Namhafte Autoren sind überzeugt: Literatur ist lehr- und lernbar
Wien (pk) - Auf Einladung der Zweiten Präsidentin des Nationalrates Barbara Prammer präsentierten
die Autoren Gert Jonke, Christian Ide Hintze, Orhan Kipcak, Marianne Gruber, Sabine Scholl und Robert Schindel
am 03. 05. im Parlament ihre Vorstellungen zur Einrichtung einer "Akademie für Sprachkunst".
Robert Schindel überreichte dazu ein Memorandum. Die Autoren, zugleich Lehrer an der "schule für
dichtung" und Mitglieder des Vorbereitungskomitees für eine "Akademie für Sprachkunst",
trugen ihre Beiträge unter der Moderation der Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Renee Gadsden vor. Zum zahlreich
erschienenen Publikum zählte auch die ehemalige Dritte Nationalratspräsidentin und Vorsitzende des Kulturausschusses
Heide Schmidt.
Mit ihrem Anliegen, die Dichterausbildung in Österreich akademisch zu organisieren, stießen die Autoren
bei den Kultursprecher/innen der Parteien, den Abgeordneten Christine Muttonen (S), Andrea Wolfmayr /V) und Wolfgang
Zinggl (G) auf grundsätzlich positive, im Einzelnen aber unterschiedlich akzentuierte Stellungnahmen, wobei
Andrea Wolfmayr Skepsis gegenüber einer Verschulung der literarischen Ausbildung äußerte.
Präsidentin Barbara Prammer betonte in ihren Begrüßungsworten, es sei die Aufgabe der Kulturpolitik,
allen Menschen die Entwicklung ihres Schaffenspotentials zu ermöglichen. Aufgabe der Politik sei es, dafür
Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei ließ die Präsidentin ihre Präferenz für die Förderung
innovativer Kunstrichtungen gegenüber der Konservierung des kulturellen Erbes und seiner Musealisierung erkennen.
Die Frage, wie eine Akademie für Sprachkunst organisiert werden solle, ist für Prammer noch offen. Bei
der Frage der Finanzierung erteilte Prammer jedem Gießkannenprinzip eine klare Absage und sprach sich dafür
aus, gesonderte und ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen. Für sie sei die Veranstaltung ein Anstoß
für eine breite Diskussion und für den Dialog der Schriftsteller mit Wissenschaft und Politik.
Die Ausführungen der Dichter und Sprachkunst-Lehrer leitete Gert Jonke mit einem Statement ein. Er wies darauf
hin, dass die Sprache durch die gegenwärtige Tendenz zur Verbildlichung immer mehr ins Hintertreffen gerate.
Sprachverlust aber bedeute Gefühlsverlust, daher gelte es, in unserer Zeit der "Gefühlsverblödung"
einen Ausgleich zu schaffen. Neben der Akademie für Bildende Kunst und der Musikhochschule müsse daher
eine Fachhochschule ins Leben gerufen werden, an der Sprachkunst auf akademischer Ebene vermittelt werde.
Christian Ide Hintze stellte die Arbeitsfelder der "schule für dichtung" dar und gab dazu konkrete
Beispiele von Anne Waldman, Allen Ginsberg und H.C. Artmann. In einem Rückblick charakterisierte Hintze die
Auffassung, jeder könne ohnedies lesen, schreiben, sprechen und hören, als historisch. Heute stehe die
Lehr- und Lernbarkeit der Sprachkunst außer Frage, in zahlreichen Staaten entstehen entsprechende Institutionen.
Der Umgang mit der Sprache dürfe auch in Österreich nicht auf deren Vermittlung in der Grundschule und
auf das Verrücken von Ortstafeln beschränkt werden, schloss Ide Hintze.
Sabine Scholl stellte das Projekt "Akademie für Sprachkunst" in den europäischen Kontext, den
auch die eingespielten Videostatements von Daniel Rothenbühler ("Projekt Schweizerisches Literaturinstitut,
Biel") und Daniel Soukup ("Literarische Akademie Prag") beleuchteten. Scholl unterstrich die Bedeutung
fremder Sprachen, da die Auseinandersetzung mit ihnen sich immer mehr als ein produktiver Prozess herausstelle,
der die eigene Literatur weltläufig mache. Zudem sei das Lernen von Fremdsprachen geeignet, Menschen die Angst
vor dem Fremden zu nehmen. Die Akademie sollte daher nach dem Vorbild vieler ausländischer Beispiele nach
außen hin so offen wie möglich gestaltet werden.
Orhan Kipcak befasste sich mit Institutionalisierungsszenarien und nannte als Alternativen die Gründung einer
"Akademie", die Anbindung an eine Universität oder die Gründung eines Fachhochschulstudienlehrgangs.
Letzteres entspreche dem Konsens des Vorbereitungskomitees, wobei Kipcak als Argumente die schnellen Entscheidungsstrukturen
im Fachhochschulbereich, das Schweizer Vorbild und den österreichischen Bedarf an einer "geisteswissenschaftlich"
orientierten Fachhochschule nannte.
Moderatorin Renée Gadsden betonte es als ihr Anliegen, die österreichische Sprache nicht als Dialekt
zu behandeln, sondern als eigene Hochsprache zu pflegen.
