Khol, Prammer, Prinzhorn bei Gedenksitzung gegen Gewalt und Rassismus
Wien (pk) - Mit Ansprachen von Nationalratspräsident Andreas Khol, der Zweiten Präsidentin
Barbara Prammer, des Dritten Präsidenten Thomas Prinzhorn und einer daran anschließenden Debatte gedachte
der Nationalrat am 27. 04. der Opfer des Nationalsozialismus. Die Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus,
die seit 1997 alljährlich in Erfüllung einer einstimmig verabschiedeten Entschließung des Nationalrats
abgehalten wird, wurde im Programm ORF 2 live übertragen.
Khol: Vergessen heißt, der Geschichtslüge Vorschub leisten
Der Gedenktag erinnere an die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen am 5. Mai 1945, sagte Nationalratspräsident
Khol in seiner Ansprache. Die ehemaligen Lager und jetzigen Gedenkstätten seien "offene Wunden in unserem
Gedächtnis, Wundmale in unserem Land, Schandmale einer entarteten Menschheit, Denkmale, damit wir alle nachdenken,
Mahnmale, dass so etwas nie wieder passieren darf", sagte Khol. In der Unabhängigkeitserklärung
habe sich Österreich als erstes Opfer der NS-Aggression gesehen, und das sei objektiv richtig, weil die Republik
Opfer gewesen sei. Hinter dieser "Opfer-Feststellung" aber hätten sich viele versteckt, und erst
1995 sei mit der Errichtung des Nationalfonds die Verdrängung außer Kraft gesetzt worden.
Dem sei ein Gesinnungswandel vorausgegangen; Khol erinnerte an die Reden von Bundeskanzler Vranitzky in Jerusalem
und im österreichischen Parlament, in denen er festgestellt habe, dass es keine Kollektivschuld, aber eine
kollektive Verantwortung gebe. Bundeskanzler Schüssel habe erklärt, dass Österreich Opfer gewesen
sei, dass aber viele Österreicher schuldig geworden seien. Es sei bleibende Verantwortung, in diesem Geist
den Gedenktag zu begehen, betonte Khol.
Der Nationalratspräsident kam dann auf den Nationalfonds zu sprechen, dessen Zahlungen an die Opfer als Gesten
zu sehen seien. Mit der Unterstützung von Forschungsprojekten würde "das Vergessen verhindert".
Dies zähle zum Grundwertesockel, den alle Mitglieder des Hohen Hauses teilten. Der jährliche Gedenktag
sei ein Tag der Erinnerung und der Trauer, aber auch der Verpflichtung für die Zukunft. Khol ging dann auf
die bisher veranstalteten Gedenktage ein und meinte, der Gedenktag dürfe "nicht im Gold der Monarchie
zur Routine werden". Daher werde der Gedenktag im kommenden Jahr im ehemaligen KZ Gusen abgehalten.
Vergessen dürfe es nicht geben, sagte Präsident Khol weiter, denn dies bedeute der Geschichtslüge
Vorschub leisten. Das Erinnern gehöre zum Grundwertesockel, und das Verbotsgesetz müsse seinen Platz
in der Verfassung haben. Der Gedenktag solle auch bewusst machen: "Niemals wieder!" schloss Khol.
Prammer: Leugnen der NS-Gräuel darf nicht salonfähig gemacht werden
Bis heute bleibe unfassbar und nicht nachvollziehbar, was in den Gedanken und Gefühlen jener Menschen vorgeht,
die den Horror der Konzentrationslager überlebt haben, stellte Zweite Präsidentin Barbara Prammer eingangs
ihrer Ansprache fest. Auch Prammer erinnerte an Bundeskanzler Vranitzky, der 1991 öffentlich aufgezeigt habe,
dass Österreicherinnen und Österreicher im Namen des NS-Regimes Leid über andere gebracht haben.
Zum ersten Mal erinnere heuer die internationale Mauthausen Befreiungsfeier am 7. Mai an die in die Konzentrationslager
verschleppten und dort ausgebeuteten und ermordeten Frauen, führte Prammer in ihrer Rede aus. Denunziation
sei ein "Pfeiler des NS-Regimes" gewesen: die bloße Verdächtigung, sexuelle Kontakte zu Juden
zu haben, habe für die Verschleppung ins KZ gereicht.
