Schlusserklärung des Vorsitzenden des 3. Panels Subsidiarität und Better Regulation
St. Pölten (bpd) - Anlässlich der am 18. und 19. 04. in St. Pölten stattgefundenen
Subsidiaritätskonferenz unterstrich Bundeskanzler und EU-Ratsvorsitzender Wolfgang Schüssel die Bedeutung
der Subsidiarität. Diese sei ein zentrales Anliegen der österreichischen EU-Präsidentschaft.
„Uns geht es darum, auf die Sorgen und Ängste der Bürger möglichst konkrete Antworten und Lösungen
anzubieten. Europa darf nicht Teil des Problems, sondern muss Teil der Lösung sein“, so Schüssel. Man
habe darauf zu hören, was die Bürger meinen und müsse versuchen, auf diese Fragen konkrete Angebote
zu entwickeln. Auf die Sorge der Zentralisierung könne etwa mit einer richtig verstandenen Subsidiarität
geantwortet werden. Die richtige Definition des europäischen Sozialmodells könnte eine Antwort auf die
Sorge vor dem Neoliberalismus sein. „Wenn manche die Überregulierung beklagen, dann kann „better regulation“
ein vernünftiges Lösungsangebot sein. Wenn wir von der Bürgerferne der europäischen Institutionen
reden, dann muss die Antwort sein, dass wir als Politiker zu den Bürgern hinausgehen und den Dialog suchen.
Lassen wir uns angreifen“, so der Bundeskanzler.
„Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft möchte eine Teampräsidentschaft sein. Wir wollen
Kooperation anstelle von Konfrontation als europäische Institutionen vorleben“, so Schüssel abschließend. |
Die Rede des Bundeskanzlers im Wortlaut:
Ich habe selten erlebt, dass bei so hochrangig besetzten Foren stundenlang absolute Präsenz und Disziplin
herrschte. Das hat sicher mit dem Interesse am Thema zu tun. Wir haben mit der Veranstaltung einen Punkt getroffen,
denn das Thema ist "in", wie man salopp sagen könnte.
Wir brauchen konkrete Projekte, damit wir die Krise, die Europa in den letzten Monaten durchlebt hat, in eine Chance
verwandeln können. Dazu muss man aber ehrlich zueinander sein. Es ist nicht so, dass hier vollkommene Übereinstimmung
in allen Fragen geherrscht hat. Es sind auch kontroversielle Fragen andiskutiert worden, die wir nicht wegwischen
dürfen.
Man muss sehen, dass Kompetenzfragen immer auch Machtfragen sind. Es geht natürlich um die Frage der Verteilung
der Macht zwischen den verschiedenen Ebenen und zwischen den verschiedenen Institutionen. Das kann in einer partnerschaftlichen
oder in einer konfrontativen Art und Weise geschehen. Es ist sehr wichtig, dass wir das in einer partnerschaftlichen
Art auflösen.
Ich möchte die Probleme, die angesprochen worden sind, noch einmal zuspitzen und verdeutlichen:
es gibt eine ganz klare Kompetenzreglung, was Gemeinschaftsrecht oder nationales Recht ist, aber es gibt dazwischen
auch Graubereiche. Es gibt außerdem die Ergänzungs- oder Unterstützungskompetenzen, und es gibt
schließlich die so genannten Querschnittskompetenzen. Fast alle kontroversiellen Urteile oder Fragenkomplexe
beziehen sich auf den Konsumentenschutz, den Gesundheitsschutz oder auf Umweltschutzfragen.
Das sind natürlich die klassischen "soft issues", bei denen sehr leicht die Unterschiede zwischen
dem Gemeinschaftsrecht und den nationalen oder sogar regionalen Rechtssetzungsaspekten verschwimmen.
Klar herausgekommen ist eine neue Sensibilität. Die Chance dieser Krise ist, dass wir eine neue Balance finden
können, wenn der Gerichtshof in seiner Bewertung des Subsidiaritätsprinzips auch dem Schützen der
Identität der Regionen, der Gemeinden oder der nationalen Kompetenzen Augenmerk zuwendet. Ich bin sehr gespannt,
was dies in der Praxis bedeutet.
Worum muss es uns in der Frage der Union und der Europa-Politik gehen? Wir müssen auch das Interesse an Europa
wach halten; wir müssen die Bürger einbeziehen. Diese Veranstaltung darf daher keine sein, die wir von
den Niederländern und von den Briten übernommen haben und zu Ende führen. Es bedarf eines ständigen
follow up. Ich bin zuversichtlich, dass dies geschieht, denn eigentlich alle kommenden Präsidentschaften -
Finnland, Deutschland, Portugal und Slowenien - haben bereits erklärt, dass sie das weiterführen wollen.
Das erfüllt mich mit Optimismus.
Wir haben uns auch vorgenommen, in den nächsten Wochen an diesem Thema weiterzuarbeiten. Wir werden uns schon
in 14 Tagen, am 9. Mai, mit den Nationalparlamenten und mit dem Europaparlament, mit Kommission und Ratsvorsitz
zusammensetzen, und wir werden genau das diskutieren. Es wird am 27. und 28. Mai unter dem Vorsitz der Außenministerin
ein Sondertreffen zum Thema "Zukunft Europa" geben. Schließlich beabsichtigen wir beim Juni-Rat
Schlussfolgerungen für die weitere Wegskizze für den Europäischen Verfassungsvertrag. Eine Choreographie,
wie soll es weiter geben.
Lernen sollten wir vor allem, das diejenigen, die Fragen stellen, oder auch kritisch auftreten, nicht die schlechteren
Europäer sind, das halte ich für ganz wichtig. Manchmal sind es gerade diejenigen, die uns kritische
und unangenehme Fragen stellen, die uns überhaupt erst die Tür aufstoßen, um die Krise als Chance
zu erleben und diese Tür in eine bessere europäische Zukunft zu ermöglichen.
In diesem Sinn danke ich wirklich sehr. Mir hat diese Tagung sehr gut gefallen. Ich bin auch selber sehr bereichert
hier gesessen und habe mir sehr viel mitgeschrieben. Ich möchte ihnen danken, dass Sie gekommen sind und viel
Zeit investiert haben.
Ich möchte dir, lieber Landeshauptmann Erwin Pröll, im Namen aller für deine Gastfreundschaft danken.
Du warst uns mit Deinem Heimatland Niederösterreich ein sehr guter Gastgeber.
Ich greife einen Punkt von dir auf: es geht jetzt darum, diese Diskussion in den Ländern, auf ihren Ebenen,
in den Gemeinden, in den Regionen, in 80 gesetzgebenden Parlamenten weiterzuführen, damit es eben nicht ein
einmaliger Effekt wird, der verpufft, sondern dass das wirklich eine dauerhafte, bleibende Einrichtung werden kann,
die Europa letztlich auch weiterbringen kann.
Wir wollen nicht weniger, sondern ein besseres Europa in Zukunft.
Ich danke Ihnen sehr für ihr Kommen und wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt. |