstellung auf ein stärker dezentralisiertes Energiesystem mit Schwerpunkt Förderung erneuerbarer
Energiequellen
- Förderung umweltfreundlicher Mobilität, Siedlungs- und Wirtschaftsstrukturen durch Umsetzung umfassender
Kostenwahrheit im Verkehr
- Aktionsprogramm zur Verbesserung der Öko-Effizienz in der Nutzung von natürlichen Ressourcen (Ausbau
der Fernwärme, öffentliche Förderprogramme zur thermischen Sanierung von Altbauten und dem Bau von
Niedrigenergiehäusern)
- Verstärkte Unterstützung der Neuen Mitgliedsstaaten bei der ökologischen Restrukturierung ihrer
Wirtschaft
5) Globalisierung aktiv gestalten
Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik der Europäischen Union soll primär
der Förderung friedlicher, fairer und gleichberechtigter internationaler Wirtschaftsbeziehungen dienen. Eine
Politik, die darauf abzielt, die hausgemachten Probleme der EU durch rücksichtslose Konkurrenz auf den internationalen
Märkten zu lösen, widerspricht der globalen Verantwortung der EU als größtem Wirtschaftsraum
für ein kooperatives Weltwirtschaftssystem. Dazu schlagen wir eine Reihe von Maßnahmen vor:
- Erhöhung der Transparenz und demokratischen Teilhabe aller betroffenen Stakeholder in den internationalen
Wirtschaftsinstitutionen IWF, Weltbank und WTO
- Kooperatives Management des internationalen Währungssystems durch Maßnahmen zur Erhöhung der
Finanzmarktstabilität sowie zur Eindämmung der kurzfristigen Finanz- und Devisenspekulation, insbesondere
durch Einführung einer Devisenumsatzsteuer
- Unterstützung fairer und gleichberechtigter internationaler Handelsbeziehungen, insbesondere durch stärkere
Berücksichtigung von Sozial- und Umweltstandards im Welthandel
- Bevorzugte Behandlung von Entwicklungsländern innerhalb der WTO, insbesondere durch den Abbau von entwicklungsschädigenden
Exportsubventionen der Industrieländer
- Stärkere Ausrichtung der Entwicklungshilfe auf die Beseitigung der Armut und des Hungers sowie Förderung
eigenständiger Entwicklungsstrategien
- Etablierung verbindlicher internationaler Mindeststandards für Unternehmensverhalten statt unverbindlicher
Lippenbekenntnisse zur "sozialen Verantwortung der Unternehmen"
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