Das Memorandum zur Gründung einer Akademie für Sprachkunst
In seinem "Memorandum zur Gründung einer Akademie für Sprachkunst" plädierte Robert Schindel
für die Einrichtung einer Fachhochschule für Sprachkunst. Die Kunst sei ein "Damm gegen das Kriegerische
in uns" und notwendig zur Selbstverständigung in einer "zeichenüberfrachteten und unverstehbaren
Zeit". Das Aneignen von Sprache diene der "Selbstverständigung einer Gattung, die den Planeten als
gut bewohnbaren gestalten kann", führte Robert Schindel programmatisch aus.
Auch Tiere haben eine - nicht benennende - Sprache, aber nur der Mensch könne etwas kundtun und es in der
Betrachtung spiegeln. Die Literatur sei eine "beispielgebende Realität", an der sich die bloß
vorbeirinnende je und je messen müsse", sagte der Autor und erinnerte an Gestalten wie Ödipus und
Werther, Faust und Adrian Leverkühn, Gulliver, Antigone, Salome, Maria Stuart, Emma Bovary oder Franz Biberkopf.
Diese fiktiven, von Literaten geschaffenen Persönlichkeiten existierten tiefer "in den Gehirnen und Gefühlen
der Menschen" als reale Gestalten der Geschichte, zeigte sich Schindel überzeugt.
Es sei möglich, Sprachkunst zu erlernen, "im Weltraum des Barbarischen dem Planeten Menschenwürde
aufzulichten" und so zu seiner Befriedung beizutragen. "In der Sprache allein können die Welten
aufgebaut und abgetötet werden, die wir im Geschehen hernach uns ersparen können."
"Wie der Maler die Flucht- und Perspektivpunkte in der Aktzeichnerei erlernt, wie der Musiker in der Quinten-
und Terzenqual sich die Töne einzuverleiben sich anschickt, um eine Ordnung in die unabsehbare Menge der Zeichen
zu setzen, kann auch der ungewusst Sprachbegabte, der einst die Sprache bloß als Hammer verwendete, um seine
Bedürfnisse zu statuieren, nunmehr sie als Medium erfassen, in welchem des Autors, der Autorin Existenz schwimmt,
und die Tempi die Grenzen zum Tierreich ausbaldowern", schloss Robert Schindel das Memorandum zur Gründung
einer Akademie für Sprachkunst.
Reaktionen der Politik
Abgeordnete Christine Muttonen (S) sprach vom spannenden Entstehungsprozess eines im Fluss befindlichen
Projekts und zeigte sich angetan von der Verabschiedung des traditionellen Geniebegriffs im Konzept für die
Akademie sowie von den deutlichen Vorstellungen eines neuen Begriffs der "KünstlerIn" und schloss
sich der Auffassung an, dass neben dem Talent das handwerkliche Können zum Beruf des Schriftstellers gehöre.
Die SP-Bildungspolitikerin äußerte ihre Präferenz für ein Angebot zur sprachkünstlerischen
Ausbildung für StudentInnen aller Fakultäten und plädierte darüber hinaus für ein neues
Freifach ohne Notendruck unter dem Titel "Kreatives Schreiben" in den Schulen.
Abgeordnete Andrea Wolfmayr (V) sprach sich zunächst prinzipiell für das Anliegen der Schriftsteller
aus, zeigte sich aber angesichts engen Grenzen des Kulturbudgets zugleich skeptisch und wies darauf hin, dass sie
keine finanziellen Spielräume für neue Projekte sehe. Wolfmayr machte zudem auf andere Projekte für
die Vermittlung sprachlicher Kreativität aufmerksam und sprach sich dagegen aus, dass Künstler in diesem
Bereich gegen Künstler antreten. Außerdem wandte sich Wolfmayr gegen eine Akademisierung und Verschulung
der Literaturausbildung und plädierte dafür, die sprachkünstlerische Ausbildung im Rahmen der Universitäten
in der Nähe der Germanistik anzusiedeln. Davon erwarte sie sich positive Auswirkungen auch auf die Germanistik.
Wolfgang Zinggl(G) sagte dem vorgestellten Projekt seine kräftige Unterstützung zu und unterstrich das
Anliegen, das Sprachbewusstsein durch die Förderung der sprachkünstlerischen Ausbildung weiterzuentwickeln.
Davon, dass ein solch dringend notwendiges Institut für Sprache und Sprachkunst eine Fachhochschule sein müsse,
zeigte sich der Abgeordnete nicht überzeugt. Er stelle sich vielmehr ein Institut mit hohem Stellenwert vor,
eine Institution, von der aus Politik gemacht werden könne.
Die Schule für Dichtung
Wenn Gert Jonke, Christian Ide Hintze, Orhan Kipcak, Marianne Gruber, Sabine Scholl oder Robert Schindel
über die Lehre der Dichtkunst referieren, sprechen sie aus persönlicher Erfahrung. Sie arbeiten seit
Jahren als Lehrer an der "schule für dichtung"(www.sfd.at) und verstehen sich dabei in der Tradition
berühmter antiker und moderner Vorbilder. Genannt werden die Poesieschule der Sappho auf Lesbos vor 2500 Jahren
und die 1974 von Allen Ginsberg und Anne Waldman gegründete Jack Kerouac School of Disembodied Poetics in
Boulder/Colorado.
Die Wiener Schule für Dichtung widmet sich lokalen Traditionen, dem Wiener Kaffeehaus, der Wiener Gruppe,
dem Aktionismus, visueller -, akustischer - und konkreter Poesie sowie der Sprachphilosophie. Zur Diskussion ihrer
Grundthese von der Lehr- und Lernbarkeit der Literatur veranstaltet die "schule für dichtung" regelmäßig
Symposien. Zumeist im Herbst werden die Internet-Literaturklassen der Schule geöffnet. |