Prammer kam dann auf die Bordelle in den Konzentrationslagern zu sprechen, die einen lange tabuisierten Teil der
NS-Verbrechen dargestellt hätten. Die Opfer sexueller Gewalt seien stigmatisiert, Erlittenes sei verharmlost
worden, ja man habe ihnen eine Mitschuld unterschoben. Viele Überlebende würden noch heute über
damals Erlittenes schweigen. Frauen seien aber nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen gewesen. Dieser Tatsache
hätte man sich auch beim im Vorjahr beschlossenen Gesetz für die Trümmerfrauen stellen müssen,
stellte Prammer einen aktuellen Bezug her.
Am 5. Mai werde der Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden, darunter eine Million zweihunderttausend Kinder,
gedacht, der Millionen von politisch Verfolgten, der Roma und Sinti, der Homosexuellen, der Behinderten und ihrer
Hinterbliebenen. "Wir gedenken all jener Menschen, die sehr lange darauf warten mussten, zu ihrem Recht zu
kommen. Zu ihrem Recht, als Opfer anerkannt zu werden, und zu ihrem Recht auf Würde", sagte Prammer.
Heute seien wir mit wachsendem Rassismus und Antisemitismus konfrontiert; Prammer verwies in diesem Zusammenhang
auf die gestern erfolgte Verurteilung des früheren Mandatars John Gudenus. "Es zeugt von besonderer Verwerflichkeit,
wenn ein auf die Verfassung vereidigter Volksvertreter nationalsozialistisches Gedankengut vertritt und dafür
wirbt", betonte Prammer. Ausdrücklich wandte sie sich gegen die Herabsetzung des Strafrahmens: "Ein
Leugnen oder Verharmlosen der Gräueltaten im Dritten Reich darf einfach nicht salonfähig gemacht werden",
stellte die Zweite Präsidentin mit Nachdruck fest.
Der 5. Mai dürfe nicht nur ein Gedenktag sein, schloss Prammer, sondern müsse "uns jedes Jahr einen
Schritt weiter bringen, um Rassismus und Antisemitismus in die Schranken zu weisen."
Prinzhorn: Wehret den Anfängen!
Der Dritte Nationalratspräsident Thomas Prinzhorn meinte, das "Niemals vergessen" müsste um
"Wehret den Anfängen" ergänzt werden. Das "Wehret den Anfängen" werde gerade
in diesen Tagen durch Rassismus, Gewalt und Terror weltweit belegt und führe zu Intoleranz und Sündenbock-Denken.
Auch die Internationalisierung bringe Probleme. Von der Globalisierung fühlen sich nämlich viele beengt,
viele glauben, dass sie ihre Identität verlieren. So gerne vielleicht Einer in die Fremde fährt und sich
unter Freunden brüstet, was er nicht alles gesehen hat, aber wenn das Fremde zu ihm kommt, dann sieht es ganz
anders aus.
Wir in der Wirtschaft, so Prinzhorn, sind der Entwicklung lang vorausgeeilt, sonst würden wir nicht überleben.
"Für uns ist das Fremde von heute das Eigene von morgen, und neue Märkte und Produkte von heute
sind für uns der Standard von morgen. Daher sollte man sich nicht vor dem Fremden fürchten, sondern sollte
die Sozialkompetenz um eine interkulturelle Kompetenz ergänzen. Toleranz sei wichtig und bedeutet für
Prinzhorn, dass alle Unrechtmäßigkeiten in Österreich bekämpft gehören, gleichgültig
ob Aus- oder Inländer betroffen sind. Wird über Arbeitslosigkeit gesprochen, sollte man nicht nur über
langzeitarbeitslose Ausländer allein, sondern auch über langzeitarbeitslose Inländer sprechen, betonte
der Dritte Präsident. Die Arbeitslosigkeit dürfe nicht dazu führen, dass man wieder sagt: Der Fremde
ist schuld.
"Wir Politiker sind verantwortlich dafür, unser Land auf die Zukunft vorzubereiten", betonte Prinzhorn.
In Zukunft seien ein Näherrücken der Kulturen und ein Näherrücken der Religionen angesagt.
Österreich sei immer – gerade was die Religionsfreiheit betrifft – ein vorbildliches Land gewesen. So manche
Länder könnten sich von Österreich "eine Scheibe abschneiden"; das solle auch so bleiben,
fuhr Prinzhorn fort, denn sonst würden Vollbeschäftigung und Friede eine Utopie bleiben. "Und das
wollen wir alle nicht!